Spanien | Spanien: Das juristische Nachspiel jener Flutkatastrophe vom Oktober hat begonnen
Die Regionalregierung von Valencia versucht, ihr Versagen auf Premier Pedro Sánchez in Madrid und sein Kabinett abzuwälzen, doch gibt es bereits erste Anklagen in Valencia
Demonstranten in Valencia fordern den Rücktritt des Regionalpräsidenten Carlos Mazon
Foto: Jose Jordan/AFP/Getty Images
Erschütterung und Entsetzen waren groß. Bei der Flutkatastrophe in der Autonomen Region Valencia Ende Oktober 2024 starben mehr als 200 Menschen. Die Abkürzung DANA (Depresión Aislada en Niveles Altos) für ein meteorologisches Extrem – auf Deutsch: „isoliertes Tief in hohen Schichten“ – gehört seither zum Repertoire der Umgangssprache.
Die rechte Volkspartei (Partido Popular/PP), die in der Region unter dem Präsidenten Carlos Mazón regiert, hat nach anfänglicher Schockstarre eine beispiellose Manipulations- und Lügenkampagne in Gang gesetzt. Nachdem es erst viel Dank an den sozialistischen Premierminister Pedro Sánchez für die zugesagte materielle und finanzielle Hilfe gab, wurde plötzlich der „Chip“ gewechselt.
Der Madrider Regierung, die in diesem Fall wegen des Autonomiestatus der Region über so gut wie keine Kompetenzen verfügt, wurde unversehens die Schuld am chaotischen Management der Katastrophe zugeschoben: Die Sozialisten hätten die Toten auf dem Gewissen. Der Partido Popular bleibt dabei, auch wenn die Geschehnisse vor fünf Monaten das nicht hergeben.
Tatsächlich hatte unmittelbar vor dem Unwetter der nationale Wetterdienst AEMET die heraufziehende Gefahr beschworen und die für die Region zuständige Gewässerbehörde CHJ vor schweren Überflutungen gewarnt. Obwohl an einigen Orten die Schulen geschlossen wurden, blieb die regionale Regierung auf Tauchstation. Vom zuständigen Integrierten Operativen Koordinationszentrum (CECOPI) war nichts zu hören, das Handy-Alarmsystem für die Bevölkerung wurde am Katastrophentag erst gegen 20 Uhr aktiviert, als bereits große Teile der Region unter Wasser standen und sich die Vermisstenmeldungen häuften.
Die Verantwortlichen erschütterte das nicht sonderlich. Präsident Mazón gab um diese Zeit zum Besten, das Schlimmste sei bereits vorbei. Danach wurde er für einige Stunden nicht mehr gesehen. Bis heute hat er nicht erklärt, wo er war. Später fanden sich Zeugen, die ihn im „El Ventorro“, einem kleinen, exklusiven Restaurant, in Begleitung der Journalistin Marina Valdés gesehen hatten.
Über seine Rückkehr ins CECOPI, das Operationszentrum der Regierung, brachte Mazón mehrere Versionen in Umlauf. Zunächst nannte er einen frühen Zeitpunkt, um seine fragwürdige Abwesenheit zu verkürzen, dann einen späteren, der nach dem Handy-Alarm lag, um für dessen Text in einem möglichen Strafverfahren nicht verantwortlich gemacht zu werden. Der Partido Popular blieb dabei, die Madrider Regierung sei für die Toten verantwortlich: Sie hätte den nationalen Notstand ausrufen und das Militär mobilisieren müssen. Die Schuldige sei Teresa Ribera, Ministerin für Ökologie und Demografie, inzwischen Kandidatin für die Vizepräsidentschaft der EU-Kommission in Brüssel, was der PP mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, beteiligte sich an diesem Manöver. Da aber der Proporz bei der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgesehenen Postenverteilung wackelte, gab es einen Deal: die Sozialistin Teresa Ribera im Paket mit Raffaele Fitto, dem Kandidaten der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni.
Mittlerweile nun stehen einstige Mitglieder der Regierung in Valencia vor Gericht. Deren Präsidenten rettet bisher nur seine Immunität vor Strafverfolgung. Die bewahrt ihn allerdings nicht davor, die Öffentlichkeit meiden zu müssen, wo aufgebrachte Menschenmengen seinen Rücktritt verlangen, ihn niederbrüllen oder gar angreifen. So blieb Carlos Mazón in diesem Jahr dem Eröffnungsakt der „Fallas“, eines Riesenfestes in Valencia, fern. Für den Kongress der EVP, der in Valencia stattfinden sollte, wurde erst Madrid erwogen, dann aber blieb man beim ursprünglichen Veranstaltungsort. Alberto Núñez Feijóo, Parteichef des PP, versucht, sich diskret der Last Mazón zu entledigen, scheint aber nicht zu wissen, wie er ihn loswerden soll,
Nuria Ruiz Tobarra, die gegen entlassene Mitglieder von Mazóns Regionalregierung ermittelt, hat dieser Tage Anklage erhoben, nicht zuletzt gegen die Ex-Ministerin Salomé Pradas. Die Richterin hat alle Versuche zurückgewiesen, die Schuld an der Katastrophe der Madrider Regierung zuzuschieben. Solange ihn sein Amt gegen eine Anklage schützt, macht Mazón keinerlei Anstalten, den immer lauter werdenden Rücktrittsforderungen nachzugeben. Freilich muss er zur Kenntnis nehmen, dass es in Spanien noch Richterinnen und Richter gibt, die ihr Amt ernst nehmen. Sogar die rechten Kloakenmedien lassen gegenwärtig – von Ausnahmen abgesehen – Zurückhaltung walten bei Attacken gegen das Mitte-links-Kabinett in Madrid.