S&P-Rating: Alarmstufe Rot für jedes Frankreich
Bruno Le Maire war vorbereitet. Noch am Freitagabend jagte sein Kommunikationsteam ein Interview in der Samstagausgabe von „Le Parisien“ über die Verteiler, in dem Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister die Wucht der gerade veröffentlichten Ratingentscheidung von S&P Global abzumildern versuchte. „Es wird keine Auswirkungen auf den Alltag der Franzosen geben“, beschwichtigte Le Maire darin.
Obwohl mit S&P eine der drei großen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des französischen Staates von „AA“ auf „AA-“ herabgestuft hat, finde dieser zur Schuldenaufnahme auf den Märkten weiter leicht Käufer. „Frankreich behält eine qualitativ hochwertige Bonität, die zu den besten der Welt gehört“, sagte der Minister. Die Herabstufung liege darin begründet, dass die Wirtschaft in der Corona- und Inflationskrise habe gerettet werden müssen. Dieser Einsatz habe sich mit Blick auf die danach wieder erreichten Wachstumsraten ausgezahlt, aber eben auch die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben.
Der Abstand zu Deutschland blieb konstant
Tatsächlich rangiert Frankreich mit einem „AA-“-Rating in der Ländertabelle unverändert auf den vorderen Plätzen. Deshalb gilt als unwahrscheinlich, dass die Finanzmärkte wegen eines höheren Ausfallrisikos nun plötzlich deutlich höhere Zinsen verlangen für die Schuldenaufnahme. Rund 3,15 Prozent musste der französische Staat zuletzt für Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit zahlen. Der Abstand zu dem von S&P mit „AAA“ sehr hoch bewerteten Deutschland, ein wichtiger Indikator für die Risikobewertung durch die Märkte, blieb in den vergangenen Wochen praktisch unverändert.
Beruhigend auch aus Sicht der französischen Regierung: Die beiden anderen großen Ratingagenturen Moody’s und Fitch haben ihre Daumen jüngst nicht gesenkt, nachdem letztere im April vergangenen Jahres eine Herabstufung auf „AA-“ vorgenommen hatte. Die Wirtschaftslage klart zudem leicht auf, die Wachstumsprognosen für Frankreich liegen über denen für Deutschland.
Die Ratingfachleute glauben nicht daran
Der Ernst der französischen Haushaltslage lässt sich spätestens nach der S&P-Entscheidung trotz allem nicht mehr leugnen. Die Neuverschuldung lag im vergangenen Jahr mit 5,5 Prozent deutlich über den Erwartungen, unterstreichen die Ratingfachleute in ihrer Analyse. An der Fähigkeit der Regierung in Paris, wenigstens in Zukunft die Haushaltsziele einzuhalten, haben sie große Zweifel. Das nagt insbesondere an der Glaubwürdigkeit von Le Maire. Gebetsmühlenartig hat der seit sieben Jahren amtierende Finanzminister zuletzt die Rückkehr zu einem Defizit von unter 3 Prozent in dieser Mandatszeit versprochen.
S&P glaubt nicht daran. Die Erholung des Wirtschaftswachstums und die kürzlich durchgeführten Reformen verbesserten zwar die Kassenlage. Doch das Defizit dürfte auch im Wahljahr 2027 noch 3,5 Prozent betragen. Frankreichs Staatsschuldenquote wird nach den S&P-Berechnungen dann von zuletzt 109 Prozent weiter gestiegen sein auf 112,1 Prozent.
Der Währungsfonds urteilt noch schärfer
Die Ratingagentur urteilt damit noch vergleichsweise milde. Der Internationale Währungsfonds etwa schrieb in seinem vor wenigen Tagen veröffentlichten Länderbericht, dass Frankreichs Haushaltsdefizit ohne weitere Reformen im Jahr 2027 sogar 4,5 Prozent betragen werde, und mahnte Ausgabenkürzungen an. Dazu könnten eine gezieltere Ausrichtung der Arbeitslosenhilfe oder Maßnahmen für mehr Digitalisierung und Automatisierung in der Verwaltung gehören. Ersteres ist schon geplant.
