Streitfrage mit jener Union: Will die SPD möglichst in die Opposition?

Wenn öffentlich wird, dass die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD zu einem ganz bestimmten Thema miteinander gesprochen haben, dann weiß man inzwischen: Es gibt Ärger in der Koalition. Natürlich gehört es zum Tagesgeschäft von Jens Spahn und Matthias Miersch, sich über alles, was für die schwarz-rote Koalition relevant ist, auszutauschen. Aber oft geht es, wie jetzt bei der Stadtbild-Diskussion, um mehr: Schadensbegrenzung, damit es nicht noch einen Konfliktherd in dem Bündnis gibt.
„Die aktuelle Debatte über das Stadtbild polarisiert“, schrieb SPD-Fraktionschef Miersch dieser Tage im Chat der Fraktion. Menschen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, Probleme müssten aber auch benannt werden. Es dürfe keine „einfachen Schuldzuweisungen oder Pauschalisierungen“ geben. Das richtete sich eindeutig gegen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Mit Spahn, schrieb Miersch schließlich noch den Abgeordneten, sei nun vereinbart, dass sich die zuständigen Fachpolitiker zum Stadtbild austauschten.
Die Stadtbild-Debatte in der Koalition geht also weiter – und sie ist gleichzeitig ein Symptom für ein größeres Phänomen, das Spahn kürzlich so zusammenfasste: „Opposition in der Regierung, das hat noch nie funktioniert.“ Konkret bezog er sich auf die Teilnahme von Wiebke Esdar an einer an einer Demo in Bielefeld, die sich gegen Merz’ Stadtbild-Äußerungen richtete. Esdar ist nicht irgendwer, sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion. Schnell ging das Geraune los: Na, dann wisse man ja jetzt, wer eine der 18 Abgeordneten der Koalition war, die Merz im ersten Wahlgang für die Kanzlerschaft die Stimme verweigerten.
Hadern, aber dann doch regieren
Wäre die SPD wirklich lieber in der Opposition als in einer Regierung mit Friedrich Merz und seiner Union? Wohl keine andere Partei hadert so regelmäßig und intensiv mit dem Regieren – und tut es dann doch so ausdauernd wie die SPD. Doch zumindest die Jusos stehen in Gegnerschaft zu dieser Koalition. Sie warben nicht nur dafür, den Koalitionsvertrag abzulehnen, sondern wollen jetzt ein Mitgliederbegehren gegen die Abschaffung des Bürgergeldes initiieren. In der Parteizentrale gibt man sich entspannt bürokratisch: Bis aus einem Mitgliederbegehren für die Parteispitze bindende Politik werde, müssten viele Hürden genommen werden, heißt es.
Vor allem die Vorsitzenden, Bärbel Bas und Lars Klingbeil, haben keinerlei Interesse an Opposition. Klingbeil ist gerade dabei, sein Finanzministerium als Machtzentrale auszubauen. Er glaubt, dass er nur als Vizekanzler an der Seite von Merz die Statur gewinnt, um selbst Kanzlerkandidat zu werden. Ihm und anderen an der Parteispitze steht außerdem noch das Ampel-Ende lebendig vor Augen, vor allem das oppositionsähnliche Verhalten der FDP. Es sei in der Koalition mit der Union überhaupt anders als mit Grünen und Freidemokraten, sagt eine führende Parteilinke. Weniger Ideologie, mehr Pragmatismus. In der Ampel habe es super angefangen, sei aber desaströs geendet. In der schwarz-roten Koalition habe es rumpelig angefangen, könne aber gut werden.
Aber die Stimmung in der Fraktion ist eine andere. Da sind die Karrieren weniger aussichtsreich, der Frust ist dafür umso größer. Es geht ums Stadtbild. Man ist aber auch unzufrieden mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und mit möglichen Pflichtelementen bei der Wehrpflicht. Jetzt gibt es erste Stimmen aus der Union, die an der doppelten Staatsbürgerschaft rütteln wollen. Und spätestens, als die Junge Gruppe in der Unionsfraktion ihrem Ärger über das Rentenpaket von SPD-Arbeitsministerin Bas Luft machte und ihre Sperrminorität als Druckmittel einsetzte, dachten sich auch einige Sozialdemokraten: Warum setzen wir dieses Druckmittel denn nicht selbst ein? Die Koalition hat schließlich nur zwölf Stimmen Mehrheit. Es ist ja egal, wo sie fehlen.
