Red Lobster: Diese Insolvenz ist eine Warnung zweitrangig zu Gunsten von Deutschland

Das Red Lobster
am Times Square: Draußen schieben sich Touristen an pulsierenden
Reklamebildschirmen, fliegenden Händlern und Straßenkünstlern vorbei, drinnen
hängen zwei Männer an der Bar ab, ein paar Tische sind von Familien besetzt.
Über einen TV-Bildschirm flimmern unbeachtet Sportnachrichten. Die Filiale im
Herzen der city that never sleeps
gilt als das Aushängeschild der Seafood-Restaurantkette, ein Besuch ist für viele
Amerikaner Teil der New-York-Experience. Vielleicht ist es einfach nur
Zufall, dass dort am späten Donnerstag vergangener Woche eine Stimmung wie im
Wartesaal eines Bahnhofs herrschte. Vielleicht hat es aber damit zu tun, dass
das 1968 gegründete Unternehmen gerade Insolvenz anmelden musste.

Red Lobster ist nicht
irgendeine Gastrokette, es ist eine Institution. Begonnen hat alles mit Bill
Darden, einem geschäftstüchtigen Jungunternehmer aus Georgia, der sein erstes
Restaurant mit 19 Jahren gründete. Entgegen den damaligen Gesetzen in den
Südstaaten weigerte er sich, die Rassentrennung in seinen Lokalen
durchzusetzen. Während McDonald’s und Kentucky Fried Chicken auf schnelle
Massenabfertigung setzten, war Dardens Idee, exklusivere Gastronomie zu
bezahlbaren Preisen anzubieten. Mit Spezialitäten wie Popcorn Shrimp und
Lobster Lover’s Duo, ein Gericht, das Hummerschwänze aus Pazifik und Atlantik
kombiniert, und vor allem den Cheddar Bay Biscuits wurden die rund 700
Restaurants der Kette zum beliebten Ort für Geburtstagsfeiern und
Abschlusspartys.

Ende einer Erfolgsgeschichte

War Red Lobster einst eine amerikanische Erfolgsgeschichte, ist
die Pleite ein Lehrstück, wie monopolistische Strukturen und findige
Finanzfirmen ein Unternehmen aushöhlen – zum Nachteil von Kunden, Mitarbeitern
und der Allgemeinheit. Und es ist eine Warnung, denn die Methoden, die Red
Lobster zum Verhängnis wurden, greifen immer mehr um sich, auch in Deutschland.

Als die Nachricht von der Insolvenz bekannt wurde, fanden
Aktienanalysten und Wirtschaftsmedien schnell den Grund: Endless Shrimp. So hieß ein Angebot, bei dem Gäste 20 Dollar
zahlten (später mehr) und dann so viele Shrimps essen konnten, wie sie wollten.
Die Aktion lockte tatsächlich mehr Kunden an, doch es war ein teures
Draufzahlgeschäft. Auch, weil auf TikTok Videos von Wettessen gepostet wurden.

Allein im letzten Quartal 2023 betrug der Verlust durch die
Shrimps rund elf Millionen Dollar. Aber schnell stellte sich heraus, dass mehr
dahintersteckt
. Eigentümer von Red Lobster ist die Thai Union Group, einer der
größten globalen Fischereikonzerne. Es gehört dem milliardenschweren Clan von
CEO Thiraphong Chansiri, dessen Großvater das Unternehmen in den Siebzigerjahren als
Thunfischkonservenfabrik gegründet hat.

Fast so lange ist Thai Union ein wichtiger Zulieferer von Red
Lobster. 2016 kaufte Thai Union erst eine Beteiligung an der US-Kette, 2020 den
Rest. Dann kam die Pandemie, die Red Lobster wie die ganze Gastronomie schwer
traf. Anfang 2023 ließ Thiraphong durchblicken, dass er den Ausstieg plane. Stattdessen folgte: Endless
Shrimp,
ein Verlustgeschäft für Red Lobster, aber
nicht für die Eigentümer von Thai Union. Das wirft zumindest die Frage nach
einem Interessenkonflikt auf, wie auch der Interimschef von Red Lobster im
Konkursantrag vergangene Woche anmerkte.

Übernahme, Pandemie und Inflation

Vielleicht hätte Red Lobster die Shrimp-Aktion, die Pandemie und
die anschließende Inflation besser verkraftet, wenn die Lage des Unternehmens
nicht bereits finanziell angespannt gewesen wäre. Das wiederum liegt nicht an
Thai Union, sondern an einer Finanzfirma namens Golden Gate Capital, eine Private-Equity-Firma. Sie hat Red Lobster 2014 für 2,1 Milliarden Dollar
übernommen.

