Rock am Ring: Backstage beim vermutlich bekanntesten Festival Deutschlands

Dreamhaus-Chef Matt Schwarz auf der Hauptbühne kurz vor dem Auftritt von Green Day

„Alles wird schneller, nur nicht die Hotel-Aufzüge“, witzelt Matt Schwarz, als er Anfang Juni ins Restaurant des Dorint-Hotels am Nürburgring kommt. Das Haus steht ganz im Zeichen des Motorsport-Mekkas. Im Eingangsbereich hängt unübersehbar ein Rennwagen von der Decke, in der Cockpit-Bar, komplett bestückt mit Motorsport-Motiven, Plakaten und anderen Devotionalien sogar ein Ölgemälde von Michael Schumacher.

Ihren Platz in diesem kleinen Museum haben aber auch diverse, leicht in die Jahre gekommene Fotos von Musikern. Rock am Ring, 1985 von Marek Lieberberg ins Leben gerufen, gehört – vom unfreiwilligen zweijährigen Umzug einmal abgesehen – fest in den Kalender hier oben in der Eifel. Privat hat Matt Schwarz, den niemand mit seinem eigentlichen Vornamen Matthias anspricht, es nie besucht, überhaupt war er nie als normaler Fan auf einem Festival. Aber schon seit 2003 wirkt er hinter den Kulissen von Rock am Ring mit.

Die Nürburg im gleichnamigen Dorf

Die Ruhe vor dem Sturm: Dixie-Klos werden für das Festival zahllose angemietet und auf Campingflächen wie hier am Krebsberg vor dem Ort Nürburg oder auf dem Gelände verteilt.

Auf den Campingplätzen oder dem Festivalgelände erkennt ihn bis heute so gut wie niemand, was ihm nur allzu recht ist. Schwarz ist zweiundvierzig, kein Lautsprecher, am liebsten bleibt er im Hintergrund. Der große Unterschied zu früher ist: Als Chef der Agentur Dreamhaus ist er seit 2022 verantwortlich für eines der bekanntesten und größten Festivals Deutschlands. Ein hochkomplexes Gebilde mit viel Tradition, aber eben auch eines, das sich weiterentwickeln soll und muss – selbst wenn es mitunter vielleicht langsamer geschieht, als er es persönlich gerne hätte.

Der Nürburgring ist ein Mekka des Motorsports: Matt Schwarz in der „Cockpit-Bar“ des Dorint-Hotels vor einem Gemälde von Michael Schumacher

Berlin, Kurfürstendamm 59, Ende Februar: Die Zentrale von Dreamhaus liegt nicht nur geographisch weit weg vom Nürburgring. Schwarz und sein Team teilen sich die Adresse in einem schicken renovierten Altbau mit Anwälten, einer Immobilien-Agentur und zwei weiteren Eventim-Gesellschaften. Dreamhaus gehört seit Anfang 2021 mehrheitlich zu dem M-Dax-Konzern, es war der letzte Schritt einer größeren Rochade.

Unter dem Dach von Eventim finden Rock am Ring und das Zwillingsfestival Rock im Park schon lange statt. Im Jahr 2000 übernahm der Konzern die Mehrheit der Anteile an Marek Lieberbergs Konzertagentur. Als dieser 2016 zu Live Nation wechselte, beauftragte Eventim die Deutschland-Gesellschaft des weltgrößten Live-Entertainment-Konzerns damit, das Festival auszurichten.

Bis Eventim die Organisation mit Dreamhaus selbst in die Hand nahm. Schwarz arbeitete erst für Lieberbergs Agentur, dann für Live Nation – wie diverse andere aus dem heutigen Dreamhaus-Team. So schließt sich der Kreis.

Ende Februar sind es noch rund drei Monate bis zum Festival. Dreamhaus veranstaltet auch Tourneen, aber für Schwarz vergeht kein Tag ohne irgendein Rock-am-Ring-Thema. Das Programm steht schon lange, auch der unter Fans ob der zwangsläufigen Überschneidungen von Bands immer heißdiskutierte Zeitplan ist fertig. Jetzt werden Aufträge für Essensstände und andere Dienstleister sondiert oder bestätigt, und die ersten Wünsche der Bands trudeln ein. Karten gibt es noch, 229 Euro kostet das Wochenendticket. Anfang März wird der Preis planmäßig um 20 Euro steigen. 


„Wahrscheinlich gibt es in ganz Zentraleuropa kein teurer produziertes Festival“.

