Ryanair: Quittung für jedes Standortpolitik – die Folgen des Rückzugs aus Deutschland – WELT
Ryanair hat angekündigt, drei deutsche Flughäfen komplett und in Hamburg mehr als die Hälfte der Verbindungen aufzugeben. Der CEO der Billigairline begründet den Schritt mit nicht wettbewerbsfähigen Standortkosten. Eine praktisch sichere Folge werden steigende Ticketpreise sein.
Wenn Ryanair-CEO Eddie Wilson in Deutschland zu einer Pressekonferenz lädt, dann bedeutete das zuletzt selten Gutes. Der Chef der Billigairline wettert seit Monaten über die hohen Standortkosten an deutschen Flughäfen. Nun lässt er Taten folgen. Erst vor einem Monat strich er 750.000 Flug-Sitze von und nach Berlin (vor allem unprofitable Verbindungen nach Brüssel, Kaunas, Krakau, Riga, Luxemburg und Chania auf Kreta). Doch die Nachrichten, die Wilson an diesem Donnerstag in Hamburg mitgebracht hatte, waren niederschmetternder als alle Befürchtungen.
Im kommenden Sommer wird Ryanair an diversen deutschen Flughäfen sein Flugangebot drastisch reduzieren. Allein in Hamburg streichen die Iren 60 Prozent ihrer Flüge, was einem Minus von 400.000 Flugpassagieren entspricht. Noch schlimmer trifft es die Flughäfen in Dortmund, Leipzig und Dresden. Hier stellt die Billigairline ihren Betrieb nach dem Winter bis auf Weiteres vollständig ein.
Im Gespräch mit WELT begründete Airline-CEO Wilson den Abzug aus Deutschland mit den hohen Standortkosten. „Wir verdienen pro Passagier im Schnitt zehn Euro“, sagt er. „Wenn ein Flughafen schon 15 Euro verlangt, wenn ein Passagier durch einen blöden Metalldetektor läuft – was denken Sie, was wir dann tun?“
Nach der Anhebung diverser Sicherheitsgebühren und zuletzt der Luftverkehrssteuer koste es heute an großen Flughäfen 60 Euro, wenn ein Passagier durch den Flughafen läuft – „auch dann, wenn das Ticket von Ryanair 29,99 Euro kostet“. Flugpassagiere könnten solchen Zusatzkosten nicht ausweichen – „aber wir als Unternehmen können es.“
Die steigenden Kosten in Deutschland führten dazu, dass immer weniger Fluggäste die steigenden Preise zu zahlen bereit seien. Entsprechend schwerer werde es, die Maschinen zu füllen. „Für eine Airline, deren Strategie auf einem hohen Ladefaktor basiert, ist das ein ernstes Problem“, so Wilson.
Die erst im Frühjahr verkündeten Wachstumspläne für Deutschland, wonach das Unternehmen hier bis zum Ende der Dekade 34 Millionen zusätzliche Passagiere transportieren und hierfür 1000 Jobs schaffen wollte, seien Wilson zufolge vorerst Geschichte. „Das ist eine rationale Geschäftsentscheidung und irrationales Regierungshandeln.“
Deutschland habe höchste Flugsteuern in ganz Europa
Besonders empört reagiert man bei Ryanair auf die Entscheidung der Bundesregierung, trotz der europaweit schwächsten Erholung des Flugverkehrs nach Corona in diesem Jahr die Luftverkehrssteuer um rund 24 Prozent anzuheben. Deutschland habe damit die höchste Flugabgabe in Europa, während Länder wie Spanien, Italien, Polen oder Irland überhaupt keine hätten. Dafür läge in diesen Ländern der Flugverkehr bereits um die 110 Prozent des Vor-Corona-Niveaus, im Vergleich zu 82 Prozent in Deutschland. Ryanairs stufenweiser Abschied vom deutschen Markt dürfte die Schere noch weiter aufgehen lassen.
Das Streichprogramm zum kommenden Sommerflugplan bedeutet für Deutschland nach Ryanair-Zahlen einen Verlust von 1,8 Millionen Sitzen, was einer Kapazitätsreduzierung um zwölf Prozent entspreche. An vielen Flughäfen will Ryanair Ziele seltener als bisher bedienen, 22 Strecken würden komplett gestrichen.
