Schleppender Ausbau: Wo bleibt der Turbo für die Infrastruktur?
Würde alles so schnell gehen wie der Bau des ersten schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven, wäre Deutschland ein anderes Land: ein Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Planung in Rekordgeschwindigkeit, der Bau in nur 194 Tagen fertiggestellt. Am Mittwoch wurde es feierlich eingeweiht. Doch von diesem Leuchtturmprojekt einmal abgesehen läuft die Modernisierung andernorts noch im Schneckentempo: Im Bundesjustizministerium liegt schon seit Monaten ein Gesetzentwurf für eine Beschleunigung der Verwaltungsgerichtsverfahren, das Bundesverkehrsministerium arbeitet an einem Gesetzentwurf für die Phase davor: für schnellere Genehmigungsverfahren.
Beide Gesetzentwürfe stecken jedoch in Auseinandersetzungen mit dem Bundesumweltministerium fest. In dieser Phase der unfreiwilligen Entschleunigung kommt jetzt das Bundeskanzleramt mit einem eigenen Vorstoß für einen „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“, diesmal allerdings gemeinsam mit den Bundesländern, wie das „Handelsblatt“ berichtete. Es geht um bessere Koordination und um „pragmatische Lösungen“ etwa bei der Umweltverträglichkeitsprüfung.
Kompliziert und überfrachtet
Allerlei Pragmatisches schwebt auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor. Das LNG-Terminal habe gezeigt, dass Planung und Genehmigung nicht Jahre dauern müssen, sondern in Monaten möglich sind. „Diesen Turbo sollten wir auch bei anderen Projekten starten, so dass wir zügig und effizient auch unsere Straßen-, Schienen- und Wasserwege ausbauen“, heißt es aus dem Bundesjustizministerium. Buschmann will die Gerichte auf frühe Verhandlungstermine verpflichten und den Rechtsschutz beschränken. Er ist mit seinem Entwurf zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren am weitesten und beißt damit beim grünen Koalitionspartner deshalb schon länger auf Granit. Erst jetzt scheint es Bewegung in der festgefahrenen Auseinandersetzung zu geben.
Kurioserweise ist seine geplante Reform der Verwaltungsgerichtsordnung ein vergleichsweise kleines Vorhaben – mit überdurchschnittlichem Erregungspotential. Denn in den innerkoalitionären Verhandlungen werden jetzt die entscheidenden Weichen gestellt. Deshalb bekommt sie im politischen Kampf auf einmal eine große Bedeutung.
Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung ist die Frage, welche Infrastrukturprojekte eigentlich beschleunigt werden sollen. Die FDP-geführten Ministerien stellen sich auf den Standpunkt: alle. Buschmanns Beschleunigungspläne umfassen deshalb auch klassische Infrastruktur wie fossil betriebene Kraftwerke, Müllverbrennungsanlagen, Flughäfen und Autobahnen. Die Grundüberlegung ist klar: Ob Windrad oder Umgehungsstraße – der Aus- und Umbau der deutschen Infrastruktur ist generell zu kompliziert und überfrachtet mit unklaren gesetzlichen Vorgaben. Das muss sich ganz generell ändern.
Die Grünen dagegen pochen darauf, nur den Ausbau der erneuerbaren Energien mit einem Turbo zu versehen. Der Abgeordnete Lukas Benner, bei den Grünen zuständig für Planungs- und Verfahrensbeschleunigung, bringt die Haltung seiner Partei dagegen auf folgende Formel: Der Anwendungsbereich des Gesetzes in seiner jetzigen Form sei ein „fossiler Rollback“. „Wer alles beschleunigen will, läuft Gefahr, letztendlich gar nichts zu beschleunigen. Deswegen braucht es einen klaren Vorrang für klimafreundliche Infrastruktur.“
Und Sabine Schlacke, Verwaltungsrechtsprofessorin der Universität Greifswald, verweist auf den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts, der den Klimaschutz verfassungsrechtlich absichert. Es sei fragwürdig, ob die Transformation zur Klimaneutralität, die gerade im Verkehrssektor erforderlich sei, gelinge, wenn man sämtliche Infrastrukturvorhaben beschleunige. „Jeder Straßenbau zieht Autos an.“
Zwist um Beschleunigungsvorschläge
Das Haus von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wehrt sich dagegen, als Blockierer von Buschmanns Beschleunigungsplänen vorgeführt zu werden. Alle Ressorts arbeiteten „konstruktiv an einer gemeinsamen Lösung“, betont ein Ministeriumssprecher. „Auch für das Bundesumweltministerium hat es selbstverständlich höchste Priorität, diejenigen Verfahren zu beschleunigen, mit denen die Transformation zum rechtzeitigen Erreichen der Klimaziele umgesetzt wird.“ Man diskutiere über „Einzelheiten des Vorschlags“, den der Justizminister im August vorlegte. Aber: „Kritik am ursprünglichen Gesetzentwurf gab es nicht nur vonseiten der Umweltverbände, sondern auch aus der Justiz“, betont der Ministeriumssprecher.
