Selbständige im Nachteil: Rechtliche Zweifel an welcher Aktivrente

Die Zeit drängt. Schon von Januar an sollen Senioren im Rentenalter, die freiwillig weiterarbeiten, mit ei­nem Steuerfreibetrag von 2000 Euro im Monat belohnt werden. Das Bundeskabinett hat Mitte Oktober den Gesetzentwurf für die sogenannte Aktivrente beschlossen. Auf der veröffentlichten Tagesordnung des Bundestags sucht man das Vorhaben aber noch vergeblich.

Die Neuregelung dürfte somit erst in der folgenden Sitzungswoche in erster Lesung beraten werden, um die Gesetzgebung rechtzeitig abschließen zu können. Die Anhörung der Sachverständigen durch den Finanzausschuss des Bundestages könnte dann Anfang Dezember sein, um noch in derselben Woche die Beratung abschließen zu können. Der Bundesrat könnte am 19. Dezember, seiner letzten Sitzung in diesem Jahr, sein Plazet geben.

Wer die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht und weiterarbeitet, kann dann nach Silvester 2000 Euro im Monat steuerfrei einstreichen, wenn alles glattgeht. Das gilt nach dem schwarz-roten Gesetzentwurf allerdings nur für Ein­nahmen aus nicht selbständiger Arbeit, für die der Arbeitgeber Rentenversicherungsbeiträge zahlt. Das schließt Frei­berufler, Unternehmer, Landwirte und Be­amte aus dem Kreis der Begünstigten aus. Ziel ist es, die Ausweitung abhän­giger Beschäftigungsverhältnisse zu fördern, um Arbeitskräftemangel in diesem Bereich entgegenzuwirken. Zudem wird in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass viele Selbständige und Un­ternehmer schon heute über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten. „Dies zeigt, dass es aktuell keiner weiteren Anreize durch eine steuerliche Förderung bedarf, diesen Personenkreis zur Weiterarbeit zu bewegen.“

Drei potentielle Diskriminierungstatbestände

Diese Ungleichbehandlung stößt nicht nur bei Betroffenen auf Befremden, die im fortgeschrittenen Alter ebenfalls noch arbeiten, aber von der Steuer­vergüns­tigung nicht profitieren sollen. „Gleichheitsrechtlich gibt es in der Tat Recht­fertigungsbedarf“, sagt Johanna Hey, Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Universität zu Köln, der F.A.Z. Die Juristin sieht gleich drei potentielle Diskriminierungstatbestände: „alt – jung, Arbeitnehmer – Selbständige, Beamte – Arbeitnehmer.“ Die Gesetzesbegründung ver­suche das teilweise mit dem Hinweis da­rauf aufzufangen, es gehe nicht nur um die Mobilisierung zusätzlicher Arbeitskraft, sondern auch um Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Steuerrechtler Hanno Kube von der Universität Heidelberg verfolgt das schwarz-rote Projekt ebenfalls mit einiger Skepsis. „Die Aktivrente führt zu ganz erheblichen steuerlichen Ungleichbehandlungen zwischen vergleichbaren Personengruppen (Einkommensbezieher vor versus nach der Regelaltersgrenze; ältere Einkommensbezieher, die zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt wa­ren, versus ältere Einkommensbezieher, die zuvor selbständig oder auch Be­amte waren), sagte er der F.A.Z.

Diese Ungleichbelastungen müssten durch ei­nen hinreichend wichtigen Grund gerechtfertigt werden. „Ich habe durchaus Bedenken.“ Der mögliche Arbeitsanreiz scheint vorhanden, werde aber durch erhebliche Mitnahmeeffekte relativiert. „Tragfähige Gründe für die Differenzierung zwischen den verschiedenen älteren Personen sind noch schwieriger festzumachen“, urteilt er. Als milderes Mittel bei gleicher oder noch besserer Zielerreichung kommt nach seinen Worten vor allem eine Anpassung des Renteneintrittsalters in Betracht.

Selbständigen bleibt wohl nur der Gang durch die Instanzen

Auch Hey sagt, man sollte Probleme am Arbeitsmarkt besser an der Wurzel packen, statt sie mit Steueranreizen zu adressieren. In einem Standpunkt, den sie mit Martin Jacob, Dominika Langenmayr, Nadine Riedel geschrieben hat, heißt es: Steuerentlastungen für ältere Menschen könnten durchaus wirksame Arbeitsangebotseffekte entfalten. Empirische Studien legten nahe, dass diese Gruppe re­lativ sensitiv auf finanzielle Anreize reagiere.

Trotzdem halten es die Wis­sen­schaftler für fraglich, ob die Steuer­freiheit in dem Fall sinnvoll ist. Gewähre man den Vorteil, wie vorgesehen, erst von der Regelaltersgrenze von 67 Jahren an, gelte er für die meisten Neurentner nicht direkt vom Renteneintritt an, da 60 Prozent früher in den Ruhestand gingen. Sie nach einer Pause in den Arbeitsmarkt zurückzuholen, könne schwierig sein.

Aber auch ein Absenken der Altersschwelle kommt für die Autoren des Standpunkts nicht infrage, dann gebe es unerwünschte Anreize, den Renteneintritt vorzuziehen. Sie werben dafür, die bestehenden Fehlanreize zu beheben, statt neue Steueranreize aufzubauen und das Steuersystem noch komplizierter zu machen. Sie schlagen vor, das Renten­eintrittsalter zu erhöhen, die „Rente mit 63“ abzuschaffen und die steuerliche Förderung der Altersteilzeit zu eliminieren.

Dass die schwarz-rote Koalition die Bedenken aus der Wissenschaft auf­greifen wird, ist aber nicht zu erwarten. Auch nicht, dass sie ihre Pläne korrigiert und Selbständige, Unternehmer, Beamte ebenfalls in den Genuss der Steuervergünstigung kommen lässt. Denn der Kompromiss zur Aktivrente wurde ganz oben gefunden, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) sollen den Rahmen abgesteckt haben. Dass die Ebene darunter diese Einigung wieder aufmacht, ist unwahrscheinlich.

Selbständigen, die im Rentenalter ar­beiten und keinen Steuerrabatt erhalten, bleibt daher wohl nur der Gang durch die Gerichtsinstanzen, wenn sie vom neuen Steuerrabatt profitieren wollen. Steuerrechtlerin Hey macht ihnen allerdings keine große Hoffnung. Das Bundesverfassungsgericht wird nach ihrer Einschätzung die Begründung (Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung) im Zweifel ausreichen lassen, „weil es sich im Bereich steuerlicher Fördertatbestände auf eine bloße Willkürprüfung zurückzieht“.

Source: faz.net