Rechtsruck in Deutschland: Warum reden ganz extra Migration?

Habt ihr das mitbekommen? Am 1. September ist doch was passiert – ich glaube, es war in Thüringen. Richtig, eine faschistische Partei gewann zum ersten Mal seit den letzten Wahlen 1932 bei einer „Flächenwahl“, also nicht in etwas so popligem wie einer Landkreis- oder Kleinstadtwahl.

Dazu kommt, dass es eben in Thüringen passierte, wo die NSDAP damals, 1932, auch ihre erste Länderwahl gewann, eine Tatsache, die der GröFaZ (Größter Faschist aller Zeiten) folgendermaßen kommentierte: „Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute die wirklich ausschlaggebende Partei.“

Das sollte uns ein bisschen zu denken geben, ich meine mich zu erinnern, dass Anfang der 1930er nicht so die lustigste Zeit war. Aber wer schon am Tag eins, nachdem etwa ein Drittel aller Wähler*innen in Thüringen auf die faschistische AfD mit dem mehrfach verurteilten Heulnazi Höcke (Anm. an die Redaktion: bitte lasst den Begriff im Text stehen, ich hoffe auf eine Beleidigungsanzeige von Bernd, nachdem ich schon eine von Fritze Merz und Maxe Krah habe) schauten, und sich dachten: „Jo, lass die mal wählen, Faschismus finden wir gut, oder zumindest nicht so schlecht, dass wir ihn nicht wählen“, scheint die politische Diskussion im Land im Grunde so weiterzulaufen wie vorher.

Die oppositionelle Union und „Regierungspartei“ FDP machen weiter im Arschloch-Unterbietungswettbewerb und konkurrieren darum, wer am lautesten und effektivsten das sagen kann, was sonst die Faschos von der AfD sagen. Im Grunde wetteifern sie um den besten Vorschlag für das, was Höcke mal „wohltemperierte Grausamkeit“ nannte. SPD und Grüne halten sich mehr zurück, aber auch hier gilt: Nur, was die Gesellschaft geschlossener macht, was den Cops mehr Zugriff auf vor allem migrantische Rucksäcke und Bauchtaschen gibt, wird politisch diskutiert. In other words: In einem Land, das sich gerne einredet, „Nie wieder“ wäre informelle Staatsräson, gewinnen revolutionär-völkische Faschisten Wahlen und am Tag darauf scheint das einzige Problem im politischen Berlin die „schwierige Regierungsbildung“ in Thüringen und Sachsen zu sein.

Und nicht, dass ein knappes Drittel der Menschen Nazis an der Macht sehen will. Manche Zeitungen zitierten zwar den Grünen-Chef Omid Nouripour mit der Aussage, noch am Wahlabend, dass Menschen „aus der Kultur“, Menschen mit Migrationshintergrund, oder eben solche, die auf Christopher-Street-Day-Paraden gehen, nunmehr Angst um ihre körperliche Sicherheit hätten. Und die Ereignisse von Bautzen, von Leipzig, von Zwickau legen nahe: Ja, das stimmt, die Angst ist real.

Aber wenn Queers und Allies, Menschen aus der Kulturszene, Menschen mit Migrationsgeschichte bange wird – wie kommt CDU-Kretschmer dazu, am Montag nach der Wahl zu sagen „Wir sollten die AfD als normale Oppositionspartei“ behandeln? WTF, Michi: Was ist das für ein krasser Tabubruch?

Im Grunde ist der politische GAU eingetroffen. Und was macht Deutschland? Na ja, wie üblich: verdrängen. Weil das Faschismusproblem im Grunde so unlösbar ist wie das Klimaproblem. Also wird kurz draufgeschaut, dann verschämt weggeschaut. Und wir (Queers, Menschen mit Migrationshintergrund und weitere)? Wir müssen halt Angst haben. Nicht vor den „Messermännern“, über die alle reden.

Sondern vor einer faschistischen Machtübernahme. Es dürfte eigentlich kein anderes Thema mehr geben.

Super Safe Space

Tadzio Müller ist Queeraktivist. Im Newsletter friedlichesabotage.net schreibt er gegen den „Normalwahnsinn“ an. Für den Freitag schreibt er abwechselnd mit Dorian Baganz, Elsa Koester und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.