Siegt die Diplomatie? Mit diesen vier Kompromissen könnte welcher Ukrainekrieg beendet werden

Seit fast vier Jahren wird in Europa Krieg geführt, ohne dass die Europäer sich ernsthaft um eine friedliche Beilegung bemüht hätten. Erst seit US-Präsident Donald Trump sein 28-Punkte-Memorandum mit Elementen vorlegte, die Grundlage für Friedensverhandlungen sein könnten, versuchen sie, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Nach einer Abstimmung mit Vertretern europäischer Staaten streben amerikanische Unterhändler weiter in Gesprächen mit der ukrainischen und russischen Regierung für beide Seiten annehmbare Kompromisse an, die den Beginn von Friedensverhandlungen ermöglichen.

Der russische Präsident Putin hatte am Vorabend eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten am 17. Oktober 2025 in Washington, bei dem dieser die Lieferung weitreichender Tomahawk-Marschflugkörper verlangte, in einem Telefongespräch mit Trump angeblich gefordert, dass die Ukraine die vollständige Kontrolle über die Regionen Luhansk und Donezk abgibt. Russland sei im Gegenzug bereit, Teile der Regionen Saporischschja und Cherson aufzugeben. Zuvor hatte Russland gefordert, dass alle vier Regionen, einschließlich der noch von den ukrainischen Streitkräften gehaltenen Gebiete, unter russische Kontrolle kommen.

Angesichts dieser Positionsänderung könnte sich eine Perspektive für den Beginn von Friedensverhandlungen ergeben. Hier sind vier Punkte, wie es zu einer Einigung zwischen der Ukraine und Russland kommen könnte.

1. Russland sollte die Eingliederung von Luhansk und Donezk rückgängig machen

Die Krim und die Regionen Luhansk und Donezk werden de facto als russisch anerkannt werden; die ukrainischen Streitkräfte sollen sich aus den noch von ihnen gehaltenen Gebieten der Region Donezk zurückziehen, die als entmilitarisierte Pufferzone russisches Hoheitsgebiet werden. Die Lage in Saporischschja und Cherson wird entlang des Frontverlaufs eingefroren, wodurch die Gebiete unter der Kontrolle der jeweiligen Streitkräfte zunächst russische oder ukrainische Territorien bleiben – so sah es das ursprüngliche US-Memorandum vor.

Am 16. März 2014 entschieden sich angeblich mehr als 95 Prozent der Krim-Bevölkerung in einem Referendum für den Beitritt zu Russland. Die Ukraine hat das Ergebnis des Referendums in den Istanbul-Verhandlungen im März/April 2022 de facto anerkannt, indem sie vorschlug, die Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol innerhalb von 15 Jahren nicht militärisch, sondern in bilateralen Verhandlungen zu lösen.

Luhansk und Donezk haben sich im April 2014 zu „unabhängigen Volksrepubliken“ erklärt und darüber vom Westen nicht anerkannte Referenden abgehalten, die eine Zustimmung von 89 beziehungsweise 96 Prozent ergaben. Nach dem Minsk-II-Abkommen von 2015 sollten sie einen Sonderstatus erhalten.

Russland erkannte Luhansk und Donezk erst am 21. Februar 2022 als „unabhängige Staaten“ an, nahm jedoch am 30. September alle vier Regionen in die Russische Föderation auf. Wäre Russland bereit, die Eingliederung dieser beiden Regionen in die Russische Föderation rückgängig zu machen und die Ukraine deren Unabhängigkeit anzuerkennen, könnte dies ein einigungsfähiger Kompromiss sein. Die ukrainische Verfassung schützt zwar das Staatsgebiet, lässt aber gemäß Artikel 73 Veränderungen des Territoriums durch ein landesweites Referendum zu. Die beiden Regionen könnten zudem unter UN-Treuhandverwaltung gestellt werden – ein bewährtes Mittel, Gebiete nach Kriegen unter internationaler Aufsicht zur Selbstbestimmung zu führen. Aus fast allen bisherigen UN-Treuhandgebieten wurden unabhängige Staaten.

Ein wichtiger Bestandteil eines Kompromisses wäre jedoch der Rückzug der ukrainischen Streitkräfte aus den noch von ihnen gehaltenen Gebieten der Region Donezk und der russischen Streitkräfte aus den Regionen Saporischschja und Cherson. Russland will allerdings offenbar erreichen, dass eine Landbrücke zur Krim unter russischer Kontrolle bleibt.

2. Nur die NATO kann eine Mitgliedschaft der Ukraine ausschließen

Gemäß dem US-Memorandum sollte sich die Ukraine verpflichten, „in ihrer Verfassung festzuschreiben, dass sie der NATO nicht beitreten wird“, und die NATO sich bereiterklären, „in ihre Statuten eine Bestimmung aufzunehmen, dass sie die Ukraine zu keinem Zeitpunkt in der Zukunft aufnehmen wird“.

Für einen NATO-Beitritt erfüllt die Ukraine weder die Voraussetzungen, noch gibt es einen Konsens der Mitgliedstaaten, sie dazu einzuladen. Um doch noch die Option für einen späteren NATO-Beitritt zu sichern, wurde die ursprüngliche Fassung auf Wunsch der Europäer dahingehend geändert, dass ein Konsens „derzeit nicht besteht“.