Klingbeil und das Krokodil
Dieses neue Selbstbewusstsein der Abgeordneten ist auch die Reaktion auf eine schwache Führung. Die Leidenschaft von Fraktionschef Miersch gilt der Fachpolitik, den Umwelt- und Energiethemen. Ein Fraktionsvorsitzender aber muss den Überblick bewahren und die Reihen schließen. Miersch ist in der Fraktion durchaus beliebt, aber er gilt vielen Abgeordneten als führungsschwach. Klingbeil, der seinen Vertrauten Miersch auf diesen Posten gehoben hat, ist aber auf ein gutes Fraktionsmanagement angewiesen. Sonst hält die Koalition nicht.
Doch derzeit weiß Miersch gar nicht, welches Feuerchen er als Erstes austreten soll. Vor allem die Migrationspolitik bleibt ein Glutherd. Als im Sommer der Bundestag, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, den Familiennachzug für subsidiär Geflüchtete aussetzen sollte, meldeten sich vorab einige SPD-Politiker bei Miersch und erzählten von ihren Skrupeln. Miersch schaffte es zwar, in etlichen Beichtstuhlgesprächen die notwendige Mehrheit herbeizuführen. Doch nutzte er das danach immer wieder gegenüber Spahn als Argument: Schau, meine Leute hatten solche Bedenken und haben sich trotzdem an das Vereinbarte gehalten.
Damit hat der SPD-Fraktionschef einen Punkt. Es macht aber auch deutlich: Die SPD lebt in dem Gefühl, unter Schmerzen Opfer zu bringen. Die Union hingegen macht sich immer häufiger Dinge zu eigen, mit denen sie eigentlich nichts zu tun hat. Den Bau-Turbo findet sie inzwischen auch ziemlich gut.
Als könnte man Häuser mit Menschen vergleichen, würden einem Sozialdemokraten jetzt vielleicht entgegnen. Denn Unwohlsein gibt es nun auch bei der Reform des europäischen Asylsystems. Der Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sieht unter anderem vor, dass Kinder in Einzelfällen mit ihren Eltern festgehalten und an der Einreise gehindert werden können. Das geht vor allem dem linken Parteiflügel der SPD deutlich zu weit.
Das alles ist eine Warnung an die Union – aber auch an die eigene Parteiführung. Neu ist: Es steht nicht mehr nur Klingbeil in der Kritik, sondern mit dem angestrebten Mitgliederbegehren auch seine Ko-Vorsitzende Bärbel Bas. Die war bis vor Kurzem noch der Liebling der Funktionäre und der Basis. Doch mit ihrem Reformwillen stößt sie einige in der eigenen Partei vor den Kopf.
Klingbeil wird wiederum vorgeworfen, er sei vor allem an der eigenen Karriere interessiert und weniger am Wohl der Partei. Die, die es gut mit ihm meinen, formulieren es so: Bei Klingbeils Arbeitspensum könne man sich gar nicht wirklich um eine Partei von der Größe der SPD kümmern. Solche Erzählungen sind gefährlich, sie können eine Eigendynamik entwickeln. Immer wieder taucht der Name von Hubertus Heil auf, dem früheren Bundesarbeitsminister. Der hält sich derzeit zurück, sagt keinen Ton über Klingbeil und die übrige Führung und führt ein ruhiges und komfortables Abgeordnetenleben im Auswärtigen Ausschuss. In der SPD aber teilt man die Beschreibung eines Spitzengenossen: Wie ein Krokodil im seichten Wasser würde Heil bei Gelegenheit nach vorn schnellen und zupacken.
Source: faz.net