MATT SCHWARZ


Die Zeiten, in denen Rock am Ring zu dieser Zeit ausverkauft war, sind fürs Erste Geschichte. Jetzt fragen die Leute in den Sozialen Medien nach Tageskarten. Auch so etwas, das es früher nicht gab.  Mit dem Ticketverkauf ist Schwarz trotzdem grundsätzlich zufrieden. Luft nach oben ist noch, aber anderen gehe es schließlich nicht anders: „Nach der Pandemie sehen nahezu alle Festivals, dass die Leute später ihre Pläne machen und sich manchmal auch für ein Stadionkonzert entscheiden, das inzwischen immer häufiger genauso viel kostet wie ein Festival-Ticket.“

Die Konkurrenz durch die Fülle an Arena-Touren ist nur eine Herausforderung von vielen: „Nach Corona sind die Kosten für Technik und Personal sowie die Gagenforderungen so stark gestiegen, das ist schon verrückt“, sagt Schwarz. Der Teufelskreis mit gleichzeitig oft schwächeren Ticketverkäufen macht vielen Festivals zu schaffen. Eine zweistellige Millionensumme verschlingt Rock am Ring: „Wahrscheinlich gibt es in ganz Zentraleuropa kein teurer produziertes Festival“.

Das Booking liegt bei ihm, mit einem kleinen Team stellt er das Line-up zusammen. Alle Jahre wieder ein Balanceakt. Bucht er etwa Green Day oder die Toten Hosen als Headliner, lästern manche, Rock am Ring entwickele sich nicht weiter. Kommen Apache 207 oder Kontra K, wabert der abschätzige Begriff „Rap am Ring“ durchs Internet.

„Wir brauchen die großen internationalen Blockbuster-Acts“, fasst Schwarz die Marschroute für die oberen Plätze im Line-up zusammen. Gleichzeitig bilde man „auch den Zeitgeist und den Musikgeschmack“ der Besucher ab. Durchs Streaming sei der nämlich wesentlich vielfältiger geworden. „Es muss also nicht immer die klassische Rock-Band sein. Auch Hip-Hop oder Acts mit elektronischen Einflüssen haben ihren Platz bei uns.“ Mehr Abwechslung ja, aber gleichzeitig soll der „Kern der Marke mit seiner DNA aus gitarrenlastigem Rock“ beibehalten werden. Vom „bewussten Formatbruch“, der „positive Spannung“ bringen kann und soll, spricht er. 


„Es muss also nicht immer die klassische Rock-Band sein. Auch Hip-Hop oder Acts mit elektronischen Einflüssen haben ihren Platz bei uns.“

MATT SCHWARZ


2010 habe er beispielsweise Jay-Z als Co-Headliner gebucht: „Das wäre heute ein sensationelles Booking – war es auch damals schon, fand ich zumindest.“ Viele Fans sahen das erst einmal anders. „Vor Ort aber waren die Leute von der Show dann komplett begeistert.“ Auch Billie Eilish wollte er schon an den Ring holen. Die hätte auch Lust gehabt, am Ende habe es aber nicht in den Tourplan gepasst, und überhaupt: Auch vor mehr als 20 Jahren seien am Ring schon die Fugees oder Alanis Morissette aufgetreten. Dass es dieses Jahr betont rockig zugeht, sollte in jedem Fall kaum als neuer Dauerzustand verstanden werden.

Aufbauarbeiten zum Festival „Rock am Ring“ am Nürburgring in der Eifel am 04.06.2024. Bauarbeiter beim Klettern im Bühnengrüst der „Mandora Stage“.

Nürburg, Grandprix-Strecke, im Juni: Am Dienstag, drei Tage vor Festivalstart, ist noch wenig vom anstehenden Großevent zu spüren. Im Hotel-Restaurant verbringen Teilnehmer einer Firmen-Tagung die letzten Züge ihrer Mittagspause. Von der Nordschleife dringen Motorengeräusche rüber; business as usual.

Schwarz wirkt tiefenentspannt. Gestern Abend war er noch in Hamburg auf einem Apache-207-Konzert – Dreamhaus organisiert die Tour. Am Morgen ging es über Frankfurt in die Eifel. Seit dem Festivalsonntag 2023 war er nicht mehr hier. Manche Veranstalter kämen erst zum Festival, er dagegen zieht für fünf Tage am Ring ein.

Als es neu eröffnet hatte, wohnte er einmal im opulenten Lindner-Hotel, wenige hundert Meter vom Dorint entfernt. Eine Ausnahme. Das ältere Dorint gehöre für ihn zum Festival einfach dazu, sagt er. Anfangs als Bandbetreuer habe er immer vom Kopfkissen aus sehen können, was hinter der Hauptbühne passierte. Waren noch keine Nightliner vorgefahren, konnte er sich noch einmal umdrehen und weiterschlafen.

Matt Schwarz mit Festivaldirektorin Jana Posth (vorne) besprechen den geplanten neuen Platz der Hauptbühne.

Die Neuplatzierung der Bühnen ist das große Thema am Dienstag: Schwarz und Posth mit dem Verantwortlichen für die zweite Bühne (links) und dem Vertreter der Bühnenbaufirma

Als Veranstalter ist das eher keine Option. Mit Ruhe war es auch rund zwei Wochen zuvor nicht weit her: Bad Omens, eine gefragte US-Rock-Band mit prominentem Platz im Programm, musste absagen. Der Sänger leide unter einem „extremen Burn-out“, hieß es in einer Mitteilung der Gruppe. Schwarz stand also kurz vor dem Festival ohne eine zentrale Band, dafür aber mit einem offenen Slot da.

Eine extrem undankbare Situation – und eine, die zeigt, wie schwierig es ist, Fanwünsche mit den Realitäten der Live-Welt in Einklang zu bringen. „Bei den Kommentaren in den Socials würde ich am liebsten fragen: Liebe Community, wenn Bring Me The Horizon oder Sleep Token – also von Genre und Größe her vergleichbare Acts, die ihr mir hier vorschlagt – als Last-Minute-Ersatz verfügbar gewesen wären, glaubt ihr nicht, wir hätten sie dann gebucht, vielleicht auch sogar schon vor Monaten für einen regulären Slot?“ Spontanität ist ob der Logistik und stattlichen Kosten rar gesät in diesen Größenordnungen. Ein vergleichbarer Vorschlag sei aber sogar von jemandem aus den Eventim-Reihen gekommen, sagt er kopfschüttelnd.


„Wenn du den Leuten Real Talk gibst und ihnen die Hintergründe aufzeigst, dann wird das auch verstanden.“

MATT SCHWARZ


Schwarz klingt belustigt, wenn er das erzählt. Dass er die eigene Sicht als Festival-Organisator manchmal gerne den Kommentaren auf Instagram und Co. entgegenhalten würde, ist aber offensichtlich. „Nach Corona hat mal jemand auf Youtube zwanzig Minuten lang erzählt, was er gut und was er schlecht fand“, erinnert er sich. „Teile davon empfand ich als ungerechtfertigt, da habe ich ihn angeschrieben und später zwei Stunden mit ihm telefoniert. Wenn du den Leuten Real Talk gibst und ihnen die Hintergründe aufzeigst, dann wird das auch verstanden.“ 

Als kurzfristigen Bad-Omens-Ersatz hat er letztlich Marsimoto präsentiert, das Alter-Ego von Rapper Marteria. „Statt den Slot einfach ersatzlos zu streichen, das Geld zu sparen oder eine kleinere Band zu buchen und andere Acts hochzuschieben, haben wir gleichwertig nachgelegt“, findet er. Dreamhaus betreut den Rapper auf Tour, der Draht war also kurz, und dieser sei großer Rock-am-Ring-Fan. Die erste Festival-Show war regulär für Ende Juni geplant, also wurden die Proben kurzerhand vorgezogen. Aber Rap statt Rock bedeutete für Schwarz natürlich auch, „dass ich wahrscheinlich wieder den Helm aufsetzen kann“.

Alles will exakt geplant sein: Wie eine Rennstrecke zum Festivalgelände wird.

Das Programm ist das eine Großthema, das andere ist die Infrastruktur. Anzahl und Zustand von Dixie-Klos, normale Toiletten und Duschen, die Wasserversorgung, Shuttles, Beschilderungen – alles Aspekte, die gerade bei außerstädtischen Festivals für Diskussionen sorgen. Der Standort Nürburgring ist hier Fluch und Segen zugleich.

Das Infield der Rennstrecke ist asphaltiert, berüchtigte Schlammschlachten im Bühnenbereich sind also ausgeschlossen. Zudem kann Schwarz mit seinem Team Büros, Logen und Hallen vor Ort nutzen. Dafür verteilen sich die Campingplätze in alle Himmelsrichtungen um die Strecke, anstatt auf einer zusammenhängenden großen Wiese, Höhenunterschiede inklusive – und überall wollen die Fans versorgt sein.

Die Container fürs Experience-Camping gegenüber vom Dorinthotel, eine Campingkarte für den Bereich kostete 1.669 Euro.

Fürs Camping muss bis Mittwoch alles stehen, dann öffnen die Tore. Vom normalen Zeltplatz bis zu nah an den Bühnen gelegenen und mit allerlei Extras versehenen Bereichen wie im teuersten Fall einem kleinen Wohncontainer für zwei Personen (Grundpreis 1669 Euro) ist alles dabei. Die höchsten Kategorien waren besonders schnell ausverkauft. Das Stammpublikum wird eben älter, Komfort gefragter.

Der Discounter Lidl hat seine Festivalfiliale in einem großen, robusten Zelt schon fertig bestückt. Supermärkte sind bei großen Festivals seit Jahren zu finden. Regalmeter Bratwurst, Kräuterbaguette und palettenweise Getränke – allen voran Dosenbier – warten auf den Ansturm. Selbst die aus normalen Läden gewohnte Backstation ist vertreten. Eine ganze Kollektion an Kleidung mit omnipräsentem Lidl-Logo sowieso, für die Einzelhändler sind Festivals schließlich eine beliebte Marketing-Spielwiese.

Schwarz am Dienstag im fertig vorbereiteten Festival-Lidl

Samstagnachmittag ist für manche Einkaufszeit.

Palettenweise Bier und Radler sind nur ein kleiner, aber sehr gefragter Teil des Lidl-Sortiments.

Einkauf erfolgreich erledigt.

Im Check-In-Büro liegen, fein säuberlich vorgepackt in DIN A4-Umschlängen, die Unterlagen für Künstler und ihre Teams bereit. Die Backstage-Pässe in Form von auffälligen Hartplastikkarten kaufe er extra in den USA ein, sagt Schwarz, ein beliebtes Andenken unter Crews und Bands. Die kommen erst ab Donnerstag. Eine kleine Schlange gibt es Dienstagmittag nur beim Bereich für die Security. Mit Ordnern und den diversen Gewerken müssen bis Sonntag rund 10.000 Leute durch den Check In geschleust werden.

Pässe und Unterlagen warten vorbereitet auf die Bands.

Bevor Schwarz einen ersten Rundgang übers Festivalgelände startet, beschäftigt ihn auf dem Weg ins Infield der Rennstrecke schon das Jubiläumsfestival 2025. Slipknot werden auftreten, die Ankündigung ist für Sonntag geplant. Details gilt es aber noch zu klären. „Wenn ich heutzutage Bands ein Angebot schicke, steht da nicht nur eine Gage, sondern auch, wo sie mit ihrem Logo im Line-up stehen und wie es aussieht“, erklärt er: „Wir schicken sogar ein Musterplakat mit. Unnötige Diskussionen mit den Managements kurz vor der Ankündigung braucht kein Mensch.“  Das Thema habe auch schon fast zum Rückzug von Bands geführt.

Slipknot waren offenkundig zufrieden. Die weltbekannte Metalband passt perfekt ins Schema „großer internationaler Blockbuster-Act“. Gleichzeitig ist die Gruppe als erster Headliner Wasser auf die Mühlen all jener, die eine geringe Frauenquote im Line-up von Rock-Festivals kritisieren. Als eines der größten, noch dazu mit einem Namen, der sich bestens für vielsagende Wortspiele wie „Cock am Ring“ gebrauchen lässt, steht Rock am Ring naturgemäß im Fokus.


„Ich habe den Anspruch, dass wir mehr Frauen im Line-up haben, aber ich buche nicht nach Quote.“

MATT SCHWARZ


Schwarz redet nicht zum ersten Mal über das Thema, er weiß um seine Fallstricke. „Ich habe den Anspruch, dass wir mehr Frauen im Line-up haben, aber ich buche nicht nach Quote“, betont er Ende Februar in Berlin. Die Verfügbarkeit der Acts, und dass sie ins Programm passten, seien entscheidende Faktoren. „Wir fördern junge Bands mit eigenen Slots und gucken dabei auch immer mit einem Auge aufs Thema Diversity.“ Aber Rock am Ring lebe letztlich von der Attraktivität des Line-ups, „vielleicht sogar noch mehr als andere Festivals.“ Ohne zugkräftige Bands gehe es nicht. 

Hier liegt ein Teil des Problems: „Der Pool der akzeptierten Rock-Headliner wird kleiner“, konstatiert Schwarz – und Frauen spielen in dieser Riege fast keine Rolle. „Auch wenn wir Newcomer aktiv fördern, es kommen einfach nicht so viele nach, wie wir es uns wünschen würden“, sagt er. Eine Popularität wie von Iron Maiden, den Foo Fighters, Guns N’ Roses, Metallica, den Toten Hosen und Co. müssten sich viele jüngere Bands eben erst noch erarbeiten.

