Rezension – Germafia

Mafia – bei dem Wort kommen einem sofort Erinnerungen an gewisse Filme in den Sinn. Wie etwa „Der Pate“ oder dergleichen mehr. Und klar: Man denkt auch sofort an Italien. Manche Menschen haben vielleicht auch schon davon gehört, dass die USA, nachdem sie im Zweiten Weltkrieg in Italien gelandet waren, auch die Mafia benutzten und gewissermaßen deren Aufstieg nach 1945 beförderten.

Nun aber zum hier zu besprechenden Buch „Germafia. Wie die Mafia Deutschland übernimmt“ von Sandro Mattioli. Deutschland – mögen Sie, liebe Leserinnen und Leser da denken – was hat Deutschland mit der Mafia zu tun?

Als ich das Buch in die Hand bekam, musste ich sofort an die 1990er Jahre denken, als ich frisch nach Dortmund gekommen war. Ich lebte damals dort in der Nordstadt. Einem Stadtteil in der ein buntes Völkergemisch lebt. Hinter den Bahngleisen, die die besseren Stadtviertel von einem Stadtgebiet schieden und nach wie vor scheiden, wo eine ärmere Bevölkerung mit all den damit verbundenen Problemen lebt.

Dies war schon in Zeiten der Industrialisierung so, wo viele Arbeiter aus Polen der Arbeit und dem Geldverdienen wegen in den Steinkohlenzechen und der Stahlindustrie nach Dortmund gekommen waren. Und später kamen die ersten Gastarbeiter aus Italien, Griechenland und der Türkei in eben diesen Stadtbezirk. (Anbei zumDortmunder Norden)

In meinen ersten Jahren in diesem Stadtteil fiel mir irgendwann auf, dass auf auf einer belebten und vielbefahrenen Straße dort in beiden Fahrtrichtungen und darüber hinaus in den Nebenstraßen eine Vielzahl von Pkws parkten. Manche sogar im Parkverbot. Was mich verwunderte. Weder Ordnungsamt noch Polizei schien das auf den Plan zu rufen. Stutzig machte mich vor allem, dass die Autos allesamt italienische Kennzeichen trugen.

Da ich die Straße oft benutzte, fiel mir auf, dass sich die Fahrer dieser italienischen Autos allesamt in einem italienischen Café auf eben dieser Straße trafen. Eines Abends wagte ich mich in dieses Café hinein und bestellte ein Bier. Man blickte mich an und sprach dann weiter laut Italienisch miteinander. Dass mit den Autos und den Italienern ging noch eine ganze Weile so weiter, bis das Café irgendwann schloss. Klar, dass sich mir damals der Gedanke aufdrängte: Mafia. Keine Ahnung, ob da etwas dran war.

Letztes Jahr fragte ich die Schriftstellerin Petra Reski – welche sich intensiv mit der Mafia-Problematik beschäftigt – auf einen ihrer Beiträge hin, ob an meinen damaligen Eindrücken etwas dran gewesen sein könnte. Zu diesem genauen Fall konnte sie nichts sagen. Jedoch war ihr bekannt, dass damals die Mafia auch im Ruhrpott agierte.

Es konnte freilich auch um den Handel von unverzollter Kleidung gegangen sein. Mir fiel ein, dass ich damals in einigen der italienischen Wagen stapelweise Lederklamotten gesehen hatte, die die Männer offenbar irgendwo zu verticken gedachten.

Wie auch immer. Die Mafia ist da. Und arbeitet in Deutschland. Und immer wieder ist von Leuten, die sich damit befassen, zu hören, dass sich die BRD als bevorzugtes Land geradezu dafür geradezu anbietet. Polizeilich wie juristisch fehlen hierzulande – im Gegensatz zu Italien – nicht selten die Mittel, um die Mafia wirksam zu bekämpfen. Worauf der Autor des Buches auch eingeht.

Eines gilt: Anders als in ihrem Herkunftsland töten die Clans der italienischen Mafia in Deutschland nur selten. Ein Ausnahme dürften die „Mafiamorde von Duisburg“ von 2007 darstellen: „Als Mafiamorde von Duisburg wurde ein Ereignis bekannt, bei dem in den Morgenstunden des 15. August 2007 sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant in Duisburg erschossen wurden. Aufgrund seiner Brutalität sorgte der Fall auch im Ausland für großes Aufsehen. Hintergrund der Tat war die Fehde zweier verfeindeter ’Ndrangheta-Familien. Der Haupttäter wurde im März 2009 in Amsterdam verhaftet und später nach Italien ausgeliefert. Am 12. Juli 2011 wurde er vor einem Geschworenengericht im kalabrischen Locri zu lebenslanger Haft verurteilt.[1]“ Quelle: Wikipedia

Die ´ndrangheta stammt aus Kalabrien und hat ihr Zentrum im Bergdorf San Luca.

