Regierungskrise in Frankreich: Was passiert, wenn die Regierung Barnier im Parlament scheitert?

Die aktuelle französische Regierung hat wenig Rückhalt im Parlament. Nun könnte nur wenige Monate nach Antritt das Kabinett von Premierminister Michel Barnier schon wieder vor dem Aus stehen: Wegen Unzufriedenheit mit dem Haushalt haben die linken Parteien im Parlament ein Misstrauensvotum angekündigt – dem nun wohl auch Marine Le Pens rechtsradikale Partei zustimmen und damit die nötige Mehrheit verschaffen will. Wie es dann weitergeht.

Warum steckt die Regierung in der Krise?

Barniers Regierung hat im französischen Parlament keine eigene Mehrheit und ist deshalb auf die Zustimmung anderer Parteien bei der Verabschiedung von Gesetzen abhängig. Nach der vorgezogenen Neuwahl in Frankreich im Sommer konnte kein Lager eine Mehrheit erreichen. Das Linksbündnis um die Linkspopulisten, Linken, Kommunisten und Grünen erreichte überraschend die meisten Stimmen und stellt nun circa ein Drittel des Parlaments. Ein weiteres Drittel stellen rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien, allen voran der Rassemblement National von Marine Le Pen. Das letzte Drittel stellen Mitte-rechts-Parteien, denen Barnier und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angehören. Erst nach Monaten konnte eine Regierung gebildet werden, die Mehrheitsfindung bleibt schwierig.

Immer wieder hat Barnier mit anderen Parteien – auch dem rechtspopulistischen Rassemblement National – Mehrheiten gefunden, doch das Haushaltsgesetz spaltet. Die Linksallianz stand dem Sparhaushalt, den Barniers Regierung seit Amtsantritt verfolgt, von Beginn an kritisch gegenüber. Die Rechtspopulisten um Le Pen hatten zunächst Zustimmung signalisiert, sollten ihre Forderungen eingearbeitet werden. 

Le Pen forderte unter anderem, dass eine geplante Erhöhung der Stromsteuer zurückgenommen werden solle sowie geplante Kürzungen bei der Erstattung von Medikamenten, was Barnier tatsächlich einplante. Doch er bestand unter anderem darauf, Rentenerhöhungen ab Januar
nicht mehr an die Inflation zu koppeln. Zudem plante er weitere Sparmaßnahmen, um das Haushaltsloch von 60 Milliarden zu füllen. Daraufhin kündigte Le Pen an, dem Gesetz nicht zuzustimmen und brach die Gespräche ab.

Barnier nutzte zur Verabschiedung des Gesetzes zur Finanzierung der Sozialversicherung am Montag nun eine Besonderheit der französischen Verfassung: den umstrittenen und viel diskutierten Artikel 49.3. Dieser erlaubt es dem Premierminister, ohne eine Abstimmung im Parlament, Gesetze zu verabschieden. 

Doch nun hat die Linksfraktion ein Misstrauensvotum im Parlament angekündigt, Le Pen will die Stimmen ihrer Partei zuliefern. Damit dürfte das Misstrauensvotum genug Stimmen bekommen. Es muss 24 Stunden nach der Nutzung des Artikels eingereicht werden und soll mindestens weitere 24 Stunden später stattfinden, also am Mittwoch oder Donnerstag. Es ist wahrscheinlich, dass damit die Regierung Barnier scheitert.

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Wie kommt das Misstrauensvotum zustande?

Das Linksbündnis hatte die Ernennung eines Premierministers aus einer zentristischen Partei durch Macron deutlich kritisiert. Seitdem versucht das Bündnis, seine eigenen Projekte voranzutreiben – und hat es bereits geschafft, gegen den Willen der Regierung eine Milliardärssteuer durchzusetzen. Schon Anfang Oktober versuchte das Bündnis die konservative Regierung zu stürzen, scheiterte aber mangels Zustimmung aus dem rechten Lager. Sie argumentierten, die damals neu gebildete Mitte-rechts-Regierung entspreche nicht dem Wählerwillen und müsse deswegen abgesetzt werden.

