Reparationsdarlehen zu Gunsten von Kiew: Drei Gegner und mindestens vier Wackelkandidaten

Die erste Hürde auf dem Weg zu einem Reparationsdarlehen hat die Europäische Union genommen: Die staatlichen russischen Vermögen in der EU, insgesamt rund 210 Milliarden Euro, bleiben dauerhaft gesperrt. Sie müssen nicht mehr alle sechs Monate einstimmig verlängert werden. Das hatte Ungarn und der Slowakei ein Vetorecht verschafft, mit dem sie auf anderen Gebieten versuchten, Vorteile für sich herauszuschlagen. Insofern überrascht es nicht, dass beide Länder gegen die Entscheidung stimmten, für die eine qualifizierte Mehrheit ausreichte.
Kaum war dieser Beschluss am Freitagabend getroffen, folgte aber gleich der nächste Paukenschlag. Drei weitere Staaten schlugen sich in einer gemeinsamen Protokollerklärung auf die Seite des sich immer noch widerstrebenden Belgiens: Malta, Bulgarien und – der wichtigste – Italien. Damit ist die zweite Hürde, die Nutzung des Geldes zur Unterstützung Kiews, nun noch höher, wenn die Staats- und Regierungschefs von Donnerstag an in Brüssel darüber beraten.
Der zentrale Satz in der Erklärung lautet: „Belgien, Bulgarien, Italien und Malta bitten die Kommission und den Rat, weiterhin alternative Optionen mit vorhersehbaren Parametern, die mit europäischem und internationalem Recht vereinbar sind, zu erkunden und zu erörtern, die bedeutend geringere Risiken mit sich bringen.“ Eine solche Option gebe es nicht, erwidern EU-Diplomaten. Denn für die Aufnahme von europäischen Schulden zugunsten der Ukraine müsse die Verordnung über den mittelfristigen Finanzrahmen einstimmig geändert werden – was Ungarn kategorisch abgelehnt hat. Im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten sei diese Option deshalb „ins Regal gelegt worden“.
Noch ist nicht klar, wie sich Meloni im Rat positioniert
Das stimmt zwar, doch hatte die EU-Kommission vor einem Monat noch eine weitere Option ins Gespräch gebracht. Sie könnte den Mitgliedstaaten aus dem bestehenden Spielraum im EU-Haushalt Kredite gewähren, die diese dann als Zuschuss an die Ukraine weitergeben. Allerdings müssten die Staaten dann für die Zinsen aufkommen und den Kredit selbst tilgen, was ihre Schuldenlast weiter erhöhen würde. Außerdem ist diese Option rechtlich angreifbar, wie auch die Kommission durchblicken ließ: Eigentlich dürfen aus dem Spielraum im Haushalt nur Mitgliedstaaten gefördert werden, doch käme das Geld mittelbar einem Drittstaat zugute. Dagegen könnte etwa Ungarn beim Europäischen Gerichtshof klagen.
Dass sich Italien auf die Seite Belgiens geschlagen hat und damit in diese Richtung drängt, ist ein Alarmzeichen. Das Land stellt die drittgrößte Volkswirtschaft der Union mit einem Anteil von rund zwölf Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung. Entsprechend groß wären auch die Garantien, die Rom national für ein Reparationsdarlehen gewähren müsste.
Noch ist nicht klar, wie sich Regierungschefin Giorgia Meloni beim Europäischen Rat festlegt. In ihrer Drei-Parteien-Koalition ist die weitere Finanzierung der Ukraine umstritten: Die rechtspopulistische Lega ist dagegen, die konservative Forza Italia dafür. Meloni muss zwischen beiden Partnern vermitteln, zugleich aber auch ihr Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump im Blick haben: Der will die gesperrten Vermögenswerte in den Wiederaufbau der Ukraine stecken, und zwar so, dass US-Unternehmen davon profitieren.
