„Rheingold“: Bravo!
Nach exakt zwei Stunden Spieldauer pinkelt Alberich, der Widersacher Wotans, ins Kirchenschiff, teils an die nächstgelegene Säule, teils ins Gestühl. Ein satter schöner Strahl. Die geübte Operngängerin fragt sich natürlich sofort: Wie macht der Sänger das, wie hält er den Harndrang so lange vor, stört das nicht beim Wagner-Singen, das ist doch anstrengend genug – oder handelt es sich um einen Theatertrick, um ein mit Wasser gefülltes Bläschen oder Säckchen, aus dem es auf Knopfdruck strullt?
Nun, der Harn ist echt, das sieht man selbst ohne Opernglas, denn der Sänger pinkelt nackt. Wie Gott oder die Götter oder Richard Wagner oder das Künstlerleben ihn schufen, mit ordentlich Bauch überm Gemächt und Haaren daran. Prompt fängt es im Münchner Publikum an zu grummeln: Muss das sein, ja grenzt die Szene – wir sind in Bayern, im deutschen Mutterland des Katholizismus! – nicht an Blasphemie? Der Sänger, der Bariton Markus Brück, absolviert diesen Ganzkörpereinsatz mit der Würde der gequälten, geschundenen, ewig verstoßenen Kreatur. Nichts daran ist eklig oder peinlich, und wie seinem Alberich die Rache für die erlittene Demütigung bereits aus allen Poren springt, nimmt einen fast mehr gefangen als jeder Gesang. Die innere Schwärze der Figur und wachsende Autorität des Bösen, die Wagner hier komponiert, übersetzt Brück stimmlich allzu gern (nur) in Kraft. Doch ist das wichtig?