Rosa Braem und die „Partei jener Arbeit“: Klinken putzen, statt Böden scheuern

Gegen alle Trends in der EU erlebt dieses Land den Aufstieg einer einst maoistisch inspirierten, sich auch heute noch ungeniert kommunistisch nennenden Partei. Als diese „Partei der Arbeit“ (PVDA/PTB) 2019 in Brüssel und Wallonien abräumte, ließ sich dies noch damit erklären, dass der frankophone Süden so etwas wie die letzte Gegend Europas darstellt, in der rechtsnationalistische Kräfte die Arbeiterklasse bis dahin nicht zu verführen vermochten. Dann aber das: Bei den belgischen Wahlen am 9. Juni stieß die PVDA/PTB im frankophonen Teil an ihre gläserne Decke, während sie im separatistisch und nationalpopulistisch geradezu verseuchten Flandern klar hinzugewann. Sie hält nun 15 der 150 Mandate im belgischen Parlament.

Lover mit Wampe

Die vom zweisprachigen Raoul Hedebouw geführten Linkssozialisten sind auf Opposition gebürstet. In zwei Kommunen regieren sie mit. Eine davon ist Zelzate, ein Stahl-, Chemie- und Teerstädtchen nahe der niederländischen Grenze. Zelzate wählt lange schon mehrheitlich links, wirkt beim Durchfahren aber mittelschichtiger als die pittoresk rotziegelige Armseligkeit wallonischer oder englischer Arbeiterviertel. Zwei Parteien finden so viel Zuspruch, dass ihre Fahnen und Plakate an Häusern und Wohnungen prangen: der rechtsextreme Vlaams Belang und die Partei der Arbeit. Deren Propaganda sehe ich etwa in der Auslage eines vermeintlichen Antiquitätenladens, der sich im nächsten Moment als Wohnzimmer einer allein lebenden Rentnerin erweist.

Ich klingle. Ein ungepflegter Typ mit Wampe öffnet und holt die Frau des Hauses, die um halb elf noch im Morgenmantel ist. Irgendwann verschwindet der Mann grußlos. Die herzliche schwarzhaarige Dame, sie heißt Rosa Braem, erzählt mir später, sie habe mit diesem „halben Holländer“ einst vier Jahre lang eine Affäre gehabt, jetzt aber würden sie seine dauernden Besuche nur noch nerven: „Stellen Sie sich vor, er nimmt seine Katze an die Leine und geht mit ihr spazieren. Er war aber nicht immer so wie jetzt – er war schön.“

Die Flamin Rosa Braem stammt von der französischen Grenze, hat sechs Geschwister und wuchs bei einer Tante auf, die jeden Tag in die Kirche ging. Mit 14 hatte sie die Schule satt und putzte in einem Genter Spital, dann bei einer reichen Familie in Brügge („Die waren sehr freundlich zu mir“), später in etlichen Haushalten Zelzates. Dorthin kam sie mit ihrem Mann, einem französischen Arbeiter. Obwohl er in den frankophonen Ardennen gelebt hatte, war ihr Vater nicht begeistert von der Ehe mit einem Ausländer, „ein Wallone wäre besser gewesen“. Wenn er getrunken hatte, schlug ihr Mann sie. Als Rosa auszog, fand er sie und brach ihr bei helllichtem Tag und vor den Augen von Passanten die Nase. Sie bat im italienischen Café nebenan um Hilfe, die Italiener wollten aber keinen Ärger, erst eine Cousine rief die Polizei. „Man konnte meinen Spuren bis ins Café folgen, überall war Blut.“

Nach 18 Jahren war die Scheidung durch, danach begann sie sich für die Partei der Arbeit zu engagieren: „Ich gehe seit Jahrzehnten von Tür zu Tür, die man heute nicht mehr gleich zuschlägt.“ Wie bei vielen war ihr erster politischer Kontakt ein „roter Arzt“, der auch als Stadtverordneter aktiv war. Diese Mediziner arbeiten in Gruppenpraxen der Partei, „Medizin für das Volk“ genannt, und behandeln ihre Patienten gratis. 3.000 der 13.300 Zelzater gehen angeblich zu den Gratisdoktoren, „aber die wählen nicht alle die PVDA“. Sie spricht mit großer Zuneigung von diesen Ärzten. Auf Fragen zu Trotzkisten und Maoisten will sich die pensionierte Putzfrau nicht einlassen, von „Islamo-Gauchisme“ hat sie noch nie gehört: „Wir sind marxistisch.“ Welche Regierungsform wäre im Fall einer absoluten PVDA-Mehrheit anzustreben? Das übersteigt ihre Fantasie. Sie träumt von einer Reise nach Kuba und hat über ihre von der Karibikinsel stammende Kosmetikerin „so viele Medikamente dorthin gespendet, wie ich konnte“.

Sie lebt mit der Partei, als wäre das ihre erweiterte Familie. So geht sie stets zum Parteifest „ManiFiesta“: „Das letzte Mal kamen 12.000 Menschen und als Stargast sogar Ahed Tamimi, das palästinensische Mädchen, das in der Westbank einsaß, weil es mit seiner Faust einen israelischen Soldaten schlug.“ Dass meine liebenswürdige Gastgeberin vom Spross einer palästinensischen Familie spricht, der schon etwas mehr als Faustschläge verteilt hat, weiß ich in dem Moment noch nicht. „Ich bin wirklich gegen Israel“, sagt sie, „die wollen erst aufhören, wenn alle tot sind, dann ist es aber zu spät.“ Ich frage sie, was ihre Lösung wäre. Sie sagt sarkastisch lächelnd: „Eine Bombe draufschmeißen.“ Zum europäischen Krieg äußert sie sich gemäßigter. In der Ukraine ist sie „für Frieden, nicht für Putin“. Es gefällt ihr, dass die PVDA/PTB die einzige gesamtbelgische Partei ist. Für eine Republik Belgien brennt sie nicht, „ich mag die Prinzessin Elisabeth sehr gern“. Warum trägt sie am Handgelenk unter anderem ein Kettchen mit Kreuz? „Das habe ich auf der Straße gefunden“, wehrt sie ab und weist auf ein weniger auffälliges Palästinakettchen. Für Belgien habe die Partei „nicht nur ein gutes Programm, sondern sie handelt auch“. Sie nennt die geforderte Einführung einer Mindestrente von 1.500 Euro und mehr – „das kam nur durch unseren Druck zustande“. Da sie meist schwarzgearbeitet habe, sprang ihre Monatsrente auf einen Schlag „von 1.200 auf 1.500 Euro“. In Zelzate sei ihrer Partei die Abschaffung der Parkgebühren zu verdanken: „Vorher war nur die erste Viertelstunde gratis, und alle haben sich furchtbar abgehetzt.“

Ihre beiden Söhne und auch die Enkel sind schon groß. Die Gewalt des Vaters gegen die Mutter wirkt nach, der jüngere Sohn hat nachts immer noch Albträume, in denen er auf Französisch „Maman!“ ruft. Heute geht es seiner Mutter gut. Sie sei aus gutem Grund Kommunistin. „Ich bin frei“, sagt sie, „es gibt keinen Chef über mir.“

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa