Stahlgipfel Duisburg: Stimmung in dieser Stahlindustrie ist aufgeheizt
Grüne Transformation, niedrige Preise, schwache Konjunktur, wenig Nachfrage aus der Autoindustrie, Konkurrenz auf den Weltmärkten – die Lage in der Stahlbranche ist angespannt. Mehr als 350 Branchenvertreter und Politiker haben sich deshalb an diesem Montag in der Duisburger Mercatorhalle zu einem „Stahlgipfel“ getroffen – auf Einladung des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums. Das Treffen sei „mehr als nur eine Veranstaltung“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Es sei auch ein Signal, „dass wir die großen Herausforderungen dieser Zeit entschlossen angehen“.
Wie aufgeheizt die Stimmung ist, ließ sich schon Stunden zuvor spüren, draußen auf der Straße. Aus allen Stahl produzierenden Bundesländern waren auf Einladung der IG Metall Beschäftigte nach Duisburg gereist, viele Hundert Menschen machten ihrer Sorge mitten in der Duisburger Innenstadt Luft. Sie waren zum Teil in Warnwesten oder Arbeitskleidung mit Helmen und Schutzbrillen gekommen und riefen: „Stahl ist Zukunft.“ Auf den Plakaten war zum Beispiel zu lesen: „Thyssenkrupp-Arbeiterinnen sind nicht allein“. Oder: „Zieht uns nicht den Stecker“. Zu ihnen gewandt fand Wüst deutliche Worte: „Wir müssen zurückkommen zu verlässlicher Mitbestimmung.“ Die Gewerkschaften hätten ihren Teil getan, das Land habe seinen Teil getan, jetzt sei das Unternehmen dran, sagte er mit Blick auf die derzeitigen Verwerfungen bei Thyssenkrupp.
Jürgen Kerner, der zweite Vorsitzende der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied im Thyssenkrupp-Konzern, sagte während der Kundgebung: „Wir sind bereit zu Veränderungen, erwarten aber Unterstützung der Politik.“ Er forderte einen Industriestrompreis. Zu den Unternehmen gewandt forderte er: „Hört auf mit den Verlagerungen ins Ausland. Wer sich jetzt verdrückt, versündigt sich an den Beschäftigten. Eigentum verpflichtet.“
Bundeskanzler Scholz war nicht gekommen
Aus der Stahlindustrie war zu hören, der für sie relevante Börsenstrompreis liege derzeit bei rund 9,7 Cent je Kilowattstunde. Das sei mehr als doppelt so hoch wie in Frankreich und dreimal so hoch wie in Spanien oder Portugal. Kritisch wurde vermerkt, dass weder der durch Zentralasien reisende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch ranghohe Vertreter seines Kanzleramts am Stahlgipfel teilnähmen. Und das, obgleich Scholz im Bundestagswahlkampf einen Industriestrompreis von 4 Cent versprochen habe.
Habecks Haus teilte vor der Rede des Ministers mit, es sei das gemeinsame Ziel auf dem Stahlgipfel, „die Stahlindustrie in Deutschland zu halten, klimaneutral aufzustellen und zukunftsfähig zu machen, besonders auch mit Blick auf die Arbeitsplätze“. Seit dem ersten Nationalen Stahlgipfel 2018 sei man dem Ziel einer wettbewerbsfähigen und klimaneutralen Stahlindustrie am Wirtschaftsstandort Deutschland „ein gutes Stück nähergekommen“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Viele Punkte des Handlungskonzepts Stahl seien schon verwirklicht oder befänden sich derzeit in der Verwirklichung. „Deutschland und Europa sind global Vorreiter bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie“, sagte sie. „In Deutschland soll bis 2030 rund ein Drittel der deutschen Rohstahlkapazität klimaneutral umgestellt sein.“
CDA-Chef Radtke: Es braucht einen „europäischen Stahlpakt“
Ein konkreter Vorschlag, wie die europäische und die deutsche Politik der Stahlbranche helfen könnte, kam von dem neuen Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem Europaabgeordneten Dennis Radtke. Er sagte der F.A.Z.: „Mit Blick auf die Automobilindustrie, die wesentlicher Kunde der Stahlindustrie ist, ist für mich klar: Die 15 Milliarden Euro Strafzahlungen im nächsten Jahr wegen nicht erreichter Flottenziele zum Kohlendioxidausstoß müssen ausgesetzt werden, damit die Situation sich nicht noch weiter verschärft.“ Auch Radtke forderte einen vergünstigten Industriestrompreis, welcher den Unternehmen für die kommenden sechs Jahre Planungssicherheit geben müsse.
