Studie warnt: Kranker Wald wird zum Klimasünder
Als „grüne Lunge“ wird er oft bezeichnet: Der Wald ist nicht nur ein Naherholungsgebiet für gestresste Städter, sondern spielt auch in der Klimaschutzpolitik eine tragende Rolle. Rund 1200 Millionen Tonnen Kohlenstoff speichern die Bäume aktuell, so steht es in der Bundeswaldinventur, die Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Dienstag in Berlin vorstellte. Der vom Thünen-Institut erstellte Bericht enthält jedoch eine unerfreuliche Botschaft. „Erstmals seit Jahrzehnten“ gebe der Wald mehr CO2 in die Atmosphäre ab, als er neu binde. „Der Wald ist zu einer Kohlenstoffquelle geworden“, konstatierte Özdemir.
Trockenheit und Stürme schaden dem Wald
Konkret hat der sogenannte Kohlenstoffvorrat im Wald den Forschern zufolge gegenüber 2017 um 41,5 Millionen Tonnen oder 3 Prozent abgenommen. Mit den Herbststürmen in besagtem Jahr habe es angefangen, erläuterte Institutsleiter Thomas Riedel. Mit der Trockenheit 2018 habe sich die Entwicklung fortgesetzt. „Der Borkenkäfer hat früher mal drei Generationen im Jahr hervorgebracht, jetzt sind es sechs.“ Auch Totholz setze im Lauf der Jahrzehnte CO2 frei, sagte Riedel. Zugleich kommt das Neuanpflanzen von Bäumen zu langsam voran. „Wenn so eine Kalamitätswelle einmal läuft, dauert sie etwa fünf Jahre.“ Mit dem Ausdruck Kalamität sind Schäden gemeint.
Manche Wälder könnten heute „für einen Endzeitfilm als Kulisse dienen“, sagte Özdemir mit Verweis auf den Harz. Rund ein Drittel der Gesamtfläche von Deutschland ist bewaldet. Seit der vergangenen Waldinventur – anders als die aktuellere Kohlenstoffinventur fand diese schon 2012 statt – ist die Waldfläche etwas gewachsen, um 15.000 Hektar.
Allerdings belastet eine Altlast den Wald. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland vor allem Fichten angepflanzt. Sie wachsen schnell, und ihr Holz lässt sich gut als Baustoff verwenden. Allerdings vertragen sie Trockenheit schlecht. Das machte sie in den vergangenen Jahren so anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer. Die häufigste Baumart in Deutschland ist laut der Waldinventur zwar die Kiefer mit einem Anteil von 22 Prozent, dicht dahinter folgt allerdings mit 21 Prozent die Fichte.
Schon vor dem Antritt der Ampelkoalition standen die Zeichen politisch auf Umbau. Statt der Fichten-Monokulturen soll es mehr Mischwälder mit widerstandsfähigeren Baumarten, etwa der Douglasie, geben. Özdemirs Ministerium vergibt dazu Fördermittel aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Bezüglich der Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen tut sich der Minister dagegen schwer.
Sein Vorhaben, das aus dem Jahr 1975 stammende Bundeswaldgesetz einer Reform zu unterziehen, steckt in den Mühlen der Ampelkoalition fest. Im August gab Özdemir einen Entwurf in die Ressortabstimmung, der – obwohl bereits die entschärfte Version eines früheren Entwurfs – dort seitdem verharrt.
Unter anderem möchte der Minister, dass Kahlschläge von mehr als einem Hektar Waldfläche grundsätzlich nur noch mit Genehmigung der Behörden erlaubt sein sollen. Die im ersten Entwurf geplanten Straftatbestände im Fall von Verstößen hat das Ministerium nach einem Aufschrei von Waldeigentümern wieder gestrichen, es soll bei Ordnungswidrigkeiten und Bußgeldern bleiben.
„Ich reiche meine Hand zur überparteilichen Zusammenarbeit“, sagte Özdemir am Dienstag in Richtung der FDP, die der Reform kritisch gegenübersteht. Bei dem „ein oder anderen“ sieht er für die Blockade vor allem wahltaktische Gründe. „Ah, der hat das Parteibuch als Bundesminister, da wollen wir nicht, dass er mit dem Gesetz noch in dieser Legislaturperiode nach Hause geht.“ Özdemir werden Ambitionen nachgesagt, 2026 Nachfolger des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg werden zu wollen. Offiziell ist sein Wechsel in die Landespolitik aber noch nicht.
Die Umweltorganisation WWF bezeichnete die Ergebnisse der Waldinventur als „erschreckend“. „Wir überfrachten den Wald mit Aufgaben und plündern ihn aus“, kritisierte sie. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) wertete den Bericht hingegen als Bestätigung, „dass Deutschlands Wälder auch im Zeichen der Klimakrise nachhaltig bewirtschaftet werden“.
Zu einem heiklen Thema wollte sich Özdemir nicht äußern: zur Frage, wie es mit Holz als Heizenergiestoff weitergeht. Klimaschützer und auch das Umweltministerium sehen Holz zum Heizen wegen des dabei freigesetzten CO2 seit Jahren kritisch.
Im reformierten Gebäudeenergiegesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird es jedoch als klimafreundliche Heizart eingestuft, die Hauseigentümer nutzen können, wenn sie nicht auf Wärmepumpen oder Fernwärme setzen wollen oder können. Einschränkungen könnten über die Biomassestrategie kommen, an der die Bundesregierung arbeitet. Diese ist bislang jedoch ähnlich wie das Waldgesetz auch nicht über das Entwurfsstadium hinausgekommen.