Die japanische Band Babymetal auf der zweiten Bühne

„Ich bin Vater einer achtjährigen Tochter und finde es wichtig, dass wir als Branche in Sachen Diversity vorankommen“, sagt Schwarz. „Ich teile viele Kritikpunkte, aber wenn in der Diskussion jeder auf seiner Maximalforderung besteht, kommen wir auch nicht weiter.“ Teils müssten sie sich „mit Leuten auseinandersetzen, die noch nie bei diesem Festival waren und die auch nie hingehen werden. Dafür besitzen sie Reichweite in den Socials.“

Es sind am Ende Grundsatzfragen: Wie viel Verantwortung für mehr Diversität tragen Veranstalter? Und wenn Fans ein Line-up mit vielen älteren Männerbands mögen, sich die Karten gut verkaufen, hat ein Veranstalter dann nicht einiges richtig gemacht? Er habe jedenfalls ganz klar gesagt: „Wir unterstützen das, so gut wir können, aber Rock am Ring kann nicht die Probleme der gesamten Musikindustrie lösen“, sagt Schwarz. „Da müssen alle mitmachen: Managements, Labels, Verlage, Streamingplattformen, Radiosender, Print- und Online-Medien und viele mehr.“

Im Infield warten am Dienstag vergleichsweise profane Dinge. Sonntagabend sind die ersten Lastwagen mit Material für das Festival ins Fahrerlager gefahren, wo normalerweise die Armada an Lastwagen und die Aufbauten von Rennteams stehen. Zu diesem Zeitpunkt gehörte die riesige Fläche noch dem Vierundzwanzig-Stundenrennen. Ein weiteres Traditionsevent am Ring, das dieses Jahr wegen dichten Nebels früher enden musste – zum Vorteil von Rock am Ring: Die Aufbaucrew konnte zwei Stunden früher loslegen. Andere Festivals bauten über Wochen auf, „und wir freuen uns, wenn wir zwei Stunden eher aufs Gelände dürfen“, sagt Schwarz mit Blick auf den engen Zeitplan von knapp fünf Tagen.

Das Grundgerüst der Hauptbühne am Dienstagnachmittag, im Hintergrund das Boxengebäude mit Medien-Zentrum, Büros und Logen.

Ein Kabelstrang an der Hauptbühne

Der Platz hinter der Hauptbühne will gut genutzt sein – und an Wasser soll es nicht mangeln.

Konzertvorbereitung auf der Utopia Bühne beim Festival Rock am Ring am Nürburgring in der Eifel am 08.06.2024. Bühnenarbeiter machen bei den LKWs hinter der Bühne eine kurze Pause.

Die Büros im mehrstöckigen Boxengebäude hat das Festival-Team schon in Beschlag genommen. Vom Vierundzwanzig-Stundenrennen bleiben nur das Riesenrad und ein Schirmdach stehen, alles andere ist kurz nach Mittag abgebaut. Auf der weiten Fläche neben der Boxengasse, in der an anderen Tagen Rennteams ihre Wagen vorbereiten, fahren Gabelstapler umher, Generatoren werden abgeladen und ein Kran stellt die ersten Boxentürme auf. Ab Freitag stehen hier zehntausende Musikfans vor der mächtigen Hauptbühne.

Sie ist es, die Schwarz besonders beschäftigt: „Ich denke seit Jahren darüber nach, die Bühnenpositionen zu verändern“, sagt er. Ein großer Schritt, auch logistisch, „das Jubiläum könnte ein guter Zeitpunkt sein, das Thema progressiv anzugehen“, hofft er. Denn so schön die Bilder vom Sonnenuntergang mit der Nürburg im Hintergrund der Hauptbühne seien, all das hat eine Kehrseite: „Um die Leute sicher in die vordersten Reihen zu bringen und noch sicherer wieder heraus, müssen wir sie durch die Boxengasse führen.“

Die Ruhe vor dem Sturm: Matt am Dienstag im Streckenabschnitt „AMG Arena“, in dem die zweite und dritte Bühne ihren Platz haben.

Das gehe aber nur mit einem „ausgeklügelten und komplexen Einlasssystem“, bestehend aus einem „High-Tech-People-Counter“, Ampeln, massig Gittern, provisorischen Treppen, einer LED-Wand, um das System zu erklären und jeder Menge Ordnern. Das gesparte Geld will er lieber in die „Festival-Experience“ stecken. 

Die Hauptbühne soll – so der Plan – ans andere Ende des Fahrerlagers verlegt werden, die zweite Bühne muss leicht verschoben, die dritte komplett neu platziert werden. Um sich ein besseres Bild zu machen, geht Schwarz auf den Balkongang des Boxengebäudes. Statt Richtung Burg ginge der Blick mit dem neuen Bühnenplatz in die Ferne auf die grünen Hügel der Eifel. Auch schön.

Wieder unten, fällt Schwarz ein Toiletten-Häuschen ins Auge, das in etwa dort steht, wo nächstes Jahr die Hauptbühne emporragen soll. Nachdem er es einmal kurz unter die Lupe genommen hat, greift er zum Handy mit der Frage, ob die Bühne drumherum gebaut werden soll oder ob das Häuschen kurzerhand abmontiert werden muss. Zwischendurch telefoniert er auf dem Rundgang kurz zwecks einer Ausfallversicherung für eine geplante Tour. Das Tagesgeschäft ruht nicht.

Schwarz richtet sein vorübergehendes Büro im Boxengebäude ein. Seine Utensilien wie der Drucker waren am Montag noch in Hamburg bei der Apache-Show, und sind über Nacht an den Ring gebracht worden.

Unter den Augen von Schwarz: Das Dach der Hauptbühne wird am Dienstag hochgefahren – nächstes Jahr soll sie an einem anderen Ort stehen.

Seine Begeisterung für die Bühnenpläne ist spürbar, die logistische Umsetzung wirft aber manche Frage auf. „Lasst uns bitte die ruhige Zeit gerade nutzen und unsere Pläne vor Ort durchsprechen“, sagt er ruhig, aber entschieden im Gespräch mit dem Verantwortlichen der zweiten Bühne und dem Chef der Bühnenbau-Firma. Er habe auch schon den perfekten Claim für die Kampagne, schiebt er mit Blick auf das ampelgesteuerte Einlasssystem für die Hauptbühne im Spaß hinterher: „Die Ampel muss weg“.

Eine große Änderung hat Schwarz schon umgesetzt: Seit 2022 wird auf dem Festival nur noch bargeldlos bezahlt mittels eines Chips am Festivalbändchen. Auch dafür war Geduld nötig, er hätte am liebsten schon vor mehr als zehn Jahren umgestellt, „aber besonders in Deutschland hängen einige Menschen noch sehr am Bargeld“, sagt er. Also können Besucher nach wie vor ihren Chip an eigens eingerichteten Terminals mit Münzen und Scheinen aufladen. Das koste das Team viel Geld und Nerven, aber was soll man machen: „Solange die Leute das wollen – auch wenn sie weniger werden –, werden wir es anbieten.“ Pragmatismus lernt man schnell als Veranstalter.

Samstagmittag, kurz vor der ersten Band des zweiten Festivaltages, ist Zeit für eine erste Bestandsaufnahme. Schwarz sitzt in der „Promoter Lounge“ im Garderobenbereich, wo die Bands ihren Rückzugsort haben. Ein mit dunkel verkleideten Holzwänden aufgebautes Dorf in der Halle hinter der Haupttribüne der Rennstrecke. In der Lounge steht eine Siebträger-Maschine bereit – nicht für Schwarz, der keinen Kaffee anrührt –, daneben Tee, Aperol und ein paar Flaschen Wein, in der Ecke ein gut bestückter Kühlschrank. Gleich gegenüber hat Schwarz sein Büro für die Festivaltage bezogen.

Im „Ring-Boulevard“ der großen Halle hinter der Haupttribüne der Rennstrecke entstehen die Garderoben für Künstler und Schwarz’ Büro für die Festivaltage.

Mittwoch und Donnerstag sei er viel unterwegs gewesen, Aufbauten anschauen und allerlei Dinge korrigieren, erzählt er. Beim Zwillingsfestival Rock im Park ist er so gut wie nie. Dafür ist er am ersten Festivaltag für eine kurze Stippvisite zum Tourfinale von Apache 207 nach Mannheim geflogen. Eine Ausnahme, betont er. Zeit für einen Rundgang im Festivaltrubel war trotzdem: „Ich bin Riesenrad gefahren, um das neue Soundsystem und die neuen LED-Wände mal anders zu erleben“. Viel habe ihm gut gefallen – „und dann habe ich noch fotografiert, was mir nicht gefallen hat: hier eine volle Mülltonne, da eine falsche Jahreszahl in einer Grafik.“

Schwarz hat ein Faible für Details. Alle Animationen für die LED-Wände sind von ihm abgenommen, auch bei den Playlisten für die Umbaupausen hat er seine Finger im Spiel. Eines der ersten Dinge, die ihm am Dienstag ins Auge gefallen sind, waren die neuen Werbebanden, an denen die Rock-am-Ring-Smileys herausgestellt waren. Später schwärmte er von den akkurat symmetrisch aufgestellten Zelten im Premium-Camping-Bereich gleich neben der Hauptbühne.

Diese Art könne manchmal auch anstrengend sein, weil sie Zeit und Ressourcen fresse, „aber die Menschen, die mit mir arbeiten, kennen das schon“, sagt er und fügt grinsend hinzu: „Sollte ich irgendwann keine Lust mehr auf Rock n‘ Roll haben, starte ich vielleicht im Interior Design nochmal durch“.

Direkt vom Chef getestet: Im „Utopia“-Camping auf der Rennstrecke direkt neben der Hauptbühne ist unter anderem ein Zelt für zwei Personen schon aufgestellt.