Diese Mafia bleibt hierzulande nahezu unsichtbar. „Ihre Waffe“, heißt es zum Buch, „ist Geld, ihr Ziel die gesellschaftlichen Institutionen. Gerade deswegen bilden sie ein immenses Risiko für ganz Europa, zeigt der Journalist Sandro Mattioli in seinem neuen Buch „Germafia. Wie die Mafia Deutschland übernimmt“. Mattioli hat sich vor vielen Jahren auf den Weg gemacht, um die große Gefahr zu ergründen, die von Mafiaclans in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgeht.

Aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen, Mafia-Aussteigern, Polizisten und Staatsanwälten weiß der Journalist und Mafia-Experte, dass die Mafiosi das „ahnungslose Deutschland“ als ihre Beute sehen und längst begonnen haben, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gezielt zu unterwandern.

Ein enger Weggefährte und Freund Mattiolis wurde dabei Luigi Bonaventura, ein ehemaliger Clan-Boss der derzeit mächtigsten Mafia: der kalabrischen ’ndrangheta. Heute sagt der Ex-Mafioso als Kronzeuge gegen seine einstigen Partner aus. Auf ihrer gemeinsamen Mission sind Mattioli und Bonaventura in Antimafia-Vereinen aktiv, um die Menschen für die Gefahr zu sensibilisieren: Nicht nur die Politik, sondern die gesamte Zivilgesellschaft wird benötigt, um die Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität zurückzudrängen.

Von diesem Kampf, von einer unglaublichen Freundschaft und davon, wie er die Mafia an Orten fand, wo niemand sie vermuten würde, erzählt Mattioli in diesem augenöffnenden Buch.“

Dies alles ist spannend erzählt und offenbart uns Lesern sozusagen einen Blick hinter die Kulissen. Es wird aufgezeigt, wie brutal schon die Erziehung eines Sohnes in einer Mafia-Familie vonstatten geht. Und uns wird vor Augen geführt, wie schwer ein Leben für Mafia-Aussteiger – vor allem für die Familie, die Kinder – ist. Die zwar vom italienischen Staat unterstützt und mit einer neuen Identität ausgestattet werden, dennoch aber immer in der Gefahr leben, die wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt, entdeckt und ermordet zu werden.

Mir scheinen die im Buch aufgezeigten Möglichkeiten der Organisierten Kriminalität bzw. die Information darüber, wie der beizukommen wäre sehr wichtig. Die Hoffnung, dass dies über kurz oder lang nachhaltig gelingt, schätze ich als eher gering ein. Zumal ja der seit Langem herrschende Marktradikalismus oder Raubtierkapitalismus – wie immer man es auch definieren will – kommt eigentlich dem Ansinnen der Mafia m.E. ganz gut zu passe. Nicht zuletzt ist ja auch die Politik dadurch beherrscht und beschränkt sich in ihren Mitteln dagegen zu agieren selbst, bzw. wird beschränkt. Der Autor tönt ja durchaus auch an, dass es Verstrickungen der Politik mit der Mafia durchaus gegeben haben kann und auch weiter gibt. Im Notfall können diesbezüglich Verdächtige dann immer noch sagen, mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Womöglich sogar wahrheitsgemäß. Denn bestimmte Leute laufen sich ja immer irgendwo in der Gesellschaft – in Nobelrestaurants oder bei Veranstaltungen – in der sie verkehren über den Weg. Und wenn es um große Gelder geht, die es zu vergeben gibt, da dürfte auch die Mafia – wie von einem Magnet angezogen – rasch in der Spur sein. Anzugträger, die Highsociety sind unter sich. War da was mit Günther Oettinger? Alles nur Gerüchte? Klar.

Und ist unter diesen Gesellschaften ein Vertreter der Mafia dabei, dann trägt der freilich kein Schildchen am Revers des Sakkos, das ihn als Mafiosi ausweist und auch kein Holster mit einer Waffe darunter. Die schärfste Waffe ist ohnehin das große Geld. Man kennt sich und schätzt sich. Eine Hand wäscht gewöhnlich die andere. Darauf kommt es an. Wird sich daran je etwas ändern? Erst recht unter den herrschenden Politikern, die derzeit die Leader in der westlichen Welt spielen (dürfen)? Und die Werte, welche dieser Westen stets wie eine Monstranz vor sich herträgt? Welche davon sind überhaupt noch vorhanden? Man schaue sich nur die EU, deren Zustand und das Agieren einer Frau Ursula von der Leyen an, gegen die inzwischen u.a. die belgische Justiz ermittelt.

Eingangs des interessanten Buches finden wir folgendes Zitat, das wohl als Aufmunterung und Hoffnung verstanden werden will des italienischen Liedermachers Vinicio Caposella:

„Auf Züge, die bereits abgefahren sind, kann man nicht aufspringen, man kann ihnen aber lange hinterherlaufen“

Da drängen sich gerade im „ahnungslosen Deutschland“ Fragen auf: Wer hat die Puste dafür? Und: Wo laufen sie denn? Wo laufen sie denn hin? Vielleicht in die falsch Richtung, weil man irgendein Lichtlein am Ende eines Tunnels gesehen haben will?

In der Beschreibung zum Buch heißt es: „Es ist höchste Zeit, zu verhindern, dass die Mafia Deutschland übernimmt.“

Wäre man jetzt ein Martin Sonneborn könnte man jetzt ketzerisch kontern: Ist das nicht längst schon geschehen? *Zwinkersmiley*

Aber, liebe Leserinnen und Leser, wittern Sie nicht gleich hinter jedem Pizzabäcker und jeden italienischem Eisverkäufer die Mafia.

Zum Autor:

Der Journalist Sandro Mattioli, geb.1975, arbeitet seit 2009 zur italienischen Mafia in Deutschland. Er traf seitdem viele Kronzeugen und Staatsanwälte und sprach mit unzähligen Ermittlern und Angehörigen von Mafia-Opfern. Mattioli ist Ansprechpartner für die Politik, Interviewpartner für Medien und hält regelmäßig Vorträge. Der Deutsch-Italiener berät Serien-, Podcast und Filmproduktionen, darunter einen der erfolgreichsten Podcasts des Jahrs 2023, „Mafia Land“, und eine für drei Emmys nominierte Doku von Vice News. Seit 2012 ist er Vorsitzender des Vereinsmafianeindankein Berlin. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen engagiert er sich, damit Mafiaclans und Organisierte Kriminalität besser bekämpft werden, und erhält so vielfältigen Einblick in die politische Arbeit.

Aus dem Buch:

„Am Abend suchte ich vor meiner Unterkunft in den Bergen Ruhe. Hier oben war die Luft frischer als unten in der Stadt, wo das Meer nicht fern war. Der Kerl war mir sympathisch. Durfte das sein? Ich war verwirrt. Von der Hand, die Luigi mir hingestreckt hatte, hatte er einst fremdes Blut gewaschen. Auch für ihn musste dieser Tag verwirrend gewesen sein, war er doch erzogen worden, über die Mafia zu schweigen, und jetzt tat er genau das Gegenteil.

Als Gesamtzahl aller Mitglieder von Gruppen der Italienischen Organisierten Kriminalität in Deutschland ergeben sich für das Jahr 2022 genau 1003 Personen: eine Rekordzahl! Wir tendieren dazu, die ’ndrangheta als etwas Statisches wahrzunehmen. Doch das ist falsch, sie ist eine Organisation in konstantem Wandel. Dieser Wandel liegt in verschiedenen Motiven begründet: in einer gewollten Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten, an neue Gesetze, neue Geschäftsfelder oder aus geostrategischen Überlegungen. Dazu kommen nicht geplante Veränderungen, neue Clans, die entstehen, etablierte Clans, die ihre Aktivitäten einstellen. Der italienische Staatsanwalt Giuseppe Lombardo sagte einst: „Das Problem ist nicht, die Mitglieder zu zählen. Das Problem sind die, die von den Mafiosi profitieren.“

Für eines unserer Treffen hatte Luigi eine Ladung rausgesucht und legte sie vor mir auf den Tisch. „Staatsanwaltschaft Stuttgart“ stand oben auf dem Briefbogen: die Stadt, in der ich damals lebte. Es war die kürzeste Vernehmung, die er je erlebt habe, sagte Luigi.“

Kalabrische ’ndrangheta

SANDRO MATTIOLI

Germafia

Erscheinungstermin06.05.2024EinbandartkartoniertSeitenanzahl368ISBN9783864894350Preis inkl. MwSt.24,00 €

inkl. 7% MwSt. zzgl. VersandkostenGratis Versand innerhalb Deutschlands ab 24,– € BestellwertLieferzeit: 2 – 4 Werktage*

Westend Verlag

In Deutschland leben nach offiziellen Angaben über 1000 Mafiosi, italienische Staatsanwälte sprechen indes von mehreren Tausend. Aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen, Mafia-Aussteigern, Polizisten und Staatsanwälten weiß der Journalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli, dass die Mafiosi das „ahnungslose Deutschland“ als ihre Beute sehen und längst begonnen haben, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gezielt zu unterwandern. Vor allem die kalabrische ’ndrangheta operiert dabei höchst strategisch. Doch der deutsche Staat unternimmt kaum etwas dagegen. Warum ist das so? Detailliert und anschaulich berichtet Mattioli von seinen Recherchen, von Einschüchterungen und Mafia-Aktivitäten in deutschen Institutionen und Bereichen, wo man sie bisher nicht vermutet hätte. Es ist höchste Zeit, zu verhindern, dass die Mafia Deutschland übernimmt.