Allein in Hamburg wird Ryanair sechs Ziele nicht mehr anfliegen, darunter Mailand, Malaga, Porto und Valencia. Alle anderen Verbindungen werden teils erheblich seltener bedient. Nach Palma de Mallorca zum Beispiel fliegt die Airline dann statt 17 nur noch siebenmal in der Woche.
„Hamburg ist eine der reichsten Städte im Norden und touristisch attraktiv. Es könnte locker neun oder zehn Millionen Passagiere haben, allein von Ryanair“, sagt Wilson. Stattdessen würden es im kommenden Sommer weniger als 300.000 sein. Verantwortlich dafür sei die Bundesregierung, die ihre Heimatfluggesellschaft Lufthansa mit ihren Drehkreuzen in Frankfurt und München zu protegieren versuche und nichts für die anderen großen Verkehrsflughäfen tue. „Hamburg wird behandelt wie ein Provinzflughafen!“
Eine praktisch sichere Folge der Kapazitätsstreichungen bei der Nummer 3 (nach Lufthansa und Lufthansa-Tochter Eurowings) auf dem deutschen Flugmarkt werden steigende Ticketpreise sein. Nachdem auch Easyjet sein Flugangebot in Deutschland stark ausgedünnt hat, wird nicht nur ein wachsender Nachfrageüberhang die Preise treiben.
„Die Kosten an den Flughäfen verteilen sich auf immer weniger Passagiere, werden für den einzelnen Fluggast deshalb steigen“, erläutert Wilson. Wenn die Regierung hier nicht gegensteuere, würden die Kapazitäten dadurch immer weiter zurückgehen und die Preise in immer größere Höhen steigen. „Ein Teufelskreis“, sagt Wilson. „Wir werden weiterhin die niedrigsten Preise in Deutschland anbieten, doch die Marktpreise werden insgesamt steigen.“
„Reduzierung des Angebots von Ryanair an deutschen Flughäfen ist ein Alarmzeichen“
Wilson betont die volkswirtschaftliche Bedeutung des Flugverkehrs für Wirtschaftsregionen. Irland verdanke seine starke wirtschaftliche Entwicklung nicht zuletzt dem Umstand, dass es für Niedriglöhner, aber auch Hightech-Spezialisten aus dem Ausland einfach und günstig sei, nach Hause zu fliegen. „Es geht nicht nur darum, nach Palma zu fliegen.“
Ryanair lässt keinen Zweifel aufkommen, dass es auch weiterhin Kapazitäten streichen oder erhöhen wird, je nachdem, wie sich die Kostensituation in seinen Märkten entwickelt. Nachdem Schweden gerade seine Luftverkehrssteuer – es geht um sieben Euro pro Passagier – gestrichen hatte, stationiert Ryanair zwei zusätzliche Flugzeuge in dem Land und erhöht sein Sitzplatzangebot um 30 Prozent.
An deutschen Flughäfen könne er sich auch Wachstum vorstellen, sagt Wilson zu WELT, am Hahn werde man eventuell ein weiteres Flugzeug stationieren. Auch mit anderen kleineren Flughäfen wie Baden-Baden oder Memmingen verhandle man über die Konditionen. „Diese kleinen Flughäfen haben verstanden, dass sie in einem Kosten-Wettbewerb mit ganz Europa stehen.“
Der Flughafenverband ADV bezeichnet den Ryanair-Rückzug in einer ersten Reaktion als schweren Rückschlag für den deutschen Luftverkehrsmarkt. „Der Schritt von Ryanair steht exemplarisch für viele weitere europäische Airlines, die ebenfalls einen Abzug von Flugzeugen prüfen und den deutschen Flughäfen wegen der hohen staatlichen Abgaben und Belastungen den Rücken kehren könnten“, so die erste Reaktion des ADV-Hauptgeschäftsführers Ralph Beisel.
„Die weitere drastische Reduzierung des Angebots von Ryanair an deutschen Flughäfen ist ein Alarmzeichen“, sagt Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). „Die Kostenschraube für den Luftverkehr in Deutschland ist überdreht. Bei der Erholung des Angebots nach der Corona-Pandemie verliert der Standort zunehmend Anschluss an die Entwicklung in den anderen europäischen Ländern.“
Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT und berichtet über Themen aus Luftfahrt, Sportbranche und anderen Industrien.
Source: welt.de