Sicherheitskonferenz: Münchner Munitionsfragen

Münchner Munitionsfragen – Seite 1

Um Atombomben und nukleare
Sprengköpfe ging es in den vergangenen Jahren oft auf der Münchner
Sicherheitskonferenz
. Aber noch nie wurde so kleinteilig über die Produktion
von Granaten, Raketen und Geschossen gesprochen wie auf dem seit Freitag laufenden
59. Treffen
der Staats- und Regierungschefs, Minister, Generäle,
Industrievertreter und Experten. Am Samstag war dies das Thema mit der meisten Aufmerksamkeit. Zahlreiche hochrangige Teilnehmer haben der Ukraine versprochen, sie werde mehr Munition aus dem Westen erhalten.

Eine Ankündigung, die von der großen ukrainischen Delegation erleichtert aufgenommen wird. Gefragt, was sein
Land am dringendsten brauche, antwortete der ukrainische Außenminister
Dmytro Kuleba: „Munition, Artillerie, Panzer.“ Er saß gemeinsam mit Annalena
Baerbock
, seiner deutschen Kollegin, und Antony Blinken, dem US-Außenminister, auf einem Podium. Und obwohl die drei nur
bedingt für Munitionsfragen zuständig sind, setzten sie sich detailliert mit
dem aktuell wohl größten militärischen Problem der Ukraine auseinander: Deren
Streitkräfte verschießen nach Schätzungen pro Woche gut 200.000 Geschosse und Raketen. Die Lager
leeren sich und der Nachschub aus dem Westen reicht nicht aus, um die Lücken zu
füllen. Die bevorstehende russische Frühjahrsoffensive und die bereits laufenden Versuche der Angreifer in der Region Luhansk durch die ukrainischen Stellungen zu brechen, verschärfen das Nachschubproblem.

Baerbock erläuterte, warum es Deutschland und den Verbündeten nicht leicht fällt, die Liefermenge zu erhöhen. In Europa gebe es keine großen Lagerbestände für Munition mehr. Die Regierungen hatten gedacht, dass es keinen solchen Angriffskrieg mehr in Europa geben würde.
Deutschland baue nun neue Munitionsfabriken, kündigte sie an. Die Politikerin
der Grünen forderte zudem diejenigen Staaten auf, die über Gepard-Munition verfügen, diese an
die Ukraine zu übergeben. Deutschland erhöhe zwar die Fertigung, aber bis es so
weit sei, könnten andere helfen. 

Rheinmetall will neue Fertigungslinie aufbauen

Konkreter wurde sie bei der Nennung der Staaten nicht, allerdings kommen nur wenige als Lieferanten dieser Geschosse infrage. So verfügt die Schweiz über Munition
für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, gibt diese aber mit Verweis ihrer Neutralität
nicht frei und untersagt anderen, das angegriffene Land mit aus der Schweiz stammenden Beständen zu versorgen. Brasilien und Katar, weitere Nutzer des Gepard-Panzers, unterstützen
die Ukraine ebenfalls nicht mit Rüstungslieferungen.

Deutschlands größter
Rüstungskonzern Rheinmetall hat angekündigt, für die 35-Millimeter-Munition eine
neue Fertigungslinie aufzubauen, obwohl die Bundeswehr dafür kein Abnehmer ist. Der Gepard ist vor mehr als zehn Jahren aussortiert worden. Noch in diesem Quartal soll im niedersächsischen Unterlüß die Fertigung beginnen. Die Bundesregierung hat für die Ukraine bereits 300.000 Schuss bestellt. Im Sommer sollen die ukrainischen Streitkräfte die erste Munitionslieferung aus der neuen Fertigung erhalten.

Anthony Blinken
versprach der Ukraine, jeder Winkel der Welt würde nach Munition durchsucht. Der
Außenminister der USA sprach über die Probleme des Westens, die Ukraine mit Nachschub zu
versorgen – und nahm sein eigenes Land davon nicht aus. „Wir haben unterschiedliche
Waffensysteme, die unterschiedliche Munition brauchen“, sagte Blinken über die an die Regierung in Kiew
gelieferte Rüstungstechnik. Die Lagerbestände im Westen seien auf einen solchen Krieg
nicht eingestellt, sagte er. „Die Produktion wieder anzukurbeln ist nicht so einfach, wie einen Schalter
umzulegen.“ Die Hersteller bräuchten die Gewissheit,
dass sie langfristig Aufträge bekommen, wenn sie neue Fertigungslinien aufbauen. Und so erklärten die Vertreter mehrerer Nato-Staaten, mit Unternehmen konkrete Vereinbarungen schließen zu wollen.

