„Tatort“ Wien: Das war schon spooky
Die Produktionszeit
ist dem ARD-Sonntagabendkrimi nicht immer so leicht anzuschauen wie der Leiche
die Tatzeit. Im Fall des Wiener Tatorts Das Tor zur Hölle
(ORF-Redaktion: Bernhard Natschläger, Kerstin Bertsch) lässt sie sich zumindest
einschränken. Der Film wurde vor Ende Juli dieses Jahres gedreht (genauer: im
Sommer des vergangenen). Denn als die Bibi (Adele Neuhauser) und der Eisner
(Harald Krassnitzer) aus dem Stephansdom treten und die Kamera (Martin
Gschlacht) von einer Drohne steil herunterschaut, was sie öfter tut in diesem
Film, sind rechts des Eingangs keine Grablichter und Blumen auszumachen. Die
wurden erst in diesem Sommer dort abgelegt als Zeichen des Gedenkens an die
Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die von
einem menschenverachtenden Mob in den Tod getrieben wurde.
Das ist
eine aktuelle Assoziation, die sich mit dem prächtigen Gotteshaus in Wiens
Zentrum verbinden lässt. Eine andere ist das, was die Bibi einmal im Gespräch
mit einem Geistlichen markiert, als sie „Schindluder“ in „Missbrauch“ übersetzt. Aber wenn es darum ginge, wofür die
katholische Kirche als Institution seit Jahren am zuverlässigsten Schlagzeilen
liefert, dann
würde im Abspann des Films vielleicht nicht der Dompfarre St. Stephan gedankt.
Der Drehbuchautor
und Regisseur Thomas Roth schreddert stattdessen theologisches Wurzelwerk. Tot
ist ein Prälat, der auf Exorzismen spezialisiert war. Und deshalb versucht sich
der Tatort über lange Strecken daran, den Teufel himself als
möglichen Täter im Spiel zu halten. Satanszeichen, herabstürzende Bilderrahmen
und eine mysteriöse besessene Nathalie (Maresi Riegner), die nach eigenen
Angaben Hundefutter isst und die Bibi durch sprachverzerrtes Gebrüll
adressiert, mit dem sich der Dämon der Welt mitteilt – Das Tor zur Hölle
investiert schon einiges an Zeit, Geruckel und Erzählung, um den Eindruck zu
erwecken, der Gottseibeiuns wäre tatsächlich ein Faktor in der Lösung des Falls.
Unter den handelnden Figuren ist eine bizarrer als die andere. Das geht schon
bei der Theologin Tea Berkovic (Angela Gregovic) los, die trotz ihres
universitären Umfelds nach dem titelgebenden Eingang in die Unterwelt sucht, der
irgendwo am Donau-Ufer liegen soll. Ein Ex-Klient von der Bibi (Roland
Düringer) ist vom Zampano im Rotlichtbezirk zur „wahren Größe des
Okkultismus“ aufgestiegen und überrascht mit Gut-Böse-Geschichten, in
denen nicht nur die Theologin auf der Suche nach dem Hölleneingang ist, sondern
jeder Geheimdienst dieser Welt. Der besessenen Nathalie ist eh alles
zuzutrauen, weil ihr Körper doch nur das Haus ist, in dem Beelzebub es sich
gemütlich macht. Und ihr neuer „Befreier“ in der Nachfolge des
getöteten Prälaten vermittelt schon gar kein Gefühl von Sympathie – auch wenn
dieser Kaplan Raimund (Lukas Watzl) sich einmal sogar in die Jazzbar wagt, in
der die Bibi und der Eisner in diesem Tatort immerfort abhängen nach den
endlosen Arbeitstagen. Immerhin macht sich dieser Raimund interessant, wenn er
von einer notwendigen Erneuerung des Exorzismusbetriebs spricht, von der der
alte Prälat nichts wissen wollte, damit aber mal nicht „Digitalisierung“
meint.
Am Ende ist
dieses Personaltableau des durchweg Skurrilen wie der ganze Deibelsquark aber
immerhin dazu gut, die Figur des Psychiaters Dr. Sittsam beinahe unverdächtig
erscheinen zu lassen. Dabei wird sie von Sven-Eric Bechtolf gespielt, der schon
als besorgter Vater im letzten Magdeburger Polizeiruf
Dreck am Stecken hatte.
Hinter dem soignierten Spiel tarnt sich die größte Meise, die eine Figur in Das
Tor der Hölle haben kann, was angesichts der Konkurrenz schon auch eine
Leistung ist. Denn „Dr. Seltsam, äh, Sittsam“ (der Eisner) glaubt das
mit dem Dämon tatsächlich und mordet dann munter herum, wenn andere seinem
Faschingsvergnügen auf die Schliche kommen. Der Vorteil für die real
existierende Kirche ist, dass ihr Exorzismusgeschäft vor diesem Hintergrund wie
eine gewöhnliche Variante von Seelsorge erscheint.
Der ganze
Mumpitz hätte sich vielleicht sogar als lustige Genre-Reflexion erzählen
lassen. Aber dafür ist dieser Tatort schlichtweg zu faul. Wenn am Ende
die Bibi und der Eisner mit dem vorgesetzten Ernstl (Hubert Kramar) der
Zuschauerin auf den Kopf zusagen müssen, warum das alles so arg war, wie gerade
gesehen, ist das kein Zeichen dafür, dass beim Drehbuch die meiste Energie in die Verfeinerung
der Ausgangsidee gesteckt wurde.
Passend
dazu werden fallrelevante Informationen aus dem Nichts gewonnen. Die Bibi
greift den Kalender vom toten Prälaten und weiß schon, was drinsteht. Oder sie hat
im Internet gelesen, was gerade gewusst werden muss. Außerdem exerziert der
Tatort an der Majorin Fellner noch die Schauergeschichtsmotivik als Albtraum
aus der Kindheit durch, was in einer Szene mit dem Eisner sogar als
konfliktreiche Schuldfrage dechiffriert und bewältigt wird.
Zum Glück
gibt es in Wien aber immer auch das große Andererseits, ein dickes Egal – die
Bibi und der Eisner sind Charaktere, die selbst in einer Abführmittelwerbung
Reiz entfalten könnten. Weil die Dynamik zwischen beiden stimmt, das abwechselnde
Hochfahren und Runterkochen, für das schon genervte oder betretene Blicke
reichen. Wenn der Eisner im Auto zur Beruhigung sentimentale Musik hören muss,
die aber ganz laut. Oder wenn die beiden dem Ernstl auf dem Weg in die Kantine mit
allerlei Unappetitlichkeiten begegnen, die in der finalen Ansage gipfeln: „Wir rechnen jeden Tag damit, dass wir von oben bis unten vollgekotzt
werden.“ Kurz: Selbst wenn der Wiener Tatort Quatsch ist, macht er
genug Quatsch.