Sorge vor einem „SPD-Showgipfel“
Der Plan des Kanzlers kam einigermaßen überraschend – auch für seine engsten Partner in der Regierung. Als Olaf Scholz (SPD) am vergangenen Mittwoch im Bundestag einen „Pakt für Industriearbeitsplätze in Deutschland“ ankündigte, „eine neue industriepolitische Agenda“, staunten sowohl Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als auch Finanzminister Christian Lindner (FDP). Ressortübergreifende Vorbereitungen für ein solches Vorhaben gab es bis dato keine. Auch in der Wirtschaft war das Erstaunen groß. Erst nach den markigen Worten des Kanzlers ging das Einladungsschreiben des Kanzleramts zu einem „vertraulichen Gespräch“ am 29. Oktober herum.
Die Irritationen haben seitdem nicht abgenommen, im Gegenteil. Das hat maßgeblich mit der ungewöhnlichen Einladungspolitik zu tun. Reden möchte der Kanzler insbesondere mit der SPD nahestehenden Organisationen wie den großen Gewerkschaften sowie dem Chef des Autoherstellers Volkswagen, an dem die – SPD-geführte – niedersächsische Landesregierung 20 Prozent der Stimmrechte hält. Andere Vertreter aus der Wirtschaft wurden dagegen nur selektiv eingeladen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist dabei, der Chemieverband VCI und der Maschinenbauverband VDMA.
Nicht gefragt wurden dagegen die Deutsche Industrie- und Handelskammer, der Verband der Familienunternehmen und andere mittelständisch geprägte Verbände. Was einige der nicht Eingeladenen jetzt offen kritisieren. „Wir Familienunternehmer fordern von Bundeskanzler Scholz klare Kante statt Kaffeekränzchen beim Industriegipfel“, sagt Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands der Familienunternehmen. „Statt teurer Subventionen für wenige braucht es Verbesserungen für alle Betriebe.“
Auch Mercedes und BMW eingeladen
Unter den Eingeladenen ist derweil die Sorge zu hören, Teil eines „Showgipfels“, einer SPD-Wahlkampfveranstaltung zu werden. Der Druck auf den Kanzler, etwas gegen die schlechte wirtschaftliche Lage zu tun, wächst, nicht zuletzt durch den neuen Generalsekretär Matthias Miersch. Die deutsche Wirtschaft steckt bekanntlich in der Rezession fest. Der Versuch, mit Subventionen für Intel, Northvolt oder Wolfspeed einen Aufschwung herbeizufördern, ging schief. Nahezu alle Vorzeigeprojekte verzögern sich oder stehen ganz auf der Kippe.
Auf der Tagung des Außenhandelsverbands BGA stellte Scholz im September eine Entlastung der Unternehmen bei den Netzentgelten auf den Strompreis in Aussicht. Zudem werden sowohl in der Politik als auch in Teilen der Autoindustrie die Rufe nach einer Wiederauflage der Kaufprämien für Elektroautos lauter. Auch die Chefs von Mercedes und BMW sind zum Spitzengespräch ins Kanzleramt eingeladen. Noch ist offen, wer kommen wird. Die kurzfristige Einladung kollidiert teils mit Auslandsreisen der Manager.
Einer, der eingeladen ist und kommen wird, ist der neue Maschinenbaupräsident Bertram Kawlath. „Wenn der Bundeskanzler einlädt, redet man mit ihm“, sagt er. Die Sache sei doch so: Nur wenn die Wirtschaft in Berlin regelmäßig die Punkte vortrage, die jetzt wichtig seien, werde sich – vielleicht – etwas ändern. „Die Sorge, für Parteizwecke vereinnahmt zu werden, darf nicht dazu führen, dass man berechtigte Anliegen nicht vorbringt“, stellt Kawlath klar.
Auf dem Arbeitgebertag am Dienstag in Berlin steckte Scholz noch einmal den Rahmen für das Treffen ab. „Es geht um Investitionsanreize, um ein bezahlbares, sicheres und nachhaltiges Energieangebot“, sagte er. Der Kanzler hofft auf ein Signal der Geschlossenheit. „Selbst das beste Paket kann nichts werden, wenn die erste Kommentierung ist: Na ja, schon mal in der richtigen Richtung. Aber da geht noch mehr.“ So war es nach der im Juli vorgestellten Wachstumsinitiative der Ampelkoalition geschehen. Zentrale Punkte wie der Steuerbonus für ausländische Fachkräfte oder die „Hintern-hoch-Prämie“ für Bürgergeldbezieher dürften angesichts des verbreiteten Widerstands wohl nicht mehr kommen. Das Wirtschaftsministerium hatte sich von dem Paket einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent erhofft.
Prinzip Hoffnung
Ob Scholz am kommenden Dienstag neue Zusagen machen kann, hängt nicht zuletzt von der neuen Steuerschätzung ab. Am Dienstag trat der Arbeitskreis im thüringischen Gotha zusammen. Am Donnerstag wird der Finanzminister von Washington, wo er an der Herbsttagung des IWF teilnimmt, das Ergebnis vorstellen. Die Gemengelage ist kompliziert: Zwar führen steigende Preise zu höheren Einnahmen des Staates aus der Umsatzsteuer, höhere Löhne treiben die Einnahmen aus der Einkommensteuer nach oben. Wenn Unternehmen wegen der Krise aber weniger produzieren und verkaufen, senkt dies die Steuereinnahmen.
In den ersten neun Monaten lagen sie zwar 2,9 Prozent höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Mai hatten die Schätzer allerdings noch mit einem Plus von 3,8 Prozent für das Gesamtjahr kalkuliert. Aktuell liegt man unter den Erwartungen. In den Bundesländern erwartet man, dass allein die konjunkturelle Delle die Steuereinnahmen um ein bis zwei Prozent senken könnte. Hinzu kommen die von der Koalition geplanten steuerlichen Entlastungen. Sowohl im Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 als auch im Ausgabenplan für den Klima- und Transformationsfonds klafft eine zweistellige Milliardenlücke.
Scholz, Habeck und Lindner verfolgen das Prinzip Hoffnung: In der Regel fließt deutlich weniger Geld ab als bereitgestellt. In einem Fall steht das schon fest: Die zehn Milliarden Euro, die Intel gestreckt über drei Jahre als Zuschuss für den Bau der Fabrik in Magdeburg bekommen sollte, werden vorerst nicht benötigt. Das weckt Begehrlichkeiten. Manche in der Koalition wollen daraus einen Zuschuss des Bundes zu den Netzentgelten finanzieren, andere neue Anschubhilfen für die Elektromobilität. Lindner und seine FDP wollen die Summe dagegen nicht neu verplanen, sondern so die übrigen Haushaltslöcher füllen.
In den Reihen von SPD und Grünen fühlt man ganz auf einer Linie mit der Industrie. Das liegt an einem Strategiepapier, in dem der BDI im Sommer vorschlug, den Investitionsbedarf des Staates auch mit schuldenfinanzierten Sondervermögen zu bezahlen – so, wie beide Parteien es schon lange fordern. Im Verband ist man mit dieser Interpretation indes nicht glücklich. In dem Papier stehe schließlich auch, dass zuerst das Sparpotential im bestehenden Haushalt ausgeschöpft werden solle. BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner formuliert ihre Erwartungen an den Industriegipfel so: „Kurzfristig muss jetzt die Wachstumsinitiative zügig und ohne Abstriche umgesetzt werden.“ Mittel- und langfristig brauche es „spürbare strukturelle Reformen“ sowie „Klarheit über den Transformationsfahrplan“.