Fein säuberlich aufgereiht warten die Zelte im „Utopia-Bereich, der zweitteuersten Camping-Area (449 Euro), am Dienstag auf ihre Gäste. „Der Komfortbedarf wächst, die höchsten „Glamping“-Kategorien waren so schnell ausverkauft wie noch nie“, sagt Schwarz: „Wir sind aber kein Festival nur für Gutbetuchte und wollen das auch auf keinen Fall sein.“

Im Bett war er am Freitag gegen 2:30 Uhr, kurz nach Ende des Programms, wie ein Blick auf die Anrufliste seines Handys verrät. Doch vom Geschehen auf den Bühnen bekommt er ohnehin wenig mit. „Ich will ein guter Gastgeber sein, aber den Spagat kennt jeder von zuhause“, sagt er. „Wenn man eine Party schmeißt, muss einer den Kartoffelsalat nachfüllen, statt auf der Tanzfläche zu stehen – und das ist man dann meist selbst.”

Ins Promoter-Leben übersetzt bedeutet das: Die meiste Zeit verbringt er im Garderoben-Bereich, begrüßt Künstler, redet mit Agenten, hört sich Anliegen an oder spricht über zukünftige Vorhaben. Festivals sind immer auch ein kleines Klassentreffen. So viele Akteure aus der Branche kommen selten an einem Ort zusammen. Und den Chef wollen eben viele sprechen. 

Der Garderobenbereich ist eine Welt für sich, ohne Berührungspunkte zum Festivalleben der rund 80.000 Fans draußen. Auch Musik von den Bühnen dringt bis hierhin nicht durch, auf einer wandfüllenden LED-Wand läuft bloß tonlos der Stream von den beiden großen Bühnen. Teppiche, bunt zusammengewürfelte Hocker, Sessel und Sofaecken schaffen eine gemütliche Atmosphäre. So gemütlich es im vom Flair an eine Messehalle erinnernden Location eben geht. Ein paar Leute spielen am Nachmittag Billard, ein Crew-Mitglied einer Band döst auf einem Sofa, während andere sich an einer der Spielkonsolen versuchen. Der Zugang ist so strikt geregelt wie in kaum einem anderen Bereich des Festivals. Fotos sind verboten.


„Wenn es doch mal spezieller wird, geht es heute eher um Speiseallergien und Essenswünsche und nicht mehr um Whiskeyflaschen.“

MATT SCHWARZ


„Mehr Spa-Area als Party-Zone“, beschreibt Schwarz den Bereich. „Das hat sich in den letzten zwanzig Jahren sehr verändert, es ist gesitteter geworden, manche würden vielleicht auch professioneller sagen.“ Auch in den Ridern, den Listen mit den Wünschen der Bands, über die sich absurdeste Geschichten wie nach Farben sortierte M&Ms hartnäckig halten, stehe kein verrücktes Zeug mehr. Dafür sei Nachhaltigkeit auch für die Bands ein großes Thema. „Wenn es doch mal spezieller wird, geht es heute eher um Speiseallergien und Essenswünsche und nicht mehr um Whiskeyflaschen.“

Zum Auftritt fahren die Bands von hier aus mit Shuttles. Alles ist penibel geregelt. Die Aufbauten der Gruppen sind auf den Bühnen dem Zeitplan folgend installiert, ganz hinten steht das Material des Headliners. Am Rückbau der Bühne parken die Lastwagen, manch eine Band bringt mehr als zehn mit. Die Fans sehen nur das pompöse Ergebnis auf der Bühne mit speziellen Aufbauten, Feuerwerk, Pyrotechnik und Co. Aber hinter der Live-Welt steckt eine ganz und gar unglamouröse Logistikmaschinerie, die keine Fehler zulässt. Und eine, die sich immer weiterentwickelt.

Blick in einen Übertragungswagen: Für den Livestream und die Bespielung der LEDs ist ebenfalls ein großes Team vor Ort, hier werden die Kameras gesteuert.

Der Bühnenbereich soll perspektivisch komplett mit LEDs umschlossen werden, sagt Schwarz während einer Stippvisite auf der Hauptbühne. Schnell hat er das Handy zur Hand und zeigt ein Beispiel vom Coachella-Festival. Da gehe das durch den Wegfall des Einlasssystems gesparte Geld direkt für den zusätzlichen Video-Content drauf, schiebt er halbernst hinterher. Die Musik ist das eine, aber auch die Show muss stimmen, um relevant zu bleiben und beeindruckende Bilder zu produzieren. Bilder, die auf allen Kanälen gesehen werden sollen, wie eine Gruppe eingeladener Influencer, die an die Bühnenseite geführt wird, unterstreicht. Das Warm-Up der Punk-Band Donots wird sofort auf diversen Handys festgehalten. 