Wadephul will in Rom Überzeugungsarbeit leisten
Der zweite große Wackelkandidat ist Frankreich, mit 16 Prozent die zweitgrößte Volkswirtschaft. Präsident Emmanuel Macron hat zwar allgemein ein Reparationsdarlehen unterstützt, aber könnte er auch die Garantien dafür durch die Nationalversammlung bringen? Das bleibt ungewiss, offenbar laufen dazu interne Verhandlungen. Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag gab der französische Ressortchef Jean-Noël Barrot keine Zusage ab. Indes stellte sich sein spanischer Kollege José Manuel Albares mit Nachdruck hinter ein Reparationsdarlehen. Außenminister Johann Wadephul reiste derweil nicht nach Brüssel, sondern nach Rom, um dort Überzeugungsarbeit zu leisten.
Drei EU-Staaten wollen beim Europäischen Rat in jedem Fall gegen eine weitere Finanzierung Kiews votieren: Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik. „Wir haben kein Geld für andere Staaten übrig“, sagte der neue tschechische Ministerpräsidenten Andrej Babiš nach seinem Amtsantritt vorige Woche. Für die Slowakei legte Ministerpräsident Robert Fico seine Ablehnung in einem Schreiben an EU-Ratspräsident António Costa dar. Er werde „jegliche Lösung“ ablehnen, die es der Ukraine erlaube, den Krieg weiterzuführen, heißt es darin, „auch nicht unter Druck“. Ebenso kategorisch äußerte sich der ungarische Regierungschef Viktor Orbán. Die Verwendung der russischen Vermögenswerte nannte er gar einen „Akt wirtschaftlicher Kriegsführung“.
Nun können diese drei Staaten leicht überstimmt werden. Selbst wenn man die anderen vier Skeptiker hinzurechnet, sind sie noch von einer Sperrminorität entfernt. Die wäre erst erreicht, wenn auch Frankreich sich dazugesellen würde. Allerdings will sich das momentan noch kaum jemand in Brüssel ausmalen – Macron würde damit den Anspruch seines Landes auf eine Führungsrolle in der Ukraine-Diplomatie aufgeben. Relevant ist die Zahl der Unterstützer auch für die Frage, ob und wann ein Darlehen an die Ukraine ausgezahlt werden kann.
Nach dem Willen der Kommission soll das möglich sein, sobald 50 Prozent der Summe mit nationalen Garantien unterlegt sind. Die drei Gegner und die vier Skeptiker kommen zusammen auf rund 20 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung, mit Frankreich wären es 36 Prozent. Deutschland fordert deshalb eine Schwelle von 75 Prozent. Es bleibt den Staats- und Regierungschefs überlassen, die offenen Fragen zu lösen. Ratspräsident Costa hat schon deutlich gemacht, dass er das Treffen notfalls bis ins Wochenende hinein verlängern werde.
Weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen
Die EU-Außenminister verhängten derweil weitere Sanktionen gegen Russland. Das betraf zum einen die sogenannte Schattenflotte. Hier wurden neben 41 weiteren Schiffen nun auch Personen und Unternehmen sanktioniert, die eine Umgehung von Sanktionen ermöglichen. Das waren fünf Geschäftsleute mit Verbindungen zu den staatlichen Ölkonzernen Rosneft und Lukoil und vier Schifffahrtsgesellschaften in den Vereinigten Arabischen Staaten, Vietnam und Russland.
Die Minister beschlossen damit erstmals Strafmaßnahmen gegen die Schattenflotte unabhängig von größeren Paketen, um schneller reagieren zu können. Sie erteilten der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas auch das Mandat, mit Drittstaaten Vereinbarungen auszuhandeln, die es erlauben, verdächtige Schiffe mit Vorabgenehmigungen zu kontrollieren.
Zum anderen wurden weitere Sanktionen gegen zwölf Personen und zwei Organisationen verhängt, die versucht haben, Mitgliedstaaten zu destabilisieren. Das betraf Propagandisten des Kreml, darunter führende Vertreter des Valdai-Gesprächsforums und drei westliche Vertreter. Einer von ihnen ist der frühere Vize-Sheriff in Florida, John Mark Dougan, der sich 2016 nach Russland absetzte und mit dem russischen Militärgeheimdienst in Verbindung gebracht wird. Gelistet wurde auch das 142. Separate Bataillon für elektronische Kampfführung im Gebiet Kaliningrad, das GPS-Signale im Ostseeraum stört und manipuliert.
Source: faz.net