So selbstbewusst tritt Indien im Vergleich zu Deutschland hinauf
Es war Hoffnung, die Olaf Scholz (SPD) der deutschen Wirtschaft beim Auftakt ihrer Asien-Pazifik-Konferenz in Neu Delhi geben wollte. Stattdessen stellte der Kanzler abermals unter Beweis, dass er als Mutmacher nicht taugt. Der europäische Flugzeughersteller Airbus liefere jede Woche von Hamburg eine Maschine in die „größte Demokratie der Welt“, sagte Scholz in seiner Rede am Freitagvormittag, die wie in Indien üblich mit reichlich Verspätung begonnen hatte. Der Münchener Industriekonzern Siemens wolle auf dem Subkontinent Künstliche Intelligenz entwickeln. Und deutsche Autohersteller, lobte Scholz, „dominieren den indischen Oberklassemarkt.“
Da raunte es unter den Managern, Unternehmern und Funktionären im Saal des prächtigen Taj Palace. Dass das boomende Indien mit seinem starken Passagierwachstum ein verheißungsvoller Markt für die deutsche Luftfahrtindustrie ist, mochte ja noch angehen. Siemens allerdings hat in dem Land im vergangenen Jahr knapp zwei Milliarden Euro Umsatz erzielt, was an den Gesamterlösen des Konzerns gerade mal 2,5 Prozent ausmacht. Beim Empfang am Vorabend hatten sich die Deutschen auf dem Rasen eines anderen Luxushotels in Delhi vor allem darüber ausgelassen, dass in den Nobelvierteln der indischen Hauptstadt so gut wie kein einziges deutsches Auto auf den Straßen zu sehen ist. Mercedes hat in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres in Indien 14.379 Autos abgesetzt. Im krisengeschüttelten Nachbarland China waren es im gleichen Zeitraum 36-mal so viel – und das, obwohl dort die Verkäufe gegenüber der Vorjahresperiode um zehn Prozent auf 512.200 Autos eingebrochen sind. Im jüngsten Quartalsbericht des Stuttgarter Herstellers kommt das Wort „Indien“ nicht vor.
Streit über die Landwirtschaft
Da mochte auch Scholz’ Aufruf zu einem „schnellen Abschluss“ eines Freihandelsabkommens mit Indien die Stimmung nicht heben. Die Verhandlungen, die mit der Europäischen Union bereits seit 2007 laufen, könnten „eher in Monaten als in Jahren“ ein gutes Ende finden, sagte der deutsche Kanzler an die Adresse des indischen Ministerpräsidenten im Saal. Narendra Modi lobte im Gegenzug zwar die „Partnerschaft“ mit den Deutschen und die Tatsache, dass Scholz bereits das dritte Mal im Land sei. Doch in Sachen Freihandelsabkommen ließ sich der Inder auf nichts ein, er erwähnte das Wort nicht einmal.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am Donnerstag gesagt, die Verhandlungen stockten vor allem am Streit über die Landwirtschaft, in der 60 Prozent aller Inder arbeiten und deren Öffnung in den Augen Neu Delhis fatale Folgen haben könnte. Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bezeichnete die Aussichten für ein umfangreiches Freihandelsabkommen gerade als „düster“. Habeck und deutsche Wirtschaftsvertreter werben für ein abgespecktes Abkommen, das nur ausgewählte Bereiche wie die Industrie umfasst.
Indien pflegt gute Beziehungen zu Brics-Staaten
Indien werde bald die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt sein, sagte er. Zur Einordnung: Derzeit ist das Deutschland, nachdem Japan wegen des schwachen Yens auf den vierten Platz gerutscht war. Indien steht noch an Nummer fünf. Bislang hatte die indische Regierung die Marschrichtung ausgegeben, dass der dritte Platz 2029 erreicht sein solle. Goyal versah seine Zielbeschreibung jetzt mit dem Zusatz „innerhalb der nächsten drei Jahre“. Die Botschaft, die an diesem Tag vielfach anklang: Deutschland ist mehr auf ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien angewiesen als Indien, das auch gute Beziehungen zur Gruppe der BRICS-Staaten mit Ländern wie Brasilien und Russland pflegt.
Indien baut weiter Kohlekraftwerke
Auch beim Thema Klimaschutz bezog Goyal selbstbewusst Stellung. „Indien hat 17 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur 2,5 Prozent zum Problem beigetragen.“ Noch ist der Anteil erneuerbarer Energien im Land gering. Wie China baut auch Indien weiter Kohlekraftwerke, um seine wachsende Bevölkerung und Wirtschaft mit Energie zu versorgen. Habeck gab sich in Neu Delhi optimistisch, dass das Land einen Teil dieser Kapazitäten in Zeiten mit viel erneuerbaren Energien flexibel abschalten könnte. Und dass deutsche Technik dabei helfen könnte. In den Äußerungen der Inder spielte das Thema aber keine große Rolle.
Nach der Konferenz hielten die Regierungsvertreter beider Seiten im Gästehaus der indischen Regierung Konsultationen ab. Auch in den anschließenden Pressestatements – Fragen von Journalisten waren nicht zugelassen – war zwischen den vielen Freundschaftsbeteuerungen die Dissonanz herauszuhören. Wieder sprach Scholz das Freihandelsabkommen an, wieder sagte Modi nichts dazu. Dafür sagte er etwas gönnerhaft: Der „große Talentpool“ Indiens könne Deutschland in seiner Entwicklung helfen. Hintergrund sind Erleichterungen für Inder, die in Deutschland arbeiten wollen. In der deutsch-indischen Partnerschaft gebe es jetzt viel „Klarheit“, befand Modi. Er schloss auf Deutsch mit den Worten „Alles klar, alles gut.“ Dass die deutsche Seite das auch so sieht, darf bezweifelt werden.