Rechts dieser Mitte entsteht eine neue Internationale
Ein bisschen Bierzelt, ein bisschen Weihnachtsmarkt, eine Schlittschuhbahn und eine Bühne für Debatten und Reden – so präsentiert sich auf dem Circus Maximus von Rom im Schatten der alten Kaiserpaläste das Jugendfestival der italienischen Regierungspartei Fratelli d’Italia. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist das Treffen sehr wichtig, weil sie es einst selbst ins Leben gerufen hat. Seit sie Regierungschefin ist, wird mit Spannung erwartet, wer der jeweilige Stargast ist. Nach Elon Musk im vergangenen Jahr war der Ehrengast am Samstagabend der argentinische Präsident Javier Milei.
Dass Meloni dem Argentinier nahesteht, hat sie schon am Vortag klar gemacht, als Milei die italienische Staatsbürgerschaft erhielt. In Argentinien lebt eine große und alteingesessene italienische Bevölkerungsgruppe, „gemeinsame Abstammung und tiefe Blutsbande über mehrere Generationen einen die Länder“, wie Milei sagte; auch wirtschaftlich gibt es etliche Verbindungen. Doch wie sieht es bei Reformpolitik aus?
Argentiniens Präsident will keine Kompromisse
Milei ließ in Rom keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, einen klar wirtschaftsliberalen Kurs fortzusetzen und dabei jeden Kompromiss mit andersdenkenden Kräften abzulehnen. Seine „nicht verhandelbaren Prinzipien“ fasste Milei so zusammen: „Der freie Markt schafft Wohlstand für alle. Die Regierung muss eingeschränkt werden. Und die Argentinier wissen besser als ein Bürokrat, wie sie produzieren, wen sie beschäftigen und mit wem sie Handel treiben sollen“. Kurzum: „Wir verteidigen Leben, Freiheit und Privateigentum.“ Daran schloss sich eine Schimpftirade auf den Sozialismus an, der „ein Verarmungsphänomen ist, das auch 150 Millionen Menschen ermordet hat“. Lenin zitierte der 54-jährige argentinische Präsident dennoch: „Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben“. Mileis Revolution soll die der Marktwirtschaft und der individuellen, nicht der kollektiven Verantwortung sein.
Als unbestritten gilt, dass Milei nach einem guten Jahr im Amt durch Ausgabensenkung und Deregulierung die hohe Inflation stark gesenkt hat, was ihm Anerkennung eingebracht hat – allerdings zum bisherigen Preis eines wirtschaftlichen Abschwungs sowie höherer Arbeitslosigkeit und Armut. Seine Politik wird wie eine große experimentelle Operation am offenen Herzen eines Volkes mit viel Aufmerksamkeit verfolgt.
Schon am Vortag hatte Milei im Milton-Friedman-Institut von Rom in einem Fachvortrag sein Credo dargelegt: Er sei gar kein Politiker, sondern Ökonom und glaube wie Friedman an die monetäre Natur der Inflation, die von der Geldmenge abhänge. Seit 2014 sei er „ein quasi-fanatischer fundamentalistischer Anhänger der österreichischen Schule, bis zu dem Punkt, dass ich mich nicht nur in Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek, sondern auch in Murray Rothbard verliebt habe. So wurde ich Anarcho-Kapitalist, was auch bedeutet, dass ich den Staat verachte“. Diesen wolle er „zerschlagen“, er sei dabei, radikal zu deregulieren und habe schon 800 Strukturreformen durchgeführt. An vollmundigen Ankündigungen ließ es Milei nicht fehlen: „In etwa 10 Jahren wird Argentinien sein Bruttoinlandsprodukt um mindestens 50 Prozent steigern“. 3.200 Strukturreformen plane er noch. „Ich werde Argentinien zum freiesten Land der Welt machen“.
Meloni bisher eher reformscheu
Am Tag darauf skandierte die Italiener auf Spanisch im Versammlungszelt denn auch „Libertad, libertad“ – „Freiheit“, und das schon zu Beginn von Mileis‘ Rede. Dieser schwang seinen Arm wie ein Dirigent. Meloni hatte ihm zuvor ihre Bewunderung für seinen „Kulturkampf“ ausgesprochen. Auf diese Schlacht kam der argentinische Präsident immer wieder zu sprechen, zumal sie über die Grenzen hinweg geführt werden müsse. „Nennen Sie es eine beginnende rechte Internationale“, rief er in die Menge. Dabei betonte er, dass die Politik nicht die Kunst des Möglichen sei. „Wir beweisen jeden Tag, dass die Politik in Wirklichkeit die Kunst ist, das möglich zu machen, was die Mittelmäßigen für unmöglich halten“. Milei lud dementsprechend alle dazu ein, „unsere Rezepte auszuprobieren“.
Doch wie sieht es jenseits der Freundschaftsbekundungen in Italien aus? Meloni ist erklärtermaßen keine Wirtschaftsliberale. Sie will zwar für die Unternehmen Steine aus dem Weg räumen, wie sie sagt, sie hat auch die Sozialhilfe gekürzt, und predigt Arbeit als bestes Mittel gegen Armut. