Standort Deutschland: Woran welcher Wohlstand hängt

In Deutschland gehen die Lichter aus. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Standortdebatte der zurückliegenden Monate verfolgt hat. Und es stimmt ja auch: Die Wirtschaft wächst nicht mehr, Unternehmen investieren anderswo, Brücken bröckeln und das Bahnnetz ist in einem „bemitleidenswerten Zustand“, wie der zuständige Konzernvorstand selbst einräumt.

Dennoch hat die Standortdebatte eine Schlagseite, die der Sache nicht guttut und dauerhafter Besserung im Weg steht. Und damit ist nicht gemeint, dass die Untergangsrhetorik Wasser auf die Mühlen all jener ist, die Deutschland schon immer am Abgrund gesehen haben und sich jetzt in ihren „Alternativen“ bestätigt fühlen.

Es geht um eine Verengung der Debatte auf Themen, die zwar extrem wichtig sind, die Zukunftsfähigkeit des Standorts allein aber nicht werden retten können. Natürlich brauchen deutsche Betriebe dringend weniger Bürokratie, günstigere Energie und attraktivere Steuersätze. Damit alleine ist der Wohlstand aber nicht zu sichern.

Die größte Baustelle ist die Schulbildung. Im Pisa-Test des Jahres 2022 sind die 15-Jährigen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften auf die niedrigsten in Deutschland jemals gemessenen Werte zurückgefallen. Abgesehen von dem erwartbaren Aufschrei hat dieses Debakel kaum eine Debatte entfacht. Stattdessen werden diejenigen, die den Finger in die Wunde legen, abgekanzelt.

Jüngstes Beispiel: Als Ifo-Bildungsökonom Ludger Wößmann kürzlich dokumentierte, wie undurchlässig das Schulsystem noch immer für sozial benachteiligte Kinder ist und wie miserabel ausgerechnet Bayern in dieser Hinsicht abschneidet, bescheinigte ihm der Chef der dortigen Staatskanzlei „offenkundig von der Sache keine Ahnung“ zu haben. Die „angebliche Expertise“ sei „irreführend, sinnlos und letztlich nutzlos“.

Immer mehr junge Menschen ohne Berufsabschluss

Bloß nicht genauer hinsehen, scheint die Devise zu sein. Dabei ist der Handlungsbedarf größer denn je und der Föderalismus ja genau dafür gemacht, um voneinander zu lernen. Die Ergebnisse sind jedenfalls ungenügend: Fast jeder fünfte junge Erwachsene unter 35 Jahren hatte zuletzt keinen Berufsabschluss. Auch, aber nicht nur durch die Zuwanderung steigt diese Quote rapide. Fast 2,9 Millionen junge Menschen gehen dem Arbeitsmarkt so verloren. Sie haben kaum noch eine Chance, dauerhaft auf eigenen Beinen zu stehen.

Das Problem fängt mit der frühkindlichen Bildung an und mündet darin, dass fast jeder dritte Ausbildungsvertrag vor dem Abschluss aufgelöst wird. Oder anders gesagt: Das Problem ist so gigantisch, dass es einen Neustart im Stil der Hartz-Reformen braucht. Das damalige Mantra vom „Fördern und Fordern“ passt auch auf das Bildungssystem. Bessere Angebote, ja. Aber wer sein Kind in die Grundschule schickt, muss auch dafür sorgen, dass es vorher einen Kindergarten besucht hat und ausreichend deutsch spricht. Eine Kindergartenpflicht im Vorschulalter wäre ein harter Eingriff und kein Allheilmittel – angesichts der Bildungsbilanz muss sie aber dringend diskutiert werden.

Potential von Frauen heben

Die zweite große Säule, die den Standort dauerhaft stärker machen könnte, sind die Frauen. Jede zweite arbeitet in Teilzeit, Kinderbetreuung spielt dafür eine untergeordnete Rolle. Das Potential für die Volkswirtschaft ist riesig: In Amerika gehen 60 Prozent des Wirtschaftswachstums seit 1960 auf die stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen zurück, in Deutschland ist noch Luft nach oben. Die Hebel dafür: Minijobs abschaffen, Kitas ausbauen und das Ehegattensplitting reformieren. Es geht dabei übrigens nicht darum, die Frauen gegen ihren Willen auf den Arbeitsmarkt zu drängen oder liebgewordene Rollenbilder zu zerstören. Es geht schlicht um das, was auch sonst im Steuer- und Sozialsystem das übergeordnete Ziel ist: finanziell und nicht-finanziell die besten Anreize für möglichst viel gut bezahlte Arbeit und größeren gesellschaftlichen Wohlstand zu schaffen.

Es ist bequemer, diese Themen nicht anzugehen. Rentengeschenke sind für Politiker verlockender als Reformen, die sich erst in mehreren Jahren auszahlen. Aber es muss sein und zwar schnell. Wo sonst sollen die bis zu 500.000 Pflegekräfte herkommen, die in zehn Jahren voraussichtlich fehlen werden? Wer soll die knapp 13 Millionen Babyboomer ersetzen, die in den kommenden 15 Jahren in Rente gehen werden? Wie soll in diesem an Rohstoffen armen Land dauerhaft mehr erwirtschaftet werden, wenn nicht alle Talente so gut wie möglich genutzt werden? Wenn diese Dringlichkeit nicht erkannt wird, dann, ja dann, drohen in Deutschland die Lichter weniger hell zu leuchten.