Südafrikas Heuchelei
Die südafrikanische Regierung prangerte Israel vor dem Weltgerichtshof an. Doch für Palästinenser verschließt sie die Türen. Offensichtlicher könnte die Doppelmoral nicht ausfallen.
Südafrikas Regierung liebt die großen Gesten. Die visafreie Einreise für Palästinenser, im September 2023 eingeführt als „Akt der Solidarität“ gefeiert, passte perfekt ins Selbstbild des Landes als moralische Supermacht des Globalen Südens. Als kurz darauf das Massaker vom 7. Oktober und der Krieg in Gaza begann, zerrte Südafrika Israel vor den Internationalen Gerichtshof und erhob dort fälschlich den Vorwurf des Völkermordes. Weltweit wurde darüber berichtet, auch in Südafrika lenkte der Vorgang zumindest kurz vom kapitalen innenpolitischen Versagen der maroden Regierungspartei African National Congress (ANC) ab.
Nun aber wurde die Visabefreiung für Palästinenser möglichst unauffällig wieder einkassiert, vermeldet wohl nicht ganz zufällig am Samstag, einem Tag, an dem die Nachrichtenaufmerksamkeit am geringsten ist. In den vergangenen Wochen waren zwei Chartermaschinen mit Flüchtlingen aus Gaza in Johannesburg gelandet. Sie wurden nach langem Zögern ins Land gelassen. Künftig soll es derartige Flüge nicht mehr geben, die Regelung sei von Israel ausgenutzt worden, um seine Politik der „freiwilligen Ausreisen“ von möglichst vielen Bewohnern Gazas umzusetzen, rechtfertigte sich die Regierung.
Einmal mehr wird die Heuchelei der südafrikanischen Außenpolitik deutlich. Wenn ein Land einen Krieg als Völkermord klassifiziert, muss es laut Genozidkonvention alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um ihn zu verhindern. Zwar ist in der Konvention Flüchtlingspolitik nicht geregelt, die Flüge wurden auch wohl tatsächlich von Israel beeinflusst. Aber die Passagiere hatten gegenüber WELT gesagt, verzweifelt und aus eigenem Antrieb Wege für eine Ausreise gesucht zu haben, selbst wenn das im Interesse Israels sein sollte. Die Türen nach Südafrika bleiben ihnen fortan verschlossen, ein Visumsgesuch von Gaza aus ist unmöglich.
Die Wahrheit ist, dass es im Land einigen Gegenwind gegen die Flüchtlinge gegeben hatte, auch die Sicherheitsbehörden äußerten Bedenken angesichts der kaum überprüfbaren Identitäten vieler Passagiere. Man kann die Entscheidung durchaus verstehen. Dann sollte man aber nicht Reden schwingen wie die damalige Außenministerin Naledi Pandor im April 2024: Internationales Recht existiere, „um die Verletzlichsten zu unterstützen und ihren Schutz sicherzustellen“, dozierte sie.
Wie hohl diese Worte sind, offenbart auch die Tatsache, dass Afrikas wichtigste Volkswirtschaft bei Friedenseinsätzen inzwischen weit weniger aktiv ist als noch vor einigen Jahren – was nicht zuletzt dem schlechten Zustand der Armee geschuldet ist. Unvergessen ist zudem das Schweigen Südafrikas beim brutalen Tigray-Krieg in Äthiopien mit Hunderttausenden Toten. Man wollte die Regierung des Landes nicht erzürnen.
Und da ist noch die Migrationspolitik, ein Feld, in dem sich Südafrika gerne kritisch zur EU äußert. Doch es lohnt der Blick ins eigene Land. Lange war die Kontrolle der Grenzen in der naiven Hoffnung auf eine panafrikanische Renaissance lasch, als Geste gegenüber Nationen des Kontinents, die ihm einst während des Kampfes gegen die Apartheid Exil angeboten hatten.
Diese Einstellung hat sich zuletzt massiv geändert, die Behörden gehen inzwischen rigoroser gegen irreguläre Migration vor. Das ist völlig nachvollziehbar. Die Umsetzung dieser überfälligen Politikkorrektur dagegen nicht. Vor einigen Tagen flog ich von Johannesburg nach Ruanda. Neben mir saß Pontien, ein 35 Jahre alter Migrant, der von Polizisten zum Flieger geleitet worden war und so in seine Heimat Burundi, ein Nachbarland Ruandas, abgeschoben wurde. Ihm war klar, dass dieses Risiko bestand, er war illegal eingereist, arbeitete ohne Papiere in einem Supermarkt. Aber die Umstände hätte er nicht für möglich gehalten.
Monatelang verbrachte er im berüchtigten Lindela-Abschiebegefängnis. Um acht Uhr morgens Haferbrei, um 14 Uhr Maisbrei mit Bohnen, selten ein Stück Huhn – danach nichts mehr, so erzählte er mir. Er hatte Glück: ein Bett. Viele andere hätten auf dem Boden geschlafen. Wenn seine Familie nicht für den Rückflug zusammengelegt hätte, wäre es wohl noch ewig so weitergegangen, behauptete er. Mit den Menschenrechten sind diese Bedingungen nicht zu vereinbaren.
„Mit diesem Land stimmt was nicht“, sagte mir Pontien kurz vor seiner Weiterreise nach Burundi. Zumindest was die Moralpredigten südafrikanischer Politiker angeht, stimmt das zweifellos.
Source: welt.de