Sieger im Übernahmekampf: Britischer Zeitungsbaron Lord Rothermere triumphiert

Wer übernimmt die einflussreiche Tageszeitung „Daily Telegraph“? „Am Ende werden wir es sein“, flüsterte voriges Jahr ein Vorstand des Daily Mail and General Trust (DMGT) hinter vorgehaltener Hand bei der „Newspaper of the ­Year“-Preisverleihung. Für viele überraschend, scheint es nun so zu kommen. Der Verlag des rechtsgerichteten Massenblatts „Daily Mail“ dürfte den Übernahmekampf um den „Daily Telegraph“ und den „Sunday Telegraph“ für sich entschieden haben. Nachdem der Wettbewerber Redbird Capital scheiterte, greift der „Daily Mail“-Verlag für 500 Millionen Pfund (570 Millionen Euro) zu.

Der große Gewinner dieser Schlacht heißt Jonathan Harmsworth, vierter Viscount Rothermere. Der 57 Jahre alte Milliardär, der selbst das mediale Rampenlicht eher scheut, ist Erbe eines Zeitungsimperiums, das sein Urgroßvater vor rund 120 Jahren begründete. Jetzt könnte sein Verlag so wachsen, dass er fast die Hälfte des nationalen Zeitungsmarkts kontrollieren würde. „Lord Rothermere hat hier sehr geschickt gepokert“, sagt der ehemalige Chefredakteur der „Financial Times“, Lionel Barber. Er spricht sogar von einer „sehr britischen Intrige“, die gesponnen worden sei.

Die Labour-Regierung ist nicht glücklich

Im Labour-Lager sieht man lange Gesichter. Denn es ist bekannt, dass „Telegraph“ und „Daily Mail“ der Labour-Regierung alles andere als freundlich gesonnen sind. Es entstehe ein „rechtsgerichteter Pressegigant“, warnt der ehemalige Labour-Vorsitzende Lord Kinnock. Ein früherer Labour-Kommunikationsdirektor beklagt, dass „Mail“ und „Telegraph“ darauf aus seien, die Regierung von Keir Starmer zu zerstören. Manche in der Partei hoffen, dass Kulturministerin Lisa Nandy eingreife und die Fusion noch verhindere. Doch das ist unwahrscheinlich. Aber die Wettbewerbsbehörde könnte Rothermeres DMTG zwingen, kleinere Titel aus ihrem Portfolio, etwa das Gratisblatt „Metro“ oder das „I Paper“, abzugeben.

Der britische Pressemarkt ist berühmt für Zeitungsbarone, die ihn geprägt haben. Neben den Rothermeres besaß in den Dreißigerjahren Lord Beaverbrook größten Einfluss. Heute dominieren drei Gruppen den hoch konzentrierten Zeitungsmarkt der Insel. Rothermeres DMGT-Verlag, der etwa 40 Prozent der Auflagen beherrscht, die News UK des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch (mit „Sun“, „Times“) und die Reach-Mediengruppe („Mirror“, „Express“).

Die „Daily Mail“, die seit einigen Jahren die „Sun“ als meistgelesene Zeitung des Landes abgelöst hat, gilt als bevorzugtes Blatt von „Middle England“: Leser aus der Mittelschicht, überwiegend männlich und mittelalt, die nichts vom woken Zeitgeist halten. Rothermeres Verlag hat es aber insbesondere verstanden, mit einer bunt-schrillen Onlineplattform der „Mail“ eine sehr große Reichweite im Internet zu gewinnen.

Dort bietet man eine wilde Mischung aus News, Politik und Verbrechen, Celebrities, Bikini- und Cellulite-Bildern. Sowohl in Britannien als auch in den USA hat sie mehrere Millionen Onlineleser. Auch der „Telegraph“ soll nun zur globalen Marke avancieren und nach Amerika expandieren.

Pioniere der „Tabloid Press“

Das Zeitungsgeschäft hat die Familie reich gemacht, weil sie frühzeitig das Potential der populären Blätter erkannte. Urgroßonkel Alfred und Urgroßvater Harold Harmsworth hoben 1896 die „Daily Mail“ aus der Taufe. Sie waren Pioniere der sogenannten „Tabloid Press“. Ohne großes voriges Vermögen im Rücken schufen sie die ersten Massenblätter, die den Sensationshunger des wachsenden Lesepublikums stillten.