Auch EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen sicherte der Ukraine in München die Hilfe der Europäischen
Union bei der Beschaffung von Munition zu. Die EU-Kommission
werde mit der Industrie in Kontakt treten, um die Produktion anzukurbeln, versprach
von der Leyen. Die Ukraine brauche jetzt Material.

Als erste Nation wolle sein Land die Partner in Kiew mit Raketen größerer Reichweite versorgen, kündigte der britische Premierminister Rishi Sunak an. Was das im Detail bedeuten wird, führte er nicht aus, forderte aber, dass weitere
Staaten das vor der erwarteten russischen Frühjahrsoffensive ebenso machen. „Jetzt ist der Augenblick, unsere militärische Unterstützung zu
verdoppeln“, sagte Sunak. Auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte
am Samstag, dass sein Staat die Regierung in Kiew noch stärker unterstützen werde. „In
Polen haben wir verschiedene Produktionskapazitäten für Munition unterschiedlicher
Kaliber für unsere eigene Versorgung, aber auch die der Ukraine errichtet“, schrieb er auf Twitter.

Die Ukraine irritiert die Partner im Westen

Doch während die westlichen Partner sich redlich bemühten, der Ukraine mehr Munition zu organisieren,
sorgte die für Irritation. Bereits am Freitag hatte der ukrainische stellvertretende Regierungschef Olexander Kubrakow gefordert,
sein Land mit Streumunition und Phosphorwaffen auszustatten. Streumunition
zerlegt sich vor dem Einschlag in mehrere, explosive Teile. Diese verteilen
sich über große Flächen und können viele Menschen töten oder verwunden. Nicht explodierende Sprengkörper sind noch nach Jahrzehnten eine große Gefahr, beispielsweise für spielende
Kinder oder Landwirte, die den Boden pflügen. Brennender Phosphor kann nur schlecht gelöscht
werden und dient vor allem dem Angriff auf Gebäude und zivile Ziele.

Der Einsatz beider Geschossarten ist völkerrechtlich
geächtet. Da Russland diese „Art von Kampfmitteln“ nutze, führte Kubrakow vor Journalisten aus,
müsse auch die Ukraine sie einsetzen. Dass diese Aussage keine Einzelmeinung widerspiegelt,
machte Außenminister Kuleba dann am Samstag deutlich. Er verteidigte die Forderung nach Streumunition. Man
verstehe, dass diese Munition in der Weltpolitik umstritten sei – die Ukraine
sei aber keine Vertragspartei des Übereinkommens über das Verbot von
Streumunition, sagte er. „Rechtlich gesehen gibt es dafür also kein
Hindernis. Und wenn wir sie erhalten, werden wir sie ausschließlich gegen die
Streitkräfte der Russischen Föderation einsetzen.“

Das sehen Politiker in den Geberländern allerdings anders. Der ukrainische Wunsch nach geächteter
Rüstungstechnologie verärgert die Befürworter von Waffenlieferungen an die
Regierung in Kiew. So sagte Anton Hofreiter von den Grünen dem Nachrichtensender NTV, dass er diese
Forderung für falsch und unklug halte. Nur weil die Ukraine etwas verlange, müsse das nicht umgesetzt werden.

Auch Außenministerin Baerbock reagierte
ablehnend auf die Forderung der ukrainischen Delegation. Sie verwies auf das internationale Recht. Deutschland sei in seinem Handeln von der
europäischen Friedensordnung, der Charta der Vereinten Nationen und dem
humanitären Völkerrecht geleitet. In München wurde deutlich: Völkerrechtlich geächtete Waffen werden nicht an die Ukraine geliefert werden. Der zweite Tag der Sicherheitskonferenz hat der Ukraine zwar zahlreiche Ankündigungen und Beteuerungen eingebracht, die Munitionsversorgung verbessern zu wollen. Aber eben auch: eine klare Absage.