Spotify Unwrapped: Neue Kampagne ruft zum Boykott des Streaming-Giganten hinauf
Werbung für ICE, Millionen für die Rüstungsindustrie und weiterhin leere Taschen für unzählige Musiker:innen. Eine in den USA gestartete Kampagne ruft zum Verzicht von Spotify auf. Es geht um politische Inhalte, aber auch KI-Slops
Spotify ist seit Jahren bei Künstler:innen und Fans unbeliebt. Dennoch ist die Plattform Marktführer im Musikstreaming. Dieses Jahr ging es vor allem um rechte KI-Slops in den Charts und Werbung für die Behörde ICE und Millioneninvestitionen in der Rüstungsindustrie
Foto:Lagencia/Imago Images
Das Musikjahr 2025 war für den Streaming-Branchenführer Spotify, zumindest was die Schlagzeilen anbetrifft, kein sonderlich gutes. Die Plattform wird mit gefakter KI-Musik überflutet, äußerst fragwürdige KI-Songs wie „We are Charlie Kirk“ landeten auf Platz 1 der Viral Charts und erst im November tauchte in den Niederlanden KI-generierte Musik mit rechtsextremen Inhalten in den Charts auf.
Entweder ist das Unternehmen von Daniel Ek völlig überfordert, der Überschwemmung von gesellschaftlich zersetzenden KI-Slops Einhalt zu gebieten, oder zeigt schlichtweg nur wenn überhaupt moderates Interesse an der Entwicklung vernünftiger Filter und Sicherheitsmechanismen. Mehr als 20.000 neue KI-Songs werden pro Tag auf den Streaming-Plattformen veröffentlicht. Tendenz steigend. Auch werden die generativen KIs von Tag zu Tag besser. Fake-Bands wie Velvet Sundown machten dieses Jahr ebenfalls Schlagzeilen. Wie der französische Streamer Deezer in einer aktuellen Studie zeigte, können heute97 Prozent der Musikkonsumierenden nicht mehr unterscheiden, ob Musik von Menschen stammt oder von einer KI geschaffen wurde. Kulturpessimistisch könnte man fragen: Wen kümmert es also noch?
Die Adventszeit hat sich im Laufe der Jahre auch als Zeit der persönlichen Rückblicke (Spotify Wrapped) etabliert. Soziale Medien sind dieser Tage voll mit individuellen Charts, Lieblingsacts und der meistgehörten Songs. Das ist natürlich nett und jeder kann sich mit seinem Musikgeschmack profilieren oder das Jahr Revue passieren lassen, was durchaus wichtiger Teil einer diskursiven Musikkultur sein kann. Der Widerstand gegen den Marktführer wächst aber stetig. So startete nun die Kampagne Spotify Unwrapped, die zum Boykott des Musikgiganten aufruft. Dahinter stehen drei Organisationen, die auch die No-Kings-Proteste in den USA mitorganisierten (Working Families, 50501 Movement und Invisible Project).
Spotify spielt Rekrutierungswerbung für ICE
Spotify Unwrapped kritisiert unter anderem die Investitionen von Daniel Ek in das Münchener Kriegsdrohnen- und KI-Unternehmen Helsing in Höhe von 600 Millionen Euro, was einige Acts dazu bewegte, ihre Musik von der Plattform zu nehmen. Außerdem wird kritisiert, dass bei Spotify Rekrutierungswerbung für die Deportationsbehörde ICE geschaltet wurde. Für rund 64.000 Euro soll das Department for Homeland Security Werbespots in diesem Jahr bei Spotify inseriert haben. Nicht zuletzt bleibt der (mittlerweile permanente) Vorwurf, dass Eks Unternehmen Milliardenprofite auf Kosten von Millionen Künstler:innen-Existenzen macht, die weiterhin mit Mikrocent-Beträgen versuchen müssen, über ihre Runden zu kommen.
Gegenüber der Musikwebseite Consequence äußerte sich Ezra Levin, Mitbegründer der Graswurzelbewegung Indivisible, wie folgt: „Eigentlich soll Spotify Wrapped jedes Jahr Künstler und Hörer feiern. Dieses Jahr hat sich Spotify stattdessen mitschuldig gemacht. Die Firma beutet nicht nur die Arbeit von Künstlern aus, sondern rekrutiert gleichzeitig im Stillen für ICE, eine Geheimpolizei, die Familien auseinanderreißt.“ Spotify mache nicht nur beim autoritären Kurs der Trump-Regierung mit, dieser würde sogar verstärkt. Dabei funktioniere Spotify nur durch die Abermillionen Musikhörer:innen, die den Service nutzten. „Jetzt liegt es an uns allen, sie zur Rechenschaft zu ziehen“, so Levin.
Auf der Webseite von Spotify Unwrapped lassen sich Social-Media-taugliche Clips und Bilder runterladen, die über die eigenen Accounts geteilt werden können, um mehr Bewusstsein zu schaffen und Kritik in der eigenen Community aufzubauen. Nicht zuletzt macht Spotify Wrapped auch deutlich, was für Daten im Laufe der Zeit auf der Plattform generiert werden und womöglich auch an Drittanbieter verkauft. Denn Spotify liest nicht nur mit, welche Musik, wann gehört wird, auch werden Bewegungsdaten und Geolocation-Daten erfasst. Der Streamer weiß ziemlich genau, welche Musik oder welcher Podcast auf Reisen, beim Joggen oder auf der eigenen Couch gehört wird. Daraus werden Rückschlüsse gezogen und Profile angelegt.
Es braucht Druck von unten
Bisweilen noch mit ziemlich kontingenten Ergebnissen. So können User sich auch errechnen lassen, was sie für ein Höralter (ähnlich dem biologischen Alter) haben. Das sorgte zuletzt für Irritationen. Vielen jungen Menschen wurden aufgrund ihres Musikkonsums Altersprofile von 70 bis 90 angezeigt. An und für sich nicht die Kernzielgruppe des Anbieters, zeigt aber, auf welchen Wegen versucht wird, die ständig produzierten Daten auszuwerten und vermarktbar zu machen.
Daniel Ek wird zum 1. Januar 2026 von seinem Posten als CEO abtreten und stattdessen den Vorstandsvorsitz übernehmen. Dass das mit einem grundlegenden Strategiewechsel einhergeht, dürfte indes fraglich bleiben. Dafür könnte es umso wichtiger sein, Druck, wie von Spotify Unwrapped gefordert, von unten aufzubauen. Von Musiker:innen, kleinen Labels, aber vor allem den Musikfans.