Sanktionen gegen Israel? Vergessen wir nicht, wie dieser Krieg begann
Die EU-Kommission hat den Mitgliedsländern das Verhängen weitreichender Sanktionen gegen Israel vorgeschlagen. Dass das Sterben in Nahost aufhören muss, ist unbestreitbar. Aber das Vorgehen der EU-Kommission sendet ein fatales Signal.
„Die entsetzlichen Dinge, die sich täglich im Gaza-Streifen abspielen, müssen aufhören“, sagte Ursula von der Leyen. Die EU-Kommissionspräsidentin forderte am Mittwoch eine sofortige Waffenruhe, ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe und die Freilassung aller von der Terrororganisation Hamas festgehaltenen israelischen Geiseln.
Dass die Geiseln sofort befreit werden müssen und das Sterben der palästinensischen Zivilbevölkerung so schnell wie möglich beendet werden muss, ist eine Forderung, die jeder, der täglich mit den Bildern aus Nahost konfrontiert ist, unterschreiben wird. Doch so nachvollziehbar die Forderungen sind, so falsch ist die Strategie, mit der die EU-Kommission diese Ziele zu erreichen sucht.
Am Mittwoch hat die Behörde den EU-Staaten das Verhängen weitreichender Sanktionen gegen Israel vorgeschlagen. Unter anderem sollen Freihandelsvorteile gestrichen und Strafmaßnahmen gegen „extremistische israelische Minister und Siedler“ veranlasst werden. Das Streichen von Handelsvorteilen würde nach Angaben aus Brüssel 37 Prozent der israelischen Exporte in die EU betreffen. Da Europa für Israel der wichtigste Handelspartner ist, könnte das die israelische Regierung unter Druck setzen.
Und genau das ist das Problem: Israel wird unter Druck gesetzt. Gegen Israel richten sich die Vorwürfe. Dabei war es die Terrororganisation Hamas, die mit ihrem Massaker am 7. Oktober 2023 den Krieg im Gaza-Streifen ausgelöst hat. Die Hamas blockiert die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln. Die Hamas lässt ihre Kritiker im Gaza-Streifen foltern und töten. Die Hamas kapert Hilfslieferungen für Zivilisten und nutzt das Leid der Menschen in Gaza für ihre Zwecke.
Der Widerstand gegen das Vorgehen der israelischen Armee ist auch in Israel selbst groß, in der Armee wird Benjamin Netanjahus Strategie inzwischen lautstark infrage gestellt. Man kann kritisieren, dass Jerusalem keinen Plan vorgelegt hat, wie das Sterben beendet werden soll. Und man muss die Minister kritisieren, die offen die Vertreibung der Palästinenser aus Gaza und Annexionen im Westjordanland fordern. Wer Gewalt im Westjordanland offen begrüßt, darf sehr wohl sanktioniert werden. Eine solche Maßnahme würde indes gezielt einzelne Personen treffen, und eben nicht – wie bei Handelshürden – das gesamte Land.
Zwar sollen auch zehn Mitglieder des Hamas-Politbüros mit Sanktionen belegt werden. Dennoch: Von Brüssel geht das fatale Signal aus, dass Europa den jüdischen Staat einseitig unter Druck setzt. Jenes Europa, auf dessen Straßen sich die hässliche Fratze des Antisemitismus zeigt, wo Menschen jüdischen Glaubens Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt sind, wo jüdische Einrichtungen geschützt werden müssen. Der Vorschlag aus Brüssel zeigt, dass die Islamisten der Hamas den Kampf um die öffentliche Meinung gewonnen haben.
Die Bundesregierung habe sich noch keine abschließende Meinung zu den Sanktionsplänen gebildet, teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius mit. Bislang hatte sich Berlin stets gegen eine Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel ausgesprochen. Dass die Regierung von Kanzler Friedrich Merz sich so zurückhält, ist ebenfalls fatal.
In Jerusalem dürfte die Sorge nun groß sein, dass auch der Kanzler dem öffentlichen Druck nachgeben könnte. Und das, nachdem er bei der Wiedereröffnung der Synagoge Reichenbachstraße in München noch mit den Tränen gekämpft hatte, als er an die unmenschlichen Verbrechen der Nationalsozialisten an Juden erinnerte. „Wir haben in Politik und Gesellschaft zu lange die Augen davor verschlossen, dass von den Menschen, die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, ein beachtlicher Teil in Herkunftsländern sozialisiert wurde, in denen Antisemitismus geradezu Staatsdoktrin ist, Israelhass schon Kindern vermittelt wird“, so der Kanzler, der „jeder Form des alten und des neuen Antisemitismus“ den Kampf ansagte.
Wenn Berlin jetzt einknickt, müssen diese Worte für viele Israelis wie Hohn klingen.
Source: welt.de