Auch diesmal hatte Le Pens Partei eigentlich angekündigt, dem Misstrauensantrag der Linksallianz nicht zustimmen zu wollen. Nachdem Barnier aber nicht auf ihre Forderungen eingegangen war, änderte Le Pen ihre Meinung. Zusammen hätten die Oppositionsparteien die nötige absolute Mehrheit von 289 Stimmen. Allerdings plant Le Pens Partei, einen eigenen Misstrauensantrag einzubringen, könnte aber auch dem Antrag der linken Parteien zustimmen.

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Was passiert im Fall eines erfolgreichen Misstrauensvotums?

Sollte die Opposition sich einig werden und mit einer absoluten Mehrheit für das Misstrauensvotum gegen die Regierung stimmen, wäre Barniers Regierung de facto gestürzt. Das gilt als sehr wahrscheinlich. Er müsste seinen Rücktritt einreichen, womit auch sein Kabinett zurücktreten würde, das am Premierminister hängt.

Macron könnte Barnier und seine Regierung jedoch bitten, kommissarisch im Amt zu bleiben – wie er es auch mit der Regierung des letzten Premierministers Gabriel Attal getan hatte. In dieser Zeit müsste Macron einen neuen Regierungschef suchen, den er dann kurz darauf ernennen könnte. Französischen Medien zufolge ist der Präsident schon auf der Suche. Als mögliche Nachfolger Barniers gelten laut Le Monde aus Macrons Lager der rechte Bruno Le Maire oder der Mittepolitiker François Bayrou. Eher überraschend wäre eine Ernennung eines linken Premierministers, wie es das Linksbündnis fordert. Theoretisch könnte Macron sogar Barnier erneut zum Regierungschef ernennen, was allerdings als unwahrscheinlich gilt. 

Alternativ könnte Macron eine sogenannte Technokratenregierung einsetzen. Diese könnte in seinen Augen bessere Chancen haben, ein nächstes Misstrauensvotum zu überstehen, nachdem sein Lager ja weiterhin keine Mehrheit im Parlament besitzt.

Eine erneute Auflösung des Parlaments und vorgezogene Neuwahlen dürfen frühstens ein Jahr nach der letzten Auflösung stattfinden, also im Juli nächsten Jahres. Bis dahin muss sich das aktuelle Parlament zusammenraufen. Macron selbst muss übrigens nicht zurücktreten – auch wenn die Opposition ihn im Falle eines erfolgreichen Misstrauensvotums in der Pflicht sieht.

Obwohl die französische Politik als krisenanfällig gilt, wäre es das erste erfolgreiche Misstrauensvotum in der fünften französischen Republik seit 1962. Damals entzog das Parlament Premierminister Georges Pompidou und seiner Regierung unter dem Präsidenten Charles de Gaulle das Vertrauen.

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Und was wird aus dem Haushalt 2025?

Für 2025 müsste die Regierung eigentlich dringend einen neuen Haushalt auf den Weg bringen. Das Sozialgesetz, das Barnier nun durch das Parlament bringen wollte, wäre das erste von drei Gesetzen zu diesem Zweck gewesen. 

Dass Barnier oder eine neue Regierung noch im Dezember einen ordentlichen Haushalt für 2025 verabschieden, ist unwahrscheinlich. Ziel könnte es sein, ein Sondergesetz zu verabschieden, das die weitere Arbeit auf Basis des Haushalts 2024 erlaubt und mindestens das Funktionieren der Verwaltung weiter sichert. Macron könnte als Präsident laut französischer Verfassung aber auch Notfallmaßnahmen zum Haushalt erfassen, die er ohne das Parlament nutzen kann. Einen Shutdown gab es in Frankreich noch nie – er sei aber nicht ausgeschlossen, schreibt Le Monde.

Tatsächlich zeigt sich die Wirtschaft bereits nervös angesichts der erneuten Regierungskrise in Frankreich. Schon seit längerer Zeit ist Frankreich höher verschuldet, als es die EU-Vorgaben vorsehen und kämpft mit Defiziten. Deswegen zeigen sich auch europäische Handelspartner zunehmend verstimmt, Anleger sehen Börsenexperten zufolge unruhigen Zeiten und einem sinkenden Wert des Euros entgegen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters.

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