Start-up Summit: Wenn Christian Lindner Vorzeige… die Krawatte abnimmt
Wenn Schulleiter eine Party für ihre Teenagerklassen organisieren
würden, wäre das Ergebnis mit Sicherheit ziemlich peinlich.
Angenommen, die Schulleiter sind die Bundesregierung, die
verzweifelt versucht, dem Wirtschaftsstandort Deutschland zu etwas mehr
Innovationskraft zu verhelfen.
Und die Teenager sind Start-ups aus ganz Deutschland, die
genau das liefern könnten: eine Vision für die Wirtschaft dieses Landes, die
über Autoindustrie und Stahlhütten hinausgeht.
Dann kommt dabei heraus: der erste Startup Summit,
organisiert von der Bundesregierung. In Berlin. Mit allen wichtigen Schulleitern:
Scholz, Habeck, Lindner. Und vielen Teenagern: Start-ups aus ganz Deutschland.
Warum braucht es überhaupt so ein Top-down-Stelldichein –
hat die Szene doch eigentlich schon Szenetreffen wie die Hamburger OMR oder die
Slush in Helsinki? Kann das funktionieren – deutsche Regierungsbürokratie
trifft auf Jungunternehmen? Und wird Kanzler Olaf Scholz, 66, Sneaker tragen? Der
Tag startet mit Fragen.
Das Setting entspricht schon mal den Klischees: Kicker.
Mitmachinseln. Eine mobile Disco. Eine Leuchtschrift in Neonfarben: „We believe
in unicorns.“ Trotzdem gar nicht so einfach, der Kongresshalle am Berliner
Alexanderplatz einen halbwegs hippen Anstrich zu geben. Alles wirkt etwas
hingewürfelt zwischen Sechzigerjahre-DDR-Architektur. Daran kann auch der DJ auf der
Hauptbühne nichts ändern, der das Publikum mit Technobeats einstimmen soll: Ist
schon klar, Berlin, Szene und so. Aber es ist eben auch morgens um 9 Uhr, die
meisten hier kommen gerade frisch geduscht aus dem ICE oder Hotel und stolpern
nicht zur Afterhour nach einer Keta-Nacht im Club. Erster Cringe-Moment.
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Deutschland ist bisher keine Start-up-Nation
Dass die Bundesregierung diesen Gipfel organisiert hat, ist
Teil ihrer Start-up-Strategie. Diese wurde vor zwei Jahren beschlossen und zielt
darauf ab, die Gründung und Finanzierung für Start-ups zu erleichtern. Über 80
Prozent der Ziele seien erreicht, sagt die Start-up-Beauftragte der
Bundesregierung, Anna Christmann, die Start-up-Gründungen gestiegen. Man ist
also auch hier, um sich ein wenig gegenseitig auf die Schultern zu klopfen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eröffnet das
„schulübergreifende Klassentreffen“, so nennt es die Moderatorin. Er trägt
Sneaker, duzt alle im Saal, wie das halt so üblich ist an diesem Tag. „Wir
wollen die Temperatur messen“, sagt Habeck. Hier treffe man sich, höre die
gleichen Reden, atme die gleiche Luft, stehe vor der gleichen Toilette an –
„daraus entsteht Aufbruch“.
Aufbruchstimmung, weil man zwei Minuten in derselben
Kloschlange gestanden hat? Zweiter Cringe-Moment.
Deutschland ist alles andere als bekannt dafür, Start-ups am
laufenden Band zu produzieren. Messlatte dafür sind sogenannte Einhörner –
Firmen, die über eine Milliarde US-Dollar bewertet werden. 2023 erreichten
DeepL (Übersetzungssoftware), Raisin (Fintech), 1Komma5° (virtuelles Kraftwerk)
und Helsing (Rüstung) erstmals den Einhornstatus. Mit den bereits bestehenden
kam Deutschland damit im vergangenen Jahr auf 32 unicorns. In den USA waren es
über 700. Nun gut.
„Es tut gut, von der Politik wahrgenommen zu werden“
Doch Habeck spricht sich warm, der Zwischenapplaus wird
lauter. „Ihr seid der nächste deutsche Mittelstand. Ihr seid das nächste
Google!“ Er schlägt den Bogen von Klimakrise, Krieg und Stagnation hin zur
Relevanz junger Unternehmen. „Bei euch im Unternehmen werden Lösungen für die Probleme
unserer Zeit geschaffen!“ Er ruft zu Zuversicht auf, die man nicht in Gesetze
gießen könne: „Am Ende muss ein Land sich entscheiden: Wer wollen wir gewesen
sein?“
Habeck hat damit einen Nerv getroffen, das sagen anschließend
viele Gründerinnen und Gründer. In ihrem Alltag hätten sie das Gefühl, gegen
Windmühlen aus einem anderen Jahrhundert zu kämpfen: Bürokratie, kaum
Wagniskapital von den Banken, ewige Genehmigungsverfahren. „Es tut gut, von der
Politik wahrgenommen zu werden“, sagt der Gründer einer Cybersicherheitsfirma,
Nils Karn. Und ein anderer findet: „Endlich wird der Fokus auch auf höherer
Ebene auf uns gelegt.“
Das soll natürlich auch die Sprecherliste unterstreichen:
Habeck, Lindner, Scholz – die Bundesregierung scheint zeigen zu wollen, dass
die Jahre von „Internet ist für uns alle Neuland“ (Angela Merkel, 2013) endgültig
vorbei sind.