Sprachzauberer: Fluxus-Künstler Ben Vautier gestorben

In der Kunsthalle Bremen ist seit kurzem ein funkelndes, beim Publikum sehr beliebtes Objekt zu sehen. Es erinnert aus der Ferne an einen wild überladenen Kiosk, wie man ihn in Badeorten an der Strandpromenade findet, und ein bisschen auch an die alten Trödelläden, die längst aus den Innenstädten verschwunden sind. Tritt man näher, erkennt man, dass die Bude aus einer surrealen Zusammenstellung von Bildschirmen, Discokugeln, plüschigen Stilmöbeln, Flohmarktzeugs und handschriftlichen Botschaften besteht. Vor allem diese Texttafeln verraten, dass „Bizart Baz’Art“ ein Werk des Künstlers Ben Vautier ist. Die in einer verträumt kringeligen französischen Schulhandschrift verfassten Slogans, die den Kiosk überziehen, sind über die Jahre zum Erkennungszeichen des 1935 in Neapel geborenen Künstlers geworden.

Viele seiner Slogans wurden populär

Manchmal verursachten diese handgeschriebenen Botschaften politischen Aufruhr, etwa als Vautier 1992 das Motto „Die Schweiz existiert nicht“ am Schweizer Pavillon bei der Weltausstellung in Sevilla anbringen ließ; manche seiner Slogans wurden auch als Postkarten an Behördenpinnwänden und Kühlschränken populär, etwa die Weisheiten „Geld ist ego“ oder „I don’t buy therefore I am“. Schreiben bedeutete Worte zu malen, lautete das Credo, mit dem er die alte Nähe von Malerei und Schrift ins Zeitalter des Fluxus überführte. Vautier war eine der bekannteren Figuren dieser Kunstbewegung. Er stammte aus einer Schweizer Künstlerfamilie, sein Vater siedelte sich 1949 in Nizza an. Den Schreibwarenladen, den seine Mutter ihrem Sohn Ben dort 1958 kaufte, damit er selbstständig werde, verwandelte er schnell in einen Plattenladen, um ihn sodann mit Botschaften und Objekten vollzuhängen; er wurde zu einem zentralen Ort und zur sozialen Herzkammer des Fluxus.

Aus vielen Ländern strömten Künstler nach Nizza, organisierten Performances und zeigten ihre Werke in Vautiers Kiosk. Der betrieb die programmatische Aufweichung der Grenzen von Kunst und Leben mit großer Entschlossenheit: Einmal beschloss er, alles zu verkaufen, was man eigentlich nicht verkaufen kann, darunter „Illusionen, Lügen und Löcher“; einmal signierte er frei nach Duchamps Motto, dass ein Kunstwerk überhaupt erst durch die Signatur eines Künstlers zur Kunst werde, alles, was sich signieren ließ, auch die Werke anderer Künstler und seinen eigenen Körper. Ein andermal gründete er eine Zeitschrift mit dem Titel „Ben Dieu“, bei der schon der Titel zeigte, wie er ohne Angst vor Klamauk den Starkult der Konsumgesellschaft und die Selbstvergötterung ihrer Stars heiter auseinandersprengte.

1972 nahm Vautier an der Documenta Harald Szeemanns teil, wo er für seine Privatmythologien gefeiert wurde. Ein Jahr später machte er seinen Plattenladen dicht, der mittlerweile zu einem Gesamtkunstwerk herangewachsen war und zu einer Hommage an die anarchischen Überlagerungen von Dingen, Vorhaben und Botschaften, die die Freiheit der Großstadt ausmachen. Das „Magasin“ befindet sich heute, konserviert im Zustand von 1973, in der Sammlung des Centre Pompidou, der Kiosk, ein später Wiedergänger des französischen Originals, in Bremen. Wie seine Kinder mitteilten, ist der achtundachtzigjährige Vautier am vergangenen Donnerstag wenige Stunden nach dem Tod seiner Frau, mit der er über sechzig Jahre verheiratet war, freiwillig aus dem Leben geschieden.

Source: faz.net