Spotify & Co.: Warum ich wieder CDs höre

Es begann mit „Autumn Leaves“. Nat King Cole sollte es sein, doch der Algorithmus schob mir Elvis und Ella Fitzgerald hinterher, als wäre mein Geschmack ein frei bespielbares Territorium. Da kramte ich meine alte CD-Sammlung hervor


Sie dreht und dreht sich und hört sich toll, wenn sie keine Kratzer hat: die gute, alte CD

Foto: IMAGO


Neulich, als ich auf dem Sofa etwas erschöpft auf meinem Handy strich und bei Apple Music den Song Autumn Leaves suchte, während draußen die Bäume schon fast kahl waren und es unaufhörlich regnete, überlegte ich, in welcher meiner vielen CD-Taschen sich wohl Nat King Cole versteckt haben könnte. Er hat die schönste Version dieses Klassikers mit viel Schmalz in der Stimme aufgenommen, leider ist sie nur 2:40 Minuten lang.

Ich drückte auf Play in der App und blieb sitzen. Um weiter Musik zu hören, muss man nicht mehr aufstehen oder überhaupt den Finger rühren. So befahl der Algorithmus als Nächstes Dean Martin, dann schickte er Sinatra und Ella Fitzgerald ins Rennen. Künstler, die ich natürlich auch sehr verehre, aber auf die ich gerade keine Lust hatte.

Vielleicht lag es auch am tristen Wetter dort draußen, dass ich plötzlich die unheimliche Monotonie einer Welt spürte, in der Musik nicht mehr bewusst beginnt oder endet, sondern lediglich fortlaufend weiterplätschert. Es gibt keinen Anfang mehr. Keine Entscheidung. Kein Moment des bewussten „Jetzt dieses“. Man hört nicht mehr, man wird gehört. Und ich hörte mich sagen: „Es reicht.“

Sollte ich mal wieder auflegen, nicht streamen

Ich ging zum Regal im Flur und blickte auf acht riesige und fünf kleine schwarze CD-Taschen. Sie wirkten wie ein Relikt, wie eine kulturhistorische Übergangsform zwischen Sony-Walkman und Datengrab – und buchstäblich angestaubt war sie auch, meine alte CD-Sammlung.

Noch vor zehn Jahren füllte sie imposant ein ganzes Billy-Regal samt Aufsatz, dann musste sie neuen Büchern weichen. Ich bestellte mir – natürlich online – sehr günstig diese Taschen, warf die Plastikhüllen weg (behielt aber wehmütig die schönsten Booklets), steckte die CDs in die milchig-transparenten Hüllen, ordnete sie grob nach Soul, Pop, Rock, Singer-Songwriter, Vocal- oder Non-Vocal-Jazz, die Klassik nach Komponisten (Mozart führte haushoch) – und vergaß sie.

Naja, fast. Ich hatte ja gerade an Nat King Cole und die vielen Compilations und an drei oder vier richtige Alben von ihm gedacht, die ich vor vielen Jahren gekauft hatte. Auf Nat King Cole Sings for Two in Love befindet sich Autumn Leaves. Um es zu finden, musste ich fast 20 Minuten durch die Taschen blättern.

Mittlerweile hatte sich iTunes für Elvis’ In the Ghetto entschieden. Kann man machen. Meine Liebe zum King aus Kindertagen ist schließlich nie abgebrochen, ich habe etwa 40 CDs von ihm. Remastered, beste Soundqualität. Sollte ich vielleicht mal wieder auflegen. Ja, auflegen, nicht streamen.

Natürlich ist es bequem, das neue Taylor-Swift-Album mit einem Wisch zu starten – wenn man es denn hören will.

Ein Vermögen für CDs

Doch mittlerweile sitze ich wieder in dem Zimmer, wo die Anlage steht, und nicht nebenan, wo mich das Gestreamte als Klangteppich erreicht hatte. Der Sessel ist im klassischen Stereo-Hördreieck platziert. Es ist ein merkwürdiges Gefühl: dieses Aufpoppen einer alten Vertrautheit. Sie war mir damals lieb und sehr teuer: Ein Vermögen schleppte ich als Schüler und Student zu Saturn und Zweitausendeins. Dagegen mögen die monatlichen 10,99 Euro für Apple Music lächerlich klingen. Aber kann man mit ihnen die Stunden an Regalen in den CD-Läden zurückkaufen? Die Hoffnung, Enttäuschung, Überraschung?

All das steckt in jeder CD-Tasche. Zumal, wenn man nach all den Jahren doch meist das Gleiche hört wie damals – und ein Album von Anfang bis Ende. Manchmal fische ich danach ein neues aus der Tasche. Und ja, dafür muss ich aufstehen. Das sollte man eigentlich immer, wenn einem etwas wirklich wichtig ist.