Russland/China: Peking profitiert von Moskaus Sanktionserfahrungen

Schon das milde Lächeln, mit dem Chinas Präsident Xi Jinping seinen russischen Kollegen vor Tagen in Peking empfängt, unterstreicht, welchen Wert die beiden Staaten füreinander haben. Es ist das 43. Zusammentreffen von Xi und Putin. Und als müsste er beweisen, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) vergeblich hofft, ihn zur Distanz gegenüber Wladimir Putin zu veranlassen, nennt Chinas Staatschef Russlands Präsidenten „einen großen Freund“. China und Russland seien „verlässliche Partner“. Putin erwidert „dem lieben Freund Xi“, China sei zum „wichtigsten Handelspartner“ geworden, bei einem Warenaustausch von 227 Milliarden Dollar im Vorjahr. Dabei bezieht Russland etwa 60 Prozent seiner sogenannten Dual-Use-Güter – unter anderem Speicherchips und Komponenten zum Bau von Drohnen – aus China.

Keine zweite Gastrasse von Sibirien nach Fernost

Vorrang bei der den Warenaustausch flankierenden Kooperation haben Hochtechnologie und Innovation. So baut der russische Staatskonzern Rosatom derzeit zwei Atommeiler in der Volksrepublik. Im Kernforschungszentrum Dubna bei Moskau arbeiten chinesische und russische Atomphysiker an – so Putin – „Mega-Wissenschaftsprojekten“. Was er ausblendet: Es gelang nicht, mit den Chinesen Bau und Finanzierung einer zweiten Gastrasse von Sibirien nach Fernost zu vereinbaren.

Doch ändert dies nichts daran, dass der Wille zur Kooperation mehr denn je die politische Sphäre streift. Zu den elf in Peking unterzeichneten Dokumenten zählt eine Übereinkunft zum Zusammenwirken zwischen der russischen Nachrichtenagentur TASS und dem chinesischen Pendant Xinhua. Dass Moskau und Peking ihre Außen- und Sicherheitspolitik künftig enger abstimmen wollen, zeigen die Sondierungen, an denen der neue Verteidigungsminister Andrei Beloussow, Außenminister Sergei Lawrow, Sergei Schoigu, nunmehr Sekretär des Sicherheitsrates, sowie Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow teilnehmen. Die Zeichen stehen auf Schulterschluss für eine lange Zeit. Putin erklärt, es sei eine „so nie da gewesene strategische Partnerschaft“, die ihn veranlasst habe, eine erste Auslandsreise in seiner neuen Amtszeit nach China anzutreten.

Seminar chinesischer Russland-Experten

Was den Ukraine-Krieg angeht, wird in Peking öffentliche Kritik an Russland vermieden. Bei der Pressekonferenz mit Putin sagt Xi, er hoffe „auf die baldige Wiederherstellung des Friedens auf dem europäischen Kontinent“. Man sei „in dieser Hinsicht bereit, eine konstruktive Rolle fortzusetzen“. Putin reagiert darauf in einem Interview mit Xinhua, wenn er erklärt, das „Herangehen Chinas an die Regulierung der ukrainischen Krise“ sei aus seiner Sicht „positiv“. Im Vorfeld des Putin-Besuches hatte die chinesische Führung ihre Russland-Experten gebeten, Folgen des Ukraine-Konflikts zu analysieren. Bei einem Seminar der Renmin University of China debattierten Militärstrategen, Ökonomen und Außenpolitiker ihre Bilanz nach mehr als zwei Jahren der militärischen Konfrontation.

Historisch gesehen ist dieses Institut aus der Parteischule der KP in der Zeit des antijapanischen Widerstands während der 1930er und frühen 1940er Jahre hervorgegangen. Es fungiert heute als Thinktank, der dem Zentralkomitee der KP zuarbeitet. Der Politologe Wang Wen, Exekutivdekan der Universität, zieht nach einer Reise durch russische Regionen in jenem Seminar das Fazit, die westlichen Sanktionen gegen Russland hätten „wenig Wirkung erzielt“. Russland werde in diesem Krieg „nicht besiegt“, sei aber „kurzfristig nicht in der Lage, einen Sieg über die Ukraine zu erringen“.

Osteuropa als Muster für den indopazifischen Raum

Wang Wens abwägende Expertise wird von Präsident Xi geschätzt. Sie fließt in Analysen der chinesischen Führung ein. Ein anderer Experte der Renmin University vertritt die These, Russland sei an der Ukraine-Front „nicht an einem Tag zu besiegen“, die USA unter einem Präsidenten Donald Trump aber könne sich „binnen eines Tages von der Ukraine verabschieden“. Ein weiterer Spezialist führt in dem Seminar aus: Russland mache gegenwärtig eine Schlüsselerfahrung im Umgang mit westlichen Sanktionen, die auch für China lehrreich sein könne.

Es spricht einiges dafür, dass Xi Jinping in der Ukraine ein Schlachtfeld sieht, das Energien der USA vom Ringen um Taiwan abzieht. Außerdem wirkt der Konflikt in Osteuropa aus chinesischer Sicht wie ein Muster für Rivalitäten mit den USA im indopazifischen Raum. Was die von Peking propagierte und durch die westliche Ein-China-Politik im Prinzip seit Jahrzehnten zugestandene Wiedervereinigung mit Taiwan angeht, kann sich China sicher sein, Russland an seiner Seite zu haben. Das gilt unabhängig davon, wie es dieses Ziel erreicht – sei es mit vorwiegend politischen oder vorwiegend militärischen Mitteln.

Peking scheint keine Eile zu haben, eine für die Ukraine präferierte Verhandlungslösung durch Druck auf Moskau zu verfechten. Es ist an keiner Schwächung Russlands interessiert. Dort wiederum kann die Gewissheit beruhigen, dass China unter Xi Jinping immun ist gegenüber sämtlichen, nicht zuletzt deutschen Ambitionen, eine Weltmacht für eine Politik des Westens gegen Moskau zu gewinnen.