Selbst das höchste deutsche Verwaltungsgericht ist erstaunlich kritisch: „Teils überschießend und praxisfremd, teils überflüssig“, so lautet der Tenor der bisher unveröffentlichten Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts, die der F.A.Z. vorliegt. Das gilt zum Beispiel für die geplante Klarstellung, dass Gerichte einen Mangel außer Acht lassen können, wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben ist. „Die Regelung hat keinen relevanten Anwendungsbereich“, finden die Bundesrichter.
Unbedeutende Fehler führten schon jetzt nicht zu einer Verzögerung; beachtliche Mängel im Planfeststellungsbeschluss hingegen ließen sich „nach den bisherigen Erfahrungen“ ohnehin nicht zeitnah beheben. In der Regel dauerten Heilungsverfahren länger als das gerichtliche Hauptsacheverfahren. Und schließlich sei es den Gerichten schon aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen verboten, sich als „Reparaturbetrieb“ für die Verwaltung zu betätigen.
Juristen- und Umweltverbände haben in ihren Stellungnahmen zu dem Referentenentwurf außerdem kritisiert, dass die geplanten Einschränkungen bei der Rechtsschutzgewähr auch aus europarechtlichen Gründen fragwürdig seien. Sie verweisen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2013. Damals hatte der EuGH festgestellt, es müsse die Möglichkeit bestehen, bei Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beantragen, um Umweltverschmutzungen vorzubeugen, die womöglich unter Verstoß gegen EU-Recht genehmigt worden seien.
Mit Rücksicht auf diese Rechtsprechung sollen die von Buschmann geplanten Einschränkungen im Eilverfahren nun offenbar doch nicht ganz so weit gehen wie ursprünglich geplant. „Beim Thema Eilrechtsschutz liegt eine gemeinsame Lösung im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht auf dem Tisch“, sagte der Sprecher des Umweltministeriums.
Allerdings lassen Änderungen beim Rechtsschutz aus Sicht der Juristen- und Umweltverbände ohnehin keine großen Beschleunigungseffekte mehr erwarten. So schreibt der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen in seiner Stellungnahme: „In der Praxis besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Möglichkeiten der Beschleunigung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren nahezu ausgeschöpft sind, weshalb auch der vorliegende Referentenentwurf keinen erheblichen Beitrag zu einer weiteren Beschleunigung der Gerichtsverfahren erwarten lässt.“
Dafür müsse man an anderer Stelle ansetzen. So fehlten in den Behörden nach wie vor Fachleute und die erforderliche sachliche Ausstattung, um die komplexen Verfahren in kürzerer Zeit zu bearbeiten. Daran scheint nun auch das Bundeskanzleramt mit seinem Bund-Länder-Pakt arbeiten zu wollen, schließlich liegt ein beträchtlicher Teil des Verbesserungspotentials im Aufgabenbereich von Ländern und Kommunen. Das Papier soll schon weitgehend mit den Ländern abgestimmt sein. Das Bundesjustizministerium jedenfalls verweist darauf, dass etliche Verbände breiten Zuspruch für das Vorhaben geäußert haben. „Das gibt uns weiter Rückenwind.“ Vorgebrachte Bedenken nehme man selbstverständlich ernst und prüfe, inwieweit noch Verbesserungen erzielt werden können.
So zieht sich die geplante Beschleunigung weiter hin. Einiges spricht dafür, dass der neue Turbo bei LNG-Terminals auf absehbare Zeit eher die Ausnahme als die Regel in der deutschen Infrastrukturplanung bleiben wird. Dafür sorgt womöglich schon das Europarecht. „Beim beschleunigten Bau von LNG-Terminals wurden die Ausnahmen zu den europarechtlichen Vorgaben zur Umweltverträglichkeitsprüfung schon sehr strapaziert“, warnt der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner. „Das wird nicht für alle Vorhaben so funktionieren.“