Ruanda: Repression und Spionage mehr als allesamt Ländergrenzen

Manchmal sehen die beunruhigendsten Drohgebärden ganz harmlos aus. So wie ein Tweet, der im November 2021 online ging, gepostet von einem ruandischen Twitteraccount namens Ndoli Gitare mit etwas mehr als tausend Followern. Der Tweet enthielt eine Liste mit sieben Namen. Diese Personen, stand dort weiter, würden den Genozid an den Tutsi verharmlosen, durch den in Ruanda 1994 binnen weniger Wochen mehr als 800.000 Menschen starben, sie würden „Unruhe stiften“. Die aufgezählten Personen sind Journalisten. Fünf der Namen wurden in dem Tweet mit einem roten Kreuz markiert, diese fünf Journalisten waren damals inhaftiert.  

Eine sechste Journalistin kam bald nach dem Tweet in Hausarrest. Vor Kurzem gelang es ihr, aus Ruanda zu fliehen. Der siebte auf der Liste war der Investigativjournalist John Williams Ntwali, er starb vor etwas mehr als einem Jahr unter unklaren Umständen in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Sieben Namen, sieben erledigte Journalistinnen und Journalisten.  

Das Bedrohliche an diesem Tweet ist, wer dahintersteckt. Belgische Ermittler ordneten den Account einem Mann namens Olivier Nduhungirehe zu. Auch von seinem persönlichen Account, von dem er mit Klarnamen schreibt, war er zuvor mit Anfeindungen aufgefallen. Ein belgischer Journalist hat ihn deshalb sogar angezeigt. Olivier Nduhungirehe ist seit 2021 Botschafter Ruandas in den Niederlanden. 

Kann es sein, dass ruandische Diplomaten eigene Staatsbürger aus ruandischen Botschaften heraus bedrohen und verfolgen?  

Der Tod des Investigativjournalisten John Williams Ntwali, den der Botschafter als Unruhestifter markiert hatte, hat ein Konsortium von 17 Medien aus elf Ländern, darunter die ZEIT, zu einer eigenen Untersuchung veranlasst. Der Zusammenschluss dieser Medien wurde von der journalistischen gemeinnützigen Organisation Forbidden Stories koordiniert, deren Ziel es ist, Recherchen getöteter und bedrohter Kolleginnen und Kollegen weiterzuführen, um die Versuche ihrer Verfolger zu unterlaufen, sie zum Verstummen zu bringen.  

Das Ergebnis dieser Recherche ist: Der ruandische Staat betreibt ein System grenzübergreifender Repression und Spionage. Es hat wenig mit dem Vorzeigeland zu tun, als welches Ruanda oftmals gesehen wird. Immer wieder stießen wir bei unseren Recherchen auf Menschen, die angeben, in Angst zu leben. Sie alle wissen um den regierungskritischen Journalisten, der 2011 in einer Bar in Uganda erschossen wurde. Oder von dem Geheimdienstchef, der sich von der Regierung von Präsident Paul Kagame losgesagt hatte und 2014 tot in einem Hotelzimmer in Südafrika gefunden wurde. Die Recherchen des Konsortiums ergeben auch, dass der Einfluss des Regimes weit über Afrika hinausreicht.  

Ruanda gilt in Europa, in den USA und in Afrika gleichermaßen als ein Wunder des Wiederaufbaus. Nach dem Völkermord 1994 ist es Ruanda gelungen, sich in einen handelnden Staat mit Wirtschaftswachstum, neuen Straßen und einer Regierung zu entwickeln, die sich international strategisch positioniert. Ruanda schickt seine Armee mittlerweile als Teil von Peacekeeping-Missionen in andere Kriegsgebiete. Das Land bietet an, abgeschobene Asylbewerber aus Europa aufzunehmen. Ein Angebot, das das Vereinigte Königreich gerade erst dankbar angenommen hat und das auch einige deutsche Oppositionspolitiker favorisieren. Alles das geschieht unter der Führung Präsident Kagames, der seit 24 Jahren regiert. Im Juli wird er aller Voraussicht nach wiedergewählt. Einmal, 2010, in einem Interview auf seine quasi Alleinherrschaft angesprochen, sagte Kagame: „Ich bin nicht verantwortlich für die schwache Opposition.“

Im selben Jahr flüchtete ein Mann nach Schweden, er heißt Jean Bosco Gasasira. In seinem früheren Leben war er Chefredakteur einer unabhängigen Tageszeitung in Ruanda. Einige Monate, nachdem er Ruanda verlassen hatte, wurde sein Interimsnachfolger dort erschossen. Die Zeitung, die Jean Bosco Gasasira geführt hatte, wurde verboten. Jean Bosco Gasasira erhielt in Schweden Asyl und hatte trotzdem das Gefühl, er müsse sich verstecken. „Ich fühlte mich tot“, sagte er Forbidden Stories.

Extralegale Tötungen

Auch in diesem Fall gibt es Hinweise darauf, dass das ruandische Regime hinter Einschüchterungsversuchen steckte. So verurteilte ein schwedisches Gericht 2013 einen Mann, der als Spion damit beauftragt gewesen war, John Bosco Gasasira in Schweden aufzuspüren. Als mutmaßlichen Auftraggeber benannte das Gericht einen Mann, der Präsident Kagame nahestand. Etwa zur gleichen Zeit wies Schweden einen ruandischen Diplomaten aus, auch ihm wurde vorgeworfen, ruandische Geflüchtete ausspioniert zu haben. Fragen des Recherche-Konsortiums dazu haben weder die ruandische Botschaft in Schweden noch die mutmaßlich beteiligten Männer beantwortet. Gegenüber einem schwedischen Medium gab Gasasira an, dass die Drohungen nicht aufgehört hätten.

Öffentlich äußern sich europäische Sicherheitsbehörden oder Diplomaten zu diesen Fällen nur zurückhaltend. In vertraulichen Runden aber bestätigen sie, dass ruandische Geheimdienstaktivitäten bekannt und auch in Gesprächen mit der ruandischen Regierung angesprochen worden seien. Das Auswärtige Amt bestätigte, dass ihm Berichte über extralegale Tötungen bekannt sind. Sie hätten sich jedoch alle vor 2021 ereignet, und die ruandische Regierung bestreite ihre Verwicklung. „Diesen Vorwürfen muss nachgegangen und diese müssen vollumfassend aufgeklärt werden“, schreibt das Auswärtige Amt. Wer aus seiner Sicht die Aufklärung leisten soll, sagt das Ministerium nicht.

In Belgien, wo mit etwa 30.000 Menschen die größte ruandische Diaspora in Europa lebt, bestätigt der dortige Militärgeheimdienst „geheime Aktivitäten“ Ruandas auf belgischem Boden. Was das bedeutet, lässt sich in belgischen Behördenkreisen erfahren: Es handele sich um „Aktionen gegen die ruandische Diaspora“, die von aktiver Überwachung bis zu Gewaltakten reichten und als „inakzeptabel“ bezeichnet werden. Ruanda sei besonders daran interessiert, gegen das vorzugehen, was es als „Völkermord-Ideologie“ ansehe – ein relativ weit gefasster Begriff, der unterschiedliche Narrative über den Völkermord an den Tutsi bis hin zur politischen Opposition gegen die derzeitige Regierung umfassen kann.