Vor den Schlagzeilen der Fleet-Street-Barone zitterten Premierminister. Einen – Asquith – sägte die „Mail“ während des Ersten Weltkriegs ab, den anderen – Lloyd George – hob sie auf den Posten. Als Alfred Harmsworth starb, übernahm Harold Harmsworth den Verlag und nannte ihn 1922 DMGT. Er galt damals als drittreichster Mann Großbritanniens und begründete den Ruhm der Zeitungsdynastie. Unrühmlich war die Episode des zweiten Viscount Rothermere, der offen Sympathien für Oswald Mosleys „British Union of Fascists“ und Hitler zeigte.

Nach dem Krieg stand die „Mail“ meist stramm im Lager der Konservativen und Europaskeptiker. In den vergangenen Jahren hat sie den Brexit unterstützt und bietet nun zunehmend Nigel Farages Reform UK eine Bühne. Der vierte Lord Rothermere, Jonathan Harmsworth, ist indes kein Haudrauf-Rechtspopulist. Der Vater von sechs Kindern gilt als gebildeter Gentleman.

Milliardenvermögen gemacht – auch mit Immobilien-Plattform

Geboren 1967, hat er den Chefposten im Verlag schon im Alter von 30 Jahren übernommen, nachdem sein Vater bei einem gemeinsamen Dinner plötzlich an einem Herzinfarkt verstarb. Nach dem Besuch des schottischen Eliteinternats Gordonstoun hatte er an der Duke University in den USA Geschichte studiert. Lord Rothermere gilt als eher öffentlichkeitsscheu, aber durchsetzungsstark. Als Verlagschef hat er sich an eine Maxime gehalten, die sein Vater beherzigte, und überließ die publizistische Linie den Chefredakteuren seines Vertrauens. Der langjährige „Mail“-Chefredakteur Paul Dacre, ein rustikal-konservativer Zeitungsmacher mit Gespür für die Volksmeinung, führte das Blatt zur Millionenauflage.

Rothermere bewies derweil auch ein glückliches Händchen mit neuartigen Onlinegeschäftsmodellen. Seine Beteiligung am Immobilienportal Zoopla brachte ihm Hunderte Millionen Gewinn. Die aktuelle Reichenliste der „Sunday Times“ schätzt sein Vermögen auf 1,3 Milliarden Pfund (1,5 Milliarden Euro) – damit steht er auf Platz 124 der britischen Superreichen. 2021 hat die Familie den DMGT-Verlag komplett gekauft und ihn von der Börse genommen. Sie seien jetzt „Herren unseres eigenen Schicksals“, jubelte Rother­mere damals.

Emirate als „Telegraph“-Eigentümer verhindert

Als Meisterstreich kann nun die Übernahme des „Telegraph“ gelten. Die 1855 gegründete Tageszeitung, die wegen ihrer einflussreichen Stellung als Hauszeitung der Tories auch den Spitznamen „Tory-Graph“ trägt, gehörte bis vor zwei Jahren den greisen Barclay-Brüdern, zwei Milliardären, die aber wegen Überschuldung die Kontrolle verloren. Eine Investmentgesellschaft namens Redbird IMI wollte den „Telegraph“ in ihrer Regie führen, doch weil hinter diesem Vehikel Scheich Mansour bin Zayed bin Sultan Al Nahyan, der Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate, stand, blockierte die damalige Tory-Regierung den Kauf. Der „Telegraph“ hat selbst mächtig Stimmung gemacht wegen eines drohenden Verlusts seiner Pressefreiheit bei einer Übernahme durch arabische Scheichs.

Wie ein weißer Ritter kam dann, wundersam, Lord Rothermeres DMGT und schnappte sich das publizistische Filetstück. Wie sehr das Ganze eingefädelt war – eine „Intrige“ –, ist umstritten. Unklar ist auch noch, wie der DMGT die halbe Milliarde Pfund für die Übernahme auftreiben wird. Kulturministerin Nandy hat der Verlagsgruppe eine Frist bis Mitte Dezember gesetzt, damit sie ihr Angebot formalisiert.