So funktioniert die Geldmaschine von Private Equity: Zunächst
sammeln die Investmentfirmen bei Anlegern Geld ein, in der Regel sind das
Pensionsfonds, Stiftungen, Staatsfonds oder sehr wohlhabende Privatiers. Für
das Privileg, solch smarten Playern ihr Kapital anvertrauen zu dürfen, zahlen
diese Kunden saftige Gebühren und überdies 20 Prozent der Gewinne. Dann machen
sich die Private-Equity-Firmenjäger auf die Suche nach Übernahmeobjekten.
Werden sie fündig, nehmen sie einen Teil des von den Anlegern eingesammelten
Kapitals als Anzahlung – ähnlich wie bei einem Hauskauf. Auch der große Rest
kommt nicht aus ihren eigenen Kassen. Den holen sich die Firmenjäger
stattdessen auf Pump.

Ein Unternehmen als Geldautomat

Das Schöne für die Firmenjäger: Für die Tilgung und die
Zinszahlungen ist das übernommene Unternehmen verantwortlich, nicht die Private-Equity-Firma. Damit nicht genug, nehmen Private-Equity-Firmen oft weitere
Schulden auf das Unternehmen auf, die sie sich dann als Gewinne auszahlen
lassen. In anderen Worten, sie nutzen die übernommenen Unternehmen wie
Geldautomaten. Im Fall von Red Lobster griff Golden Gate Capital allerdings zu
einem weiteren beliebten Kniff der Branche. Kurz nach der Übernahme verkaufte
Golden Gate die Immobilien von Red Lobster für 1,5 Milliarden Dollar an eine
weitere Anlagegesellschaft – und holte damit einen großen Teil des Kaufpreises
wieder herein.

Für Red Lobster bedeutete es jedoch, dass die Kette nun Miete
für die Restaurants und andere Gebäude zahlen musste, die ihr zuvor gehört hatten.
So musste Red Lobster nicht nur die Schulden aus der Übernahme bedienen,
sondern auch noch die Mieten stemmen – in einem Geschäft, in dem die Margen
immer dünner geworden waren. Es blieb nicht viel Polster, um Krisen zu
überstehen. Oder wettessende Gäste.

Jetzt könnte man sagen: Bedauerlich für die Mitarbeiter, von denen
bereits Hunderte ihren Job verloren haben, aber muss man in Zeiten von
Klimawandel und Überfischung traurig sein über die Insolvenz einer Seafood-Gastronomie? Wenn Red Lobster die Ausnahme wäre, dann wäre das ein Argument.
Doch die Kette ist nur ein Beispiel von vielen. Allein zwei weitere Objekte,
die ebenfalls von Golden Gate übernommen wurden, der Schuhhändler Payless und
California Pizza Kitchen, rutschten später ebenfalls in die
Zahlungsunfähigkeit. In ihrem viel zitierten Buch Private Equity at Work
zeigen die Ökonominnen Rosemary Batt und Eileen
Appelbaum, dass
Unternehmen im Private-Equity-Besitz öfter in die Insolvenz rutschen als
börsennotierte Unternehmen.

Im Visier sind Pflegeheime und Arztpraxen

Die Private-Equity-Firmen haben längst nicht nur
Restaurantbetreiber oder Einzelhändler im Visier und sind auch nicht auf die USA
beschränkt. In Deutschland etwa haben sie vor allem das Gesundheitssystem
entdeckt: Pflegeheime, Zahnarztpraxen, Fachärzte wie etwa Radiologen. In einer
Studie für das Institut für Arbeit und Technologie, die sich mit dem Trend
beschäftigte, heißt es: „Der durch den Bedeutungsgewinn von Private Equity-Gesellschaften
induzierte Wandel von Eigentumsstrukturen ist auch vor dem Hintergrund zu
sehen, dass die Leistungen im Gesundheits- und Pflegesektor in erheblichem
Umfang über Sozialversicherungsbeiträge sowie über Sozialhilfeleistungen
finanziert werden.“

Im Klartext, den Private-Equity-Firmen gefällt die
Tatsache, dass ihre Einnahmen vom Markt unabhängig sind. Eine Art Endless
Shrimp
der Gesundheitsleistungen, nur eben für die
Private-Equity-Firmen. Das Schicksal von Red Lobster könnte vielleicht bald
schon Kliniken und Pflegeheime in Deutschland ereilen.