Steve Albini: Der perfekte Lärm

Ein kurzer Ausflug zurück in eine
Zeit, als sich junge Leute neue Musik mithilfe von Kassetten besorgten, die
sie von anderen Kassetten kopierten, die wiederum von Kassetten stammten, die
irgendwann jemand von einer LP überspielt hatte. Die Informationen auf den
Hüllen der kopierten Tapes waren spärlich, Name der Band, Titel des Albums,
Tracklist – man konnte froh sein, wenn die Songs einigermaßen richtig
geschrieben wurden. Man rezipierte die Musik auf diesen Kassetten ohne Metadaten,
und diese waren auch nicht zu beschaffen. Es waren die späten Achtziger-,
frühen Neunzigerjahre, das Internet als Rechercheort existierte noch nicht.

Auf einigen dieser Kassetten war eine Musik zu hören, mit einem sehr besonderen Sound. Zum Beispiel Surfer Rosa, das erste Album der Pixies. Oder PJ Harveys zweite
Platte Rid Of Me. Die Wucht dieser Aufnahmen war so stark, dass sie
selbst Dutzende Kopiervorgänge überlebte. Die Musik wirkte, als stünde das
Schlagzeug unmittelbar an den Membranen der Boxen, als passe zwischen dem Mund und dem Mikro kein Blatt Papier, als sei der
Bass das Zentrum des Universums, und als seien die Gitarren explodierende Sterne. Musik am Anschlag. Und trotzdem im Gleichgewicht. Es war
Indierock, eine subkulturelle Variante des Rock ’n‘ Roll, die sich weniger um
Kommerz kümmerte als um Wirkungsmacht.

Was wir, die damals diese Kassetten
entdeckten und danach nie mehr eine andere Musik hören wollten, erst viel
später erfuhren: Der Typ, der für diesen lebensrettenden Klang verantwortlich
war, hieß Steve Albini.

Steve Albini war das Kind einer Familie mit
italienischen Wurzeln, die sehr häufig umziehen musste, immer dorthin, wo der
Vater Arbeit fand. Nachdem er sich bei einem Motorradunfall ein Bein gebrochen
hatte, begann er aus lauter Langeweile damit, Bass zu üben. Seine musikalische
Erweckung folgte kurz danach im Jahr 1977, als der Teenager mit 15 die Ramones
und damit den Punk entdeckte. Albini lebte damals mit seiner Familie in
Montana und versuchte sich in ersten Bands. Sein Journalismusstudium führte
ihn schließlich in die Metropolregion Chicago, dort schrieb er für Fanzines

Inspiriert vom Do-it-yourself-Ethos der Punkszene probierte Albini
viele Rollen aus. Er war Co-Manager eines Labels, jobbte als DJ auf
Campuspartys, lernte eine Reihe weiterer Instrumente, besorgte sich einen
Vierspurrekorder und nahm eigene Songs auf. Seine erste Veröffentlichung als
Musiker war die EP Lungs, die er mit seinem Ein-Mann-Projekt
produzierte, es hieß Big Black – eine alles umfassende Dunkelheit. Und so klang
auch die Musik. Um Gigs spielen zu können, warb Albini Musiker an, die beiden Big-Black-Alben Atomizer von 1986 und Songs About Fucking von 1987 zählen zu den wegweisenden Platten des Noise-Rocks. „Die Musik erinnert an die
Bohrer, die ein Zahnarzt benutzt“, schrieb ein User auf der Bewertungsplattform Rateyourmusic, „mit dem Unterschied, dass man sie immer und immer wieder hören
will.“

Nach Big Black konzentrierte sich Albini darauf, Musik anderer Bands aufzunehmen. Den
Begriff des „Produzenten“ lehnte er dabei ab, er ließ sich
zumeist als Recording-Engineer bezeichnen – als Dienstleister für seine Kunden, niemand, der sich in die kreativen Belange einmischt. Albini
fabrizierte seinen kompromisslosen Sound, und fertig. „Ich frage überhaupt
nicht, was die Band mit der Musik anstellen will. Das geht mich nichts an“,
sagte er 2015 in einem Interview des Musikmagazins Visions.

Mit der Aufnahme von Surfer Rosa
von den Pixies gelang ihm 1988 der Durchbruch. Steve Albini war es, der den
gespenstischen Sound des Hits Where Is My Mind? prägte. Danach konnte er sich
vor Anfragen kaum retten. Aus aller Welt kamen Bands, um den Albini-Sound
zu erhalten. Die englischen Schrammelkönige The Wedding Present spielten ihr
Meisterwerk Seamonsters bei ihm ein, den Songs der Edelgrunger von Bush gab Albini auf dem Album Razorblade Suitcase eine Tiefe, die sie danach nie
wieder erreichten. Albini rühmte sich damit, alle Anfragen ernst zu nehmen. Wenn eine weniger
talentierte Band sein Studio mit einer schwachen Platte verließ, musste die Band ja
damit leben, nicht er. Trotzdem ist die Liste der schwachen Produktionen nicht
sehr lang. Was bei rund 2.000 Alben, die Albini aufgenommen hat, beachtlich ist. Die
Zahl hat er 2018 selbst geschätzt, ein vollständiges Register existiert nicht.