Roman des Jahres: Warum welcher Deutsche Buchpreis eine Chance verpasst hat – WELT
Der Deutsche Buchpreis zeichnet den besten Roman des Jahres aus. Dieses Jahr gab es für viele einen klaren Favoriten. Doch nicht Clemens Meyer, sondern Martina Hefter bekam die Auszeichnung. Was das über den Anspruch des deutschen Literaturbetriebs verrät.
Gleich zu Beginn der Preisverleihung im Frankfurter Römer wurde wie noch jedes Jahr vor dem versammelten Literaturbetriebschor der gewohnte deutsche Gospel von der Vielfalt der Literatur angestimmt: „Die Literatur hat unterschiedliche Stimmen“ – „und das ist auch gut so“, „Autor:innen werden immer vielfältiger, die Identitäten auch, und das ist auch gut so“ – „Ja, das ist gut so, aber es geht nicht einfach um Identität, sondern um Qualität“.
Oh yeah! Wer ein paar Jahre dabei ist, kennt die Melodie und könnte mühelos einsteigen, noch bevor die Frankfurter Buchmesse überhaupt begonnen hat. Alles wichtig, alles richtig – aber kann das wirklich alles sein, was man mit Literatur und Literaturpreisen heute verbindet? Der Deutsche Buchpreis, 2005 zum ersten Mal vergeben, immerhin nach dem Vorbild von Booker Prize und Prix Goncourt, zeichnet den besten deutschsprachigen Roman des Jahres mit 25.000 Euro aus.
Der Anspruch an Literatur hat sich nicht verändert, stellte Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, eingangs klar, die Welt um diese Literatur herum aber schon. Wenn dieser historisch-kritische und, ja auch: moralische Anspruch Gültigkeit haben soll, ein Roman vielleicht sogar einer ästhetischen Eigengesetzlichkeit folgen und eine literarische Tradition fortschreiben: dann hätte der Buchpreis an Clemens Meyer für seinen Roman „Die Projektoren“ gehen müssen.
Nicht weil Meyer, 1977 geboren, fast ein Jahrzehnt lang an diesem Roman gearbeitet hat oder, ein writer’s writer ist, sondern gerade weil der rund tausendseitige Roman ein Kontrastprogramm ist zu den sich inzwischen oft in der kleinen Welt des Privat-Familiären einrichtenden deutschen Gegenwartsromanen: Meyers Blick ist der schonungslose Blick auf eine von Regression in brutalste Barbarei bedrohte Welt als Ganze – und sein Roman ein Roman, der sich selbst glaubt, dass Literatur die einzige Kunstform ist, sie zu bannen.
Den diesjährigen Buchpreis hat die Jury dem Roman „Hey, guten Morgen, wie geht es Dir“ von Martina Hefter zugesprochen: einem Roman, der sich dem Thema Liebe im Zeitalter der Unsicherheit widmet, aus der Perspektive einer Frau in mittleren Jahren, die, neben ihrem Mann im Rollstuhl, sich selbst und ihre Macht als Frau entdeckt – oft auf lakonisch komische Weise, jedenfalls in einem sehr eigenen Ton, der die 1965 geborene Schriftstellerin und Performancekünstlerin, einem breiten Publikum zugänglich macht.
Im zwanzigsten Jahr des Deutschen Buchpreises – in einem Jahr, das politisch so bewegt scheint, wie in den letzten Jahren keines – wäre allerdings Gelegenheit gewesen, den Roman als die eine ganz große Form der Literatur zu feiern.
Source: welt.de