Rütlischule in Neukölln: Wer erinnert sich heute noch daran?


Hat Neukölln ein Image-Problem?

Foto: Emmanuele Contini/Imago Images


Wenn in den Medien über Neukölln gesprochen, kommt der Kiez nie gut weg. Immer prasseln die rassistischen Ängste und Projektionen einer ganzen Republik auf den Stadtteil. Das hat wenig mit der Wahrheit zu tun, findet unser Autor

Für Berliner*innen und vor allem Neuköllner*innen ist das natürlich eine merkwürdige Frage, denn die Rütlischule ist nichts, woran man sich erinnern muss. Die Gemeinschaftsschule steht im mittlerweile halbwegs durchgentrifizierten „Nordneukölln“ (aka „Kreuzkölln“), damals war es noch eine „Problemschule in Neukölln“.

Es geht mir nämlich nicht um die Schule – dit is halt ’ne Gemeinschaftsschule in ’ner Großstadt –, sondern um die Debatte über die Schule und den umliegenden Kiez, die 2006 stattfand. Wer damals, wie ich, nicht in Berlin lebte (ich war im englischen Brighton und bekam das nur aus der Ferne mit), bekam den Eindruck, Teile Neuköllns wären sozial verwilderte No-Go-Zonen, in denen bewaffnete islamistische Kindersoldaten den freundlichen autochthonen und sich gut benehmenden Frühkartoffeln jeden Tag die Butterbrotdose, das Fahrrad und das Handy klauen würden.

Als ich dann 2007 nach Berlin zog und zum ersten Mal an der Rütlischule vorbeifuhr, dachte ich zuerst, ich wäre im falschen Film: ein nicht besonders auffälliger Neuköllner Kiez, mit einer stinknormal wirkenden Schule. Davor keine Selbstschussanlagen, kein Stacheldraht, nicht mal ein Minenfeld oder ein Wachturm waren zu erkennen.

Wer damals den Begriff „Rütlischule“ hörte, der hörte keinen Verweis auf eine reale Schule in einem realen Kiez mit realen Schüler*innen und Lehrer*innen. Der Begriff bezog sich vor allem auf eine Kristallisation der rassistischen Ängste und Projektionen eines Landes, das sich seiner selbst zunehmend unsicher war und nach dem 9/11-Anschlag endlich ein neues Feindbild hatte: muslimische junge Männer und eben Jugendliche. Und wer damals nach Neukölln fuhr und sich die echte Schule anschaute, merkte das auch sehr schnell: Es ging nicht um die Schüler*-innen oder um die Probleme der Schule, es ging darum, wie gebannt auf das Symbol Rütlischule zu schauen, um die echten Probleme des deutschen Schulsystems – jahrzehntelange Unterfinanzierung und neoliberale Vernachlässigung – einfach zu verdrängen.

Heute reden wieder irgendwelche Leute Shit über mein Neukölln. Ich wohne nun seit zwölf Jahren hier und habe mich von meiner alten Liebe, dem linken Kreuzberg der 1990er und Nullerjahre, emanzipiert. Ich feiere es regelmäßig, dass ich in diesem grandiosen Stadtteil leben darf. Und heute sind es wieder frei erfundene, rassistische Geschichten, dass mein Stadtteil, in dem ich regelmäßig mit meinem Ehemann Hand in Hand über den Hermannplatz oder die Sonnenallee laufe, eine Art No-Go-Zone für Queers sei und wir uns bei jedem Kuss beängstigt umschauen müssten.

Das ist BULLSHIT.

Immer, wenn Wolf und ich zusammen draußen sind, gehen wir Hand in Hand. Und wir sind noch niemals queerfeindlich angemacht worden. Klar, manchmal gibt’s einen dummen Blick. Aber honestly, davon gab es sehr viel mehr, als wir einmal eine Woche in den österreichischen Alpen Urlaub gemacht haben (irgendwelche Dorfdeppen hielten ihr Auto auf der Straße an, um zu glotzen), oder als wir in Franken für eine Familienfeier waren.

Neukölln ist natürlich nicht perfekt. Für niemanden, auch nicht für Queers. Aber Wolf und ich sind nicht die Einzigen, die jeden Tag aufs Neue und immer wieder sagen können: Neukölln, mon amour. Der Rest kann sich seine rassistischen Projektionen gerne in den Popo stecken. Dann wäre da mal was anderes drin als ein Stock.

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Super Safe Space

Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an. Für den Freitag schreibt er abwechselnd mit Elsa Koester und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.

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