Auch ob die Allianz bereit ist, einen NATO-Beitritt der Ukraine für die Zukunft auszuschließen, können nur die NATO-Mitgliedstaaten entscheiden. Der NATO-Vertrag von 1949 enthält in Artikel 10 die allgemein geltenden Bedingungen für den Beitritt zur Allianz und ist somit für eine Einzelfallregelung ungeeignet. Eine für die Ukraine geeignete und verbindliche sowie für Russland akzeptable Regelung wäre wohl eine entsprechende Änderung der Charta über eine besondere Partnerschaft zwischen der NATO und der Ukraine vom 9. Juli 1997 („NATO-Ukraine Charter on a Distinctive Partnership“).

Im Übrigen wäre eine NATO-Mitgliedschaft nicht mit der 1996 vom ukrainischen Parlament angenommenen Verfassung vereinbar. Denn in der ukrainischen Souveränitätserklärung vom 16. Juli 1990 heißt es: „Die Ukrainische SSR erklärt feierlich ihre Absicht, ein dauerhaft neutraler Staat zu werden, der sich nicht an Militärbündnissen beteiligt und sich an die drei nuklearwaffenfreien Grundsätze hält: keine Atomwaffen anzunehmen, herzustellen oder zu erwerben.“ Diese Bestimmung hat Verfassungsrang in der Ukraine.

3. Dass NATO-Truppen in der Ukraine stehen, muss ausgeschlossen werden

In ihrem Gegenvorschlag zum US-Memorandum, die NATO solle erklären, keine Truppen in der Ukraine zu stationieren, setzten die Europäer durch, die Allianz solle sich verpflichten, „in Friedenszeiten keine Truppen unter ihrem Kommando dauerhaft in der Ukraine zu stationieren“. Somit könnten Truppen aus NATO-Staaten jederzeit in die Ukraine verlegt werden, falls sie regelmäßig durch andere Verbände ersetzt werden – im Falle eines Krieges sogar unter NATO-Kommando.

Es ist zu bezweifeln, dass die Vertreter einiger europäischer Regierungen über ein Mandat aller NATO-Mitgliedstaaten verfügten, eine Formulierung durchzusetzen, die in „Friedenszeiten“ das Risiko einer direkten Konfrontation russischer und NATO-Streitkräfte und im Falle einer erneuten militärischen Auseinandersetzung einen Krieg mit Russland impliziert. Deshalb ist diese Änderung auch aus deutscher Sicht völlig inakzeptabel.

4. Die ukrainischen Streitkräfte sollten auf 300.000 Soldaten begrenzt werden

Eine Präsenzstärke der ukrainischen Streitkräfte von 600.000 oder sogar von 800.000 Soldaten, wie es die Europäer fordern, wäre ein erheblicher Zuwachs gegenüber der Vorkriegs-Personalstärke von ungefähr 200.000 Soldaten. Es bestehen berechtigte Zweifel, ob künftige ukrainische Regierungen Streitkräfte dieser Größenordnung unterhalten könnten. Zum Vergleich: Die Bundesregierung plant bei einer um das Dreifache größeren Bevölkerungszahl einen Personalumfang der Bundeswehr von 260.000 bis 270.000 Soldaten und hat im „2+4-Vertrag“ einer maximalen Präsenzstärke der Bundeswehr von 370.000 Soldaten zugestimmt.

Deshalb wäre in Anbetracht der Bevölkerungszahl und der für die Ukraine tragbaren Verteidigungsaufwendungen ein Präsenzumfang von maximal 300.000 Soldaten angemessen – vorausgesetzt, die Streitkräftestruktur könnte mit westlicher Unterstützung zur Aufwuchsfähigkeit reformiert und eine hinreichende Zahl Reservisten für den Verteidigungsumfang aktiviert werden. Zumindest wäre dies eine verhandelbare Ausgangsposition.

Nach den letzten Gesprächen, die der amerikanische Unterhändler Steve Witkoff vor einigen Tagen in Moskau führte, bezeichnete Trump den weiteren Weg als unklar. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte jedoch, Russland akzeptiere einige US-Vorschläge und sei bereit, weiter an Kompromissen zu arbeiten.

Das bedeutet zumindest nicht das Ende der amerikanischen Vermittlungsbemühungen, denn nur eine Friedensregelung, die den Interessen der Ukraine und Russlands entspricht und für die USA wie für Europa annehmbar ist, schafft die Voraussetzungen für eine gerechte und dauerhafte europäische Sicherheits- und Friedensordnung. Dies wäre die größte „Sicherheitsgarantie“ für die Ukraine.

Deshalb dürfen Verhandlungen nicht länger an Maximalpositionen scheitern. Jede Seite wird schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Der Preis des Nicht-Verhandelns ist – das lehrt die Realität der letzten Jahre – höher als der Preis des Kompromisses.

General a.D. Harald Kujat war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. In dieser Funktion war er auch Vorsitzender des NATO-Russland-Rates, der NATO-Ukraine-Kommission und des Nordatlantischen Partnerschaftsrates der Generalstabschefs. Lesen Sie hier ein aktuelles Freitag-Interview mit Kujat.