„Steckst du dann ebenso die ganzen Oligarchen ins Gefängnis?“

Der frühere britische Premier Boris Johnson gilt als großer Unterstützer der Ukraine und zugleich als Trump-Versteher. Einer britischen Autorin gab er detailliert Einblick in ein Notfalltelefonat der G-7-Staats- und Regierungschefs kurz nach Kriegsausbruch – und in einen Streit mit Olaf Scholz.
In diesen Tagen jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine zum dritten Mal. Immer noch verteidigt sich das Land gegen die Armee von Machthaber Wladimir Putin – unterstützt vom Westen, der Moskau sanktioniert hat und Kiew Waffen und Finanzhilfen zur Verfügung stellt. Dass der Krieg so lange dauert, hätten damals, im Februar 2022, nur wenige für möglich gehalten. Zu übermächtig schien die russische Seite, die Ukrainer hingegen unvorbereitet und völlig unzureichend ausgerüstet. Dass der Krieg daher schnell vorüber sein könnte, hielten daher auch viele westliche Geheimdienste und Politiker für wahrscheinlich, darunter offenbar auch Bundeskanzler Olaf Scholz.
Das zumindest geht aus Schilderungen hervor, die der damalige britische Premierminister Boris Johnson zu den Geschehnissen rund um den 24. Februar 2022 macht. Für ihr im Herbst erschienenes Buch „Punishing Putin“ gab Johnson der britischen Autorin Stephanie Baker Einblicke in ein Notfalltelefonat der G-7-Staats- und Regierungschefs, über die hierzulande bislang kaum berichtet worden ist.
„Im deutschen Fall erweckten sie den Eindruck, dass sie glaubten, dass von allen Optionen ein schneller Ausgang – so schrecklich er auch sein möge – vielleicht der schonendste an menschlichem Leben und Leid sein könnte“, schildert Johnson die Haltung der Vertreter Deutschlands kurz nach Kriegsausbruch. Da sich der britische Konservative auf eine kurzfristig anberaumte Notfallsitzung der G 7 bezieht, kann mit „im deutschen Fall“ nur Bundeskanzler Scholz gemeint sein, der damals den Vorsitz der Gruppe innehatte.
Während des Telefonats war „eine Stunde lang die Geheimdienst-Einschätzung diskutiert worden, dass der Krieg schnell vorüber sein würde“, schreibt Baker über die Diskussion der sieben westlichen Industriestaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Großbritannien und USA). Doch die Annahme, dass Kiew schnell fallen würde, „sollte sich als falsch herausstellen“, schreibt Baker.
Eine WELT-Anfrage, ob Johnsons Schilderung akkurat sei, verneinte eine Regierungssprecherin nicht, teilte aber mit: „Die Bundesregierung hat zu jedem Zeitpunkt die Position vertreten, dass eine Unterwerfung der Ukraine durch Russland in jeder Hinsicht abzulehnen ist. Im Übrigen berichtet die Bundesregierung grundsätzlich nicht aus vertraulichen Gesprächen.“ Anfragen von WELT an das Büro von Boris Johnson zu weiteren Details blieben unbeantwortet.
Bakers Buch zufolge hatte Johnson schon vor der G-7-Notfallrunde mit Scholz telefoniert. Auf den Vorschlag Johnsons, dass die G 7 schnellstmöglich den russischen Zugang zum internationalen Zahlungssystem Swift blockieren sollten, soll Scholz ihm gesagt haben: „Swift würde uns wirklich wehtun.“ Grund waren Deutschlands Zahlungen an Russland für russische Energielieferungen.
Als Johnson den Bundeskanzler trotzdem in diese Richtung zu drängen versuchte, entgegnete Scholz den Schilderungen zufolge in verärgertem Ton: „Steckst du dann auch die ganzen Oligarchen ins Gefängnis?“ – und nahm damit Bezug auf die hohe Zahl russischer Oligarchen, die zu diesem Zeitpunkt in London lebten.
Ex-Premier Johnson galt von Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine als der europäische Regierungschef, der sich am klarsten auf der Seite Kiews positionierte. Nach WELT-Information steht Johnson auch regelmäßig in Kontakt mit US-Präsident Donald Trump. Bei persönlichen Treffen in Trumps Anwesen in Mar-a-Lago und per Telefon versucht Johnson den US-Präsidenten demnach zu beeinflussen, einen möglichen Waffenstillstand und künftigen Friedensplan zugunsten der Ukraine und auf Kosten von Wladimir Putin auszuhandeln. Danach sieht es derzeit aber nicht aus – im Gegenteil.
Johnson rief am Mittwoch jedoch dazu auf, Trumps höchst umstrittene Aussagen zur Ukraine nicht zu wörtlich zu nehmen. Diese seien seiner Meinung nach nicht dazu gedacht, historisch korrekt zu sein, sondern um die Europäer aufzurütteln und zum Handeln zu bewegen, schrieb der aus britischen Politik zurückgetretene 60-Jährige auf der Plattform X.
Für ihr Buch hatte Baker auch mit dem engsten Beraterkreis von Johnson gesprochen. „Informanten in der Downing Street sagten mir, dass Johnson Scholz als schwach und weich gegenüber Putin einschätzte. Öffentlich aber die Einheit der Europäer anpries“, so die Autorin. Tatsächlich gab Johnson Anfang März 2022, nur zwei Wochen nach Kriegsbeginn, WELT ein exklusives Interview.
Darin äußerte der Konservative indirekt Verständnis für Scholz. „Es ist wichtig, dass wir im Vereinigten Königreich den Ländern, die massiv von russischen Importen abhängig sind, keine Predigt halten.“
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
Source: welt.de