Spanien: Adios Gewaltenteilung, dasjenige Oberste Gericht macht Politik

Wenn es noch eines Beweises für die Lust der spanischen Justiz an Kampfansagen gegen die Politik („lawfare“) bedurfte, so wurde der gerade durch zwei Video-/Audioclips im Internet erbracht. Der erste offenbart den Extrakt eines Telefonats von Joaquín Aguirre, Richter am Untersuchungsgericht Nr. 1 in Barcelona. Darin prahlt der Jurist: „Ich habe das Amnestiegesetz zu Fall gebracht, klar – das war ich. Und die Regierung hält noch zwei ‚Tagesthemen‘ lang. Ja, zwei. Jemand musste Partei ergreifen, und das war ich.“

Aguirre hatte die „russische Spur“ erfunden: Geheimverhandlungen von Carles Puigdemont, Ex-Regierungschef von Katalonien, mit Russland. Von dort sollte nach einer Unabhängigkeitserklärung notfalls militärischer Beistand kommen. Für die Anwälte von Puigdemont sind die Ausführungen von Aguirre eine „angekündigte Rechtsbeugung“. Sie beantragten beim Höchsten Gerichtshof Kataloniens (TSJ Cataluña) eine Suspendierung des Richters. Die Entscheidung steht aus.

Die monatelangen Ermittlungen von Aguirre liefen derart ins Leere, dass das Oberste Gericht der Provinz Barcelona die Einstellung der Ermittlungen anordnete. Statt sich daran zu halten, verlängerte der Richter seine „Nachforschungen“ um sechs Monate. Seitdem spricht er öffentlich von der Absicht, Puigdemont wegen „Hochverrats“ den Prozess machen zu wollen. Und was wollte er mit den „zwei ,Tagesthemen‘“ sagen, die der Mitte-links-Regierung von Pedro Sánchez in Madrid noch bleiben? Aguirre bezog sich auf einen Auftritt in den Tagesthemen der ARD und prahlte damit. Das führt zum zweiten Videoclip, dem Ausschnitt aus einem Interview mit der ARD vom 30. Januar. Dabei sagt der Richter: „Es geht um den direkten russischen Einfluss auf den Prozess der Unabhängigkeit Kataloniens: Die Unabhängigkeit wurde mit dem Ziel unterstützt, zunächst die spanische Demokratie zu destabilisieren und dadurch eine Hintertür zu öffnen, um alle liberalen Demokratien des westlichen Europas zu infiltrieren.“ Das Schwadronieren eines spanischen Richters, der sich nach seiner kurzen Präsenz im deutschen Fernsehen für berühmt hielt.

Richter werden zu Rächern

Bislang hat die spanische Regierung länger als zwei Tagesthemen überlebt, doch nun kommt ihr möglicher Todesstoß aus einer anderen Richtung. Die „lawfare“ vorausahnend, war im Amnestiegesetz präzisiert worden, dass die „Veruntreuung“ öffentlicher Gelder unter die Amnestie falle – es sei denn, jemand habe sich persönlich bereichert. Das Kollegium der Staatsanwälte hatte daraufhin im Juni mehrheitlich beschlossen, nach dem Gesetzestext falle die Puigdemont vorgeworfene „Veruntreuung“ unter die Amnestie. Was das Oberste Gericht nicht auf sich sitzen lassen konnte. Pablo Llarena, einer der „lawfare“-Feldherren – seit Jahren durch seine erfolglosen europäischen Haftbefehle gegen Puigdemont frustriert (einen hob 2018 das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein auf) –, wechselte von der Rolle des Richters in die des Rächers. Er beantragte, den Haftbefehl wegen „Veruntreuung“ trotz Amnestie aufrechtzuerhalten. Die für die katalanischen „Separatisten“ zuständige Strafkammer des Obersten Gerichts in Madrid stimmte zu und lehnte gleichzeitig eine vorherige Klärung der mit der Amnestie verbundenen Rechtsfragen durch den Europäischen Gerichtshof ab. Kurz: Die Judikative setzte sich einfach über ein von der Legislative mit absoluter Mehrheit verabschiedetes Gesetz hinweg. Die einzige verbleibende Option für den Fall, dass Puigdemont verurteilt werden sollte, würde darin bestehen, die Entmachtung der Legislative vor das spanische Verfassungsgericht zu bringen. Dessen rechte Mehrheit ist vor einiger Zeit abgelöst worden. Aber ein solches Verfahren kann Jahre dauern.

Wie war das möglich, wenn das Gericht doch zuvor verneint hatte, dass an Puigdemont persönlich irgendwelches Geld geflossen sei – der einzige durch die Amnestie nicht abgedeckte Tatbestand. Doch findet sich für geübte „lawfare“-Anhänger immer eine Geheimwaffe im Arsenal. Oder ein Trick: Die Richter räumen zwar ein, Puigdemont habe kein Geld in die eigene Tasche gesteckt, aber das Referendum zur Unabhängigkeit am 1. Oktober 2017 mit öffentlichen Geldern finanziert. Puigdemont nannte das Oberste Gericht daraufhin treffend „Toga Nostra“, in Anspielung auf die sizilianische „Cosa Nostra“.

Die Folgen für die spanische Politik sind noch nicht abzusehen. Puigdemonts Bedingung für die Investitur von Premier Pedro Sánchez und die Unterstützung der Regierung waren seine Amnestierung und die Rückkehr in die spanische Politik. Nun ist vorerst kein Ende seines Exils in Sicht, es sei denn, er reist nach Spanien und lässt sich verhaften. Auch Weggefährten wie seinem Stellvertreter Oriol Junqueras von der Republikanischen Linken (ERC) werden die endgültige Rehabilitierung und das Recht auf die Kandidatur für politische Ämter verweigert. Kurzum, die Richter haben mutmaßlich das erreicht, was durch verschiedene Wahlen nicht gelang: Sie haben einem vorsichtigen politischen Wandel in Spanien den Todesstoß versetzt. Will heißen: der Rechten und den Faschisten den Weg freigemacht.