Russland: „Leider wiederholen sich die ewig gleichen Muster der Zerstörung“
DIE ZEIT: Tausend Seiten über Russland, konzentriert auf Macht und Herrschaft, das Ganze auch noch als Anfang eines dreibändigen Projekts: Das klingt, mit Verlaub, etwas altmodisch. Warum keine Geschichte von unten erzählen, aus der Perspektive der beherrschten, leidenden Menschen?
Jörg Baberowski: Für Russland erscheint mir die Frage nach dem Staat, nach der Herrschaft entscheidend – bis heute. Wer Macht ausübt, zwingt andere, sich dazu zu verhalten. Herrschaft wiederum ist ein System von Machtbeziehungen, das ohne den Anspruch derer, die herrschen, gar nicht verständlich wird. Es gibt ja immer gute Gründe, zu gehorchen: aus Furcht, weil man sich Vorteile verspricht oder weil Gehorsam von Entscheidungszwängen entlastet. Wie unzufrieden man auch immer sein mag – die Revolte lebt von der Entscheidung, Macht herauszufordern, die Herrschaft lebt davon, sie zu verteidigen. Das interessiert mich. In Russland war Herrschaft stets bedroht, und genau deshalb inszenierte sie sich als allmächtig. Ich beschreibe Krisenmomente: In der Konfrontation des Staates mit seinen Gegnern erfahren wir, wie Herrschaft funktioniert. Ich halte solches Wissen nicht für altmodisch, sondern für unverzichtbar.