Vor dem Auftritt der Donots

Das Warm-up der Donots mit Unterstützung des Green-Day-Schlagzeugers (links), für die die deutsche Band nach dem Festival die Konzerte in Hamburg und Berlin eröffnete.

Nennenswerte Probleme gibt es bislang offenbar nicht. Das Festival geht seinen Gang, sogar das Wetter spielt mit, nur am Mittwoch hat es etwas geregnet – keine Selbstverständlichkeit am Nürburgring, der berüchtigt ist für Wetterkapriolen. Hakt es auf einem Campingplatz mit Duschen oder Toiletten, landet das Thema aber ohnehin nicht direkt bei Schwarz. Von kleineren Malheuren bekomme er eine Zusammenfassung, nur bei Größerem werde er direkt informiert.

Gegen zwanzig Uhr steht Festivaldirektorin Jana Posth entspannt an einem Hochtisch im Garderobenbereich. Bei ihr laufen alle Fäden zusammen. „Um dreizehn Uhr und um achtzehn Uhr treffen wir uns mit den Verantwortlichen von Polizei, Rettungsdienst, Kreisverwaltung und noch einigen mehr zur ‚kalten Lage‘ für ein Statusupdate“, erklärt sie. Schwarz kommt nur bei einer „heißen Lage“ hinzu, die im Ernstfall einberufen wird. Posth kam vom Berliner Lollapalooza-Festival. Bislang verläuft ihr erstes Mal Rock am Ring unspektakulär, es sei „wirklich alles sehr ruhig und geordnet“. Selbst die Anreise der Tagesgäste – Samstag ist der Haupttag, erst recht bei dem guten Wetter – sei besser gelaufen als erwartet. 

Ein Nightliner-Fahrer macht Pause in der Sonne.

Einer von diversen LKWs für das Material von Green Day

„Wenn der erste Druck weg ist, und alles wie ein Uhrwerk läuft, denkst du spätestens am Sonntag: So könnte das jetzt einfach noch ein paar Tage weitergehen“, sagt Schwarz kurz nach zweiundzwanzig Uhr. „In diesem Jahr ist es aber wirklich so entspannt wie selten.“ Auch als die Security von Green Day den besten Weg für die Band aus der Garderobe zu den schon wartenden Shuttles auslotet, bleibt er entspannt. Die Bühne wird zum Auftritt der Amerikaner komplett gesperrt, selbst Schwarz darf sie nur noch mit einem gesonderten Pass, ausgestellt vom Team der Band, betreten. Nicht ungewöhnlich bei Headlinern, sagt er.

Das Schlagzeug von Green Day-Drummer Tré Cool wartet fertig aufgebaut hinter der Bühne auf den Abschluss des Abends.

Gitarren von Band Against The Current, der ersten Band des Tages auf der Hauptbühne.

Einen kritischen Punkt hat er da schon hinter sich. Sein Handy schaltet sich um 21:45 Uhr automatisch in den Flugmodus, seine Zeit, um ins Bett zu gehen – normalerweise. Auf Shows und erst recht auf Rock am Ring muss er darauf achten, die Funktion abzustellen. Ein nicht-erreichbarer Veranstalter würde viele Leute schnell nervös machen.

Gegen ein Uhr spielen die letzten Bands, im Garderobenbereich kommt eine Großbestellung Pizza an, ein kleiner harter Kern tummelt sich noch an einer Bar. Viele Bands sind schon weg – auf dem Weg nach Nürnberg zu Rock im Park oder einem anderen Tourstopp. An den einzelnen Garderobenkabinen werden die Namen der Bands von Sonntag angebracht, während die Bühnencrews auf den Abbau warten. Am frühen Morgen werden sie schon wieder die ersten Trucks mit neuem Material entgegennehmen. Ein Festival steht kaum einmal wirklich still. Die Arbeit an ihm ist ohnehin eine Daueraufgabe.

Donots-Sänger Ingo Knollmann in der Menge

Nächstes Jahr soll wo hier die Bühne steht, das Riesenrad seinen Platz haben und die Bühne am anderen Ende des Fahrerlagers aufgebaut werden.

Das Booking braucht vor allem für Stars viel Vorlauf, teils geht es um Jahre. Statt rund siebzig Bands werden es zum vierzigsten Jubiläum hundert sein. Gut zwei Wochen nach Festivalende sind schon mehr als 40.000 Karten verkauft, ein neuer Rekord. Eine weitere Camping-Kategorie kommt dazu. Die großen Bühnenpläne wollen umgesetzt werden, auch eine vierte Bühne soll es geben. Ihre Positionierung ist noch nicht klar. Sicher ist dafür: Mindestens ein Zimmer im Dorint-Hotel ist für Anfang Juni schon gebucht.