Zudem bedürfe es eines „europäischen Stahlpakts“, der Betriebe, Gewerkschaften und Betriebsräte an einen Tisch bringe. „Es muss ein verbindlicher Zeitplan her, wann welche Maßnahme umgesetzt wird“, sagte der CDU-Politiker. „Wir müssen ran an Themen wie Beihilferecht und das Vergaberecht.“ Des Weiteren verlangte der neue Chef des Arbeitnehmerflügels der Union höhere „Mindesteinfuhrpreise als Antwort auf den chinesischen Preiskampf“. Radtke resümierte: „Wir brauchen jetzt schnell wuchtige Signale aus Berlin und Brüssel, das Zeitfenster für die Stahlindustrie schließt sich.“
Die Herausforderungen für die Stahlproduktion sind aktuell riesig. Die Branche ist für rund sieben Prozent des gesamten Treibhausgasausstoßes in Deutschland verantwortlich. Abhilfe schaffen sollen neue Stahlerzeugungsverfahren, unter anderem mit grünem Wasserstoff. Als künftige Großabnehmerindustrie soll die Stahlbranche umgekehrt den Wasserstoffhochlauf unterstützen. Der Bau der dafür nötigen Großanlagen wird deshalb vom Staat mit mehreren Milliarden Euro gefördert.
Doch ausgerechnet mit Blick auf eines dieser Vorzeigeprojekte von Robert Habeck hatte es zuletzt große Verwerfungen gegeben: Eine mit rund zwei Milliarden Euro Staatsgeld subventionierte Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) soll beim größten deutschen Stahl-Spieler, Thyssenkrupp Steel (TKSE), künftig einen Hochofen ersetzen. Doch rund um die Restrukturierung und Teilherauslösung der kriselnden Sparte aus dem Thyssenkrupp-Konzern hatte es einen großen Streit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft und zwischen Arbeitnehmer- und Anteilseignerseite gegeben.
Vor etwas mehr als zwei Wochen waren im Zuge dieses Streits sieben hochrangige Stahl-Manager von TKSE zurückgetreten. BDI-Präsident Siegfried Russwurm, der zugleich Aufsichtsratschef des Thyssenkrupp-Konzerns ist, hatte im Anschluss angedeutet, dass das Vorzeige-Grünstahl-Projekt durch mögliche Mehrkosten bedroht sei, manche sahen den Bau der DRI-Anlage, der sich noch in einem sehr frühen Stadium befindet, schon komplett wanken. Thyssenkrupp-Chef Miguel López hatte hingegen zuletzt der F.A.Z. gesagt: „Aktuell gehen wir davon aus, dass die Direktreduktionsanlage unter den gegebenen Rahmenbedingen realisiert werden kann.“
Habeck hatte schon am Montagmorgen dazu deutliche Worte gefunden: „Es gibt in Duisburg unternehmerische Entscheidungen, die das gefährden, was wir aufgebaut haben“, sagte er während eines Besuch eines Gründerzentrums der RAG-Stiftung. Thyssenkrupp müsse wieder „konsistent an einer Linie arbeiten“.
Wüst mit Forderungen an Thyssenkrupp-Konzern
Auch Wüst erinnerte in seiner Rede in Duisburg an die Tradition der Mitbestimmung, die immer selbstverständlich gewesen sei. „Jetzt ist es gerade nicht selbstverständlich.“ Die resultierende Angst und Sorge brauche niemand. „Deswegen müssen wir zurückkommen zum verlässlichen Umgang, zum ordentlichen Umgang, zu einer gelebten Mitbestimmung.“
Der Thyssenkrupp-Konzern müsse beantworten, wie die künftige Struktur aussehe. Da seien noch viele Fragen offen. „Eine Frage hingegen ist klar beantwortet: Wir stehen zu unseren Zusagen, die grüne Transformation zu unterstützen.“ Land und Bund stünden zu ihrem „Commitment“ zum Bau der DRI-Anlage in Duisburg. „Das zeigt: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, jetzt ist das Unternehmen dran.“