An mahnenden Stimmen mangelt es auch sonst nicht: Der dem französischen Rechnungshof angegliederte Hohe Rat für öffentliche Finanzen hatte unlängst von einem „besorgniserregenden Zustand“ der Staatsfinanzen gesprochen. Die Schuldenquote müsse sinken, um gegen das Risiko eines starken Anstiegs der Zinslast gewappnet zu sein und um über einen ausreichend großen Handlungsspielraum zu verfügen. Nur dann könne man etwaige makroökonomische oder finanzielle Schocks abfedern und die nötigen klimafreundlichen Investitionen tätigen.
50 Prozent an Zuspruch für radikale bis extreme Kräfte
Innenpolitisch kommt der Rating-Rüffel für die Regierung in Paris zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Für die Opposition ist er eine knappe Woche vor den Europawahlen ein gefundenes Fressen. „Die katastrophale Verwaltung der öffentlichen Finanzen durch ebenso inkompetente wie arrogante Regierungen hat unser Land in sehr große Schwierigkeiten gebracht“, zeterte sogleich Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Rassemblement National (RN). Das Ergebnis seien rekordhohe Steuern, Defizite und Schulden.
„Frankreich wird für seine haushaltspolitischen Fehltritte und Inkonsequenzen bestraft“, sagte der Parteichef der konservativen Republikaner, Eric Ciotti, und attestierte dem Duo aus Le Maire und Präsident Emmanuel Macron eine „erbärmliche Verwaltung der öffentlichen Finanzen“. Aus Sicht von Eric Coquerel vom linkspopulistischen LFI, der dem Finanzausschusses der Nationalversammlung vorsitzt, werde die Regierung die Ratingentscheidung nutzen, „um weitere Haushaltskürzungen zu rechtfertigen“. Das bedeute schlechtere staatliche Leistungen und weniger Mittel gegen die Notlagen in der Sozial- und Klimapolitik.
Während Macron in Deutschland auf seinem Staatsbesuch überwiegend sehr gut ankam, bleiben seine Beliebtheitswerte in Frankreich im Keller. Gerade einmal 15,5 Prozent der Wähler wollen laut der neuesten Umfrage des Ifop-Instituts bei den Europawahlen für seine zentristische Parteienallianz stimmen. Der RN wiederum kann demnach seinen Abstand weiter ausbauen und inzwischen mit 33,5 Prozent der Stimmen rechnen.
Addiert man dazu die Umfragewerte für die rechtsextreme Partei Reconquête (6,5 Prozent), die LFI-Partei (7 Prozent) und die Kommunistische Partei (3 Prozent), kommt man auf 50 Prozent an Zuspruch für radikale bis extreme Kräfte. Indirekt nimmt auch S&P in seiner Ratingentscheidung auf diese Polarisierung Bezug. Die „politische Zersplitterung“ dürfte demnach die Unsicherheit darüber erhöhen, „ob die Regierung in der Lage ist, weiterhin politische Maßnahmen umzusetzen, die das wirtschaftliche Wachstumspotenzial erhöhen und Haushaltsungleichgewichte angehen.“
Die Opposition wittert Morgenluft
Wegen der angespannten Haushaltslage gerät die französische Regierung immer stärker in die Defensive. Allein der durch die Zinswende kräftig steigende Schuldendienst schränkt die Gestaltungsspielräume erheblich ein. Auch das erklärt, warum Macron auf europäischer Ebene keine Gelegenheit auslässt, neue Finanzierungsoptionen zu fordern.
Dass die zu erwartenden Steuereinnahmen nach unten korrigiert werden mussten, hat die Lage für die Regierung zusätzlich verschärft. Angesichts der fehlenden Mehrheit in der Nationalversammlung sind allein die im laufenden Haushalt nun notwendigen Ausgabenkürzungen im Umfang von weiteren 10 Milliarden Euro ein kompliziertes Unterfangen; die Möglichkeit, bis zu 10 Milliarden Euro auf dem Verordnungsweg einzusparen, wurde schon ausgeschöpft.
Die Opposition wittert Morgenluft. Nach der Weigerung der Regierung, einen Nachtragshaushalt auf den Weg zu bringen, haben LFI und RN zwei Misstrauensvoten gegen die Regierung für die kommende Woche angemeldet. Die von linker Seite, teilweise aber auch aus seinen Reihen geforderten Steuererhöhungen lehnt Macron bislang weiter ab. Es war und ist ein zentrales Versprechen seiner Präsidentschaft, die Steuer- und Abgabenlast vielmehr zu senken.