Serie – Netflix-Serie „Emily in Paris“: Das Frankreich dieser Herzen

Was man von der vierten Staffel einer Serie wie Emily in Paris am wenigsten erwartet, ist Überraschung. Aber schon die der ersten Folge vorgeschaltete Zusammenfassung dessen, „Was bisher geschah“, verblüffte, ja verstörte mich geradezu. Sie enthielt lauter Szenen, von denen ich mir ziemlich sicher war, sie noch nie gesehen zu haben! Zwar erkannte ich einige Figuren wieder. Die beherzte Emily (Lily Collins) natürlich, ihren gut aussehenden „love interest“, den Koch Gabriel (Lucas Bravo), ihre quirlige Mitbewohnerin Mindy (Ashley Park), dann war da noch Camille (Camille Razat), die als Freundin von Gabriel dem Liebesglück im Weg stand, aber schon Alfie (Lucien Laviscount) konnte ich nicht mehr ganz zuordnen. Andere Figuren erkannte ich gar nicht mehr, es sei denn als Schauspieler aus anderen Serien. Dabei hatte ich doch die ersten drei Staffeln von Emily in Paris geschaut!

Manche würden das nun Emily in Paris anlasten, von wegen: Eine Serie, deren Handlung und Charaktere sich so wenig einprägen, dass man sie anderthalb Jahre später komplett vergessen hat, kann doch nur oberflächlicher Mist sein. Aber eigentlich sind solche Kritiker zu bemitleiden. Entgeht ihnen doch der zentrale Reiz einer Serie wie Emily, die genau bei dieser Oberflächlichkeit beginnt. Und sich dann doch nicht darin erschöpft.

Ja, es stimmt, dass hier zwar ständig was passiert, aber nichts wirklich Konsequenzen hat. Dass sowohl das wiedergegebene Bild von Paris als auch das der Werbebranche, in der Emily arbeitet, und erst recht das der Franzosen – und wenn wir schon dabei sind: auch der Briten, Chinesen und allen weiteren Vertretern bestimmter Nationen – klischeehaft und total unrealistisch sind. Dass die Kleider, die Emily trägt, so übertrieben „einen auf Mode“ machen, dass sie zur Feinzeichnung der Persönlichkeit unserer Heldin wenig beitragen, und überhaupt, wo hat sie das alles her und wo bewahrt sie es auf in ihrer romantischen kleinen Mansardenwohnung, die sie auch noch mit Mindy teilt? Womit man wieder beim völlig unrealistischen Bild von Paris wäre, das die Serie vermittelt …

Nein, Emily in Paris ist kein Paris-Documentary, in dem die Anliegen der Gelbwesten oder die sinkenden Umfragewerte für Präsident Macron eine Rolle spielen. Stattdessen, und da beginnt eben ihre Attraktivität, bildet die Serie gewissermaßen „ein Paris der Herzen“ ab. Soll heißen, jenes Paris, von dem alle träumen, genährt von alten Chansons, sprachlastigen Filmen und dem Poster mit dem Kuss von Robert Doisneau. Ein Paris, von dem auch alle wissen, dass es sich, sobald man hinfährt, angesichts von acht Euro pro Milchkaffee und unhöflichen Croissant-Verkäufern sofort in Luft auflöst. Zu Emily aber sind fast alle Pariser freundlich. Und die, die es nicht sind, verkörpern typisch französischen Widerstandsgeist oder so ähnlich.

Wobei bei Letzterem das Vergnügen jenseits der Oberflächlichkeit beginnt. Der „Culture Clash“, den die Serie bewusst verspielt in Szene setzt, trifft vielleicht nicht im einzelnen Detail, aber oft atmosphärisch ins Schwarze. Ja, die Umgangsformen unterschieden sich. Die zwanglose Freundlichkeit der amerikanischen Alltags-Etikette reibt sich an der formelleren französischen Höflichkeit, hinter der sich giftige Komplimente so gut kaschieren lassen. Wie überhaupt ein gewisser europäischer Trotz des Unpraktischen ein ums andere Mal der hyperpragmatischen Emily Hindernisse in den Weg stellt – die dann aber oft genug beide Seiten gut aussehen lassen.

Am besten verkörpert das die Figur der Agenturchefin Sylvie (Philippine Leroy-Beaulieu), die von der ersten Folge an über Emily die Nase rümpfte und auch in der neuen Staffel wieder gern die Augen rollt. Über amerikanische „political correctness“ ebenso wie über Emilys Naivität und ihren Feminismus des Anpackens. Zugleich ist Sylvie aber keine Negativfolie für Emily; ihre Miene des Immer-leicht-genervt-Seins und ihre Missgunst haben etwas Lebensweises und Erfahrungsgesättigtes. Dabei ist sie alles andere als eine alte Jungfer, sondern mit ihren 50 oder 60 plus (darüber wurde in der Serie noch kein Wort fallen gelassen, daran könnte ich mich erinnern) auf eine unapologetische, unangestrengte Weise sexy, die Emilys einfach gestricktes Liebesdreieck an erotischer Spannung in den Schatten stellt. Nächste Woche kommt der zweite Teil der neuen Staffel heraus. Und ich hab schon wieder vergessen, was im ersten Teil geschah …

Eingebetteter Medieninhalt