Roman „Innerstädtischer Tod“: Elternbesuch im Problemkiez

Berlin und Krefeld, Kunst und Fabrik, Krieg und Populismus: „Innerstädtischer Tod“ ist der große letzte Teil von Christoph Peters’ Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns


„Innerstädtischer Tod“ ist der große letzte Teil von Christoph’ Peters Trilogie

Foto: Imago/Andreas Berheide


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Christoph Peters hat sich mit Innerstädtischer Tod zweifellos Großes vorgenommen. Der Roman markiert den Schlusspunkt einer Trilogie, die mit Der Sandkasten (2022) und Krähen im Park (2023) begann. Angelehnt ist sie an Wolfgang Koeppens berühmte Nachkriegstrilogie, die Koeppen selbst „Trilogie des Scheiterns“ nannte. Bei dem Schriftsteller Christoph Peters werden nun die Tauben zu Krähen, Gras wächst im Park, und der Tod wandert von Rom nach Berlin. Peters will sie als eine „Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns“ verstanden wissen.

Die beiden Vorgänger wurden von der Kritik als „sezierend“, „aufdeckend“ und „gesellschaftskritisch“ gefeiert. Doch Innerstädtischer Tod steht auch für sich allein, verhandelt, erzählt multiperspektivisch Spannungsverhältnisse: Stadt und Land, Krieg und Frieden, Karriere und Sinnsuche. Doch wo suchen? In der Kunst, im Glauben, in der Politik, in der Sexualität?

Peters’ Protagonisten verkörpern diese Suchbewegungen. Da ist zunächst Fabian Kolb, aufstrebender Künstler. Seine Vernissage in einer der renommiertesten Galerien Berlins ist der zeitliche Ankerpunkt der Gesamthandlung. Fabian ist ein Künstler im Zeitalter der Warenförmigkeit von Kunst: Unschlüssig mäandert er zwischen dem Wunsch, Sinnfragen ästhetisch auf den Grund zu gehen, dem durch Erfolg geschmeichelten Ego, der gleichzeitigen Abscheu vor der Kommerzialisierung und einer seltsamen Gehemmtheit, mit der er allem und jedem begegnet.

Fabian umgeben entfremdete Familienangehörige, die zur Vernissage angereist sind. Seine Eltern, die sich größte Mühe geben, den endlich erreichten Erfolg ihres erstgeborenen Sorgenkindes zu feiern, dabei aber niemals aus ihrer Krefelder Textilfabrikanten-Haut können. Sie fremdeln mit der Großstadt, mit moderner Kunst und folglich auch mit ihrem Sohn, der so anders ist als Leo, der Zweitgeborene. Alle Wünsche des Vaters als Stammhalter erfüllend, bleibt dieser indes so blass und unsympathisch, dass er letztlich von keiner der handelnden Personen mehr als nötig erwähnt wird. Auch die Tante des Künstlers, Irmgard, hat sich im Schauplatz Hotel eingemietet. Sie hadert mit ihrer gescheiterten Ehe zu Hermann Carius, ertränkt die Schwermut in Prosecco und verachtet ihrerseits ihren Sohn Martin, der sich für ein Leben im Dienst der katholischen Kirche entschieden hat, die ihr als korrupter Betrieb von Kriminellen, Pädophilen und Schwurblern erscheint.

Das elterliche Fremdeln mit den Arbeits- und Lebensentwürfen ihrer Zöglinge – mit dem Priester, der in Berliner Problemkiezen Seelenheil verbreitet, und dem Künstler, der seinem Talent mit vulgären, abstoßenden und schockierenden Skulpturen Ausdruck verleiht – ist nicht die einzige Parallele. Bildender Künstler und betender Katholik streben gleichsam hinaus aus der bornierten Mittelmäßigkeit ihrer Herkunftsfamilien. Beide hadern mit ihrer Sexualität. Martin ertränkt sein mutmaßliches Interesse an Männern in Gebeten; Fabian verkörpert eine durch MeToo aufgeklärte, moderne Sexualität, die sich keine Lust, ja nicht einmal Interesse am anderen Geschlecht ohne schlechtes Gewissen und ohne die Prüfung der eigenen Begierde auf vielschichtige Machtgefälle zu gönnen vermag. Fabians Sexualität steht im Kontrast zum Galeristen, dem es selbst in der direkten Konfrontation mit Beschuldigungen und Boykottaufrufen gegen seine Galerie nicht einfällt, die Hand von der Hüfte seiner Assistentin zu nehmen.

Angst vor atomarer Eskalation

Innerstädtischer Tod nutzt den Familienroman als zeitgeschichtlich verankertes Gesellschaftspanorama. Die Welt mit all ihren Zeitfragen und Polarisierungen ist zu Gast im Innenleben der handelnden Personen. Die verfremdete, aber unübersehbare Literarisierung realzeitgeschichtlicher Figuren hat zuweilen dokumentarische Qualität. So erhalten die Leser eine ausführliche Innenperspektive der Figur des Hermann Carius, dem ganz offensichtlich der AfD-Politiker Alexander Gauland zugrunde liegt. Diesem lässt Carius viel Raum für politische wie persönliche Gedanken.

Die Stärke des Romans besteht in der Plausibilisierung der Perspektiven. Sie droht zugleich vor lauter mimetischem Anschmiegen, vor lauter Verständnis, sich dem politischen Urteil über das Wirkliche zu entziehen. Es kann den Leser das unwohle Gefühl geistiger, ja sogar emotionaler Nähe zu dieser nur allzu realen Figur beschleichen. Beinahe neutral werden den Gedanken des Rechtspopulisten die Perspektiven seiner migrantischen Chauffeure entgegengesetzt. Erst im Fortgang des Romans wird Carius’ Innenleben stetig armseliger, schmuddeliger, trauriger. Übrig bleibt eine Mischung aus Mitleid und Ekel.

Christoph Peters’ Roman vereint damit das Genre des soziotypischen Psychogramms in Literaturform mit einem komplexen Gesellschaftspanorama. Peters gelingt es beklemmend gut, die Sehnsüchte und Seelennöte seiner Figuren in ihrer ganz menschlichen Banalität einzufangen und deren Verstrickung in den weltpolitischen Kontext aufzuzeigen.

Das Private ist politisch. Und so tobt am Horizont fortlaufend der Krieg in der Ukraine, ist die Angst vor einer atomaren Eskalation ständiger Begleiter des vielfältigen persönlichen Scheiterns im Kleinen. Peters’ literarische Präzision und sein eingeübtes Spiel mit Sprache machen Innerstädtischer Tod dabei nicht zur deprimierenden Lese-Aufgabe, sondern zum spannungsgeladenen Lese-Ereignis.

Innerstädtischer Tod Christoph Peters Luchterhand 2024, 304 S., 24 €