„Robot Dreams“ von Pablo Berger: Wenn die Maschine am Tage träumt
Seine faszinierendsten Momente zieht Robot Dreams aus einem unfreiwilligen Stillstand. Bewegungen durch die Welt kommen zum Erliegen und schärfen im beschränkten Radius den Blick für all das Leben, das sonst womöglich achtlos vorbeigezogen wäre. Ein Roboter liegt malträtiert am Strand und erfährt das Vergehen der Jahreszeiten. Der erste Schneefall wird zum magischen Wunder. Gefrorene Decken überziehen den Boden. Später wird ein Vogel zwischen den übrigen Gliedmaßen des Roboters nisten und seine Nachkommen großziehen. Kleine Lebewesen werden aus nächster Nähe studierbar, ehe auch sie wieder aus dem Sichtfeld verschwinden.
Autor und Regisseur Pablo Berger verdichtet in solchen Szenen facettenreich und rührend Fragen nach der Würde und dem Bewusstsein der Maschine. Welches Empfinden kann sie erlernen, inwieweit kann sie Autonomie entwickeln? Welche Grenzen sind ihr gesetzt? Mit Robot Dreams hat der preisgekrönte spanische Filmemacher die Graphic Novel Robo und Hund von Sara Varon adaptiert. Es ist sein erster animierter Film, der ihm zugleich seine erste Oscar-Nominierung einbrachte, nachdem Berger mit Werken wie Torremolinos 73 und Blancanieves bekannt wurde.
Ähnlich wie der letztgenannte Film arbeitet auch Robot Dreams ohne gesprochene Dialoge und ist dennoch mitnichten stumm. Immerzu tönen die Klangwelten der New Yorker Großstadt und ihrer Umgebung, gepaart mit musikalischen Akzenten wie dem Ohrwurm September von Earth, Wind & Fire, den Berger zum Leitmotiv erhebt. Der Alltag in der Metropole verwandelt sich in den kunterbunten 2D-Animationen dieser spanisch-französischen Koproduktion in kleinteilige, detailverliebte Wimmelbilder. Sie verfremden den Blick auf das Gewohnte, indem sie das menschliche Personal, das sonst die Straßen bevölkert, durch humanoide Tierwesen ersetzen.
Robot Dreams beginnt als Studie urbaner Einsamkeit in den 1980er Jahren: Ein Hund namens Hund sitzt allein in seiner Wohnung und spielt Videospiele. Romantik und Geselligkeit beobachtet er nur durch die Fensterscheibe in der Nachbarschaft. Also zieht er aus, um sich einen metallenen Freund zu kaufen: Eine TV-Werbung wirbt für Roboter zum Selbstbauen. Die Freundschaft, die sich zwischen den beiden entwickelt, ist jedoch von kurzer Dauer, als der Roboter nach einem Tauchgang eine Störung erleidet. Hund muss seinen Freund verlassen. Als er zurückkehrt, um ihn zu reparieren, ist der Strand gesperrt.
Mitleid für den Automaten
Spätestens wenn Robo, wie eingangs beschrieben, im Sand überwintern muss und der Film beginnt, Mitleid mit dieser Figur zu erregen, eröffnen sich Streitpunkte, die die süßliche Oberfläche von Robot Dreams mit Unbehagen trüben. Was unterscheidet den Roboter noch von den Tieren, also im übertragenen Sinne uns Menschen? Den Gesetzmäßigkeiten ihrer Körper sind sie alle unterworfen. Empathisch scheint auch das Metallgeschöpf zu sein. Es denkt, fühlt und – der Titel verrät es – träumt von einer Wiedervereinigung, einem Zuhause, von Zuneigung.
Robot Dreams findet dabei ganz bezaubernde Szenen, wenn sich der Film in jenen Tagträumen verliert, die verschiedene Realitäten eröffnen und wieder einreißen. Einmal tritt der Roboter aus dem Rahmen, wendet das Bild und wähnt sich in einem Zauberland, das Manhattan der berühmten Welt von Oz annähert. Inklusive eines Blumen-Balletts, das in der Masse Ornamente formt, als würde man eine Choreografie von Busby Berkeley sehen. Nur um im nächsten Moment wieder in existenzielle Zweifel rund um die eigene Ersetzbarkeit zu stürzen.
Pablo Berger differenziert letztlich kaum zwischen künstlichen und „echten“ Wesen und beantwortet damit implizit die von ihm aufgeworfenen Fragen. Er sehnt sich offenbar nach einer ausgeglichenen Koexistenz, einem Happy End für alle, und dies scheint ohne solche Grenzverwischungen und Vermenschlichungen kaum möglich zu sein. Schnell drängen sich deren blinde Flecken und Gefahren auf, denn man kann diesen Film kaum von aktuellen Debatten über Künstliche Intelligenz trennen. Ihm fehlt es ein wenig an angebrachter Skepsis. Und vielleicht gewinnt hier das Naiv-Kindliche etwas zu stark die Oberhand, obwohl sich Bergers Tragikomödie mit all ihren popkulturellen Referenzen und tiefsinnigen Themen für alle Altersklassen öffnen will. Ihr Beobachten von Freundschaft und Trennungsschmerz würfelt fortwährend Figuren durcheinander, treibt sie umher, bis das passende Gegenüber gefunden ist und die Veränderungen sozialer Verbindungen im Laufe eines jeden Lebens akzeptiert sind. Nur: Wie universell kann ein Film über Freundschaft und Einsamkeit bei einem solchen Personal überhaupt sein? Wenn Robot Dreams Glücksmomente zaubert und das permanente Machtgefälle, den kommerziellen Warencharakter mechanisch konstruierter Robotik-Wesen im Grunde beiseitewischt, während am Horizont noch das World Trade Center in den Himmel ragt, schwelgt dieser Film nostalgisch in einer verlorenen Zeit und einer friedlichen Utopie, die es so nie gab und wohl nie geben kann.
Es ist ein schmaler Grat zur Verharmlosung, den Pablo Bergers Film beschreitet, indem er sein Publikum verführt und Lösungen für Spannungen im Umgang mit der Maschine präsentiert, die so einfach nicht gelöst werden können. Doch zumindest einer Utopie und Rückbesinnung erliegt man gern: Film als einende Sprache. Robot Dreams zeigt Alternativen zum bloßen dramatisch-dialogischen Aufsagen und Aushandeln von Konflikten und dringt zum Wesenskern seines Mediums vor, indem er mit dessen puren Essenzen spielt – mit montierten Bewegungen, Formen, Geräuschen, Illusionen, lesbaren, vergrößerten Körpern und Gesten, die sprechen und verständlich werden, ohne dass sie dafür Worte verlieren müssen.
Robot Dreams Pablo Berger Spanien/Frankreich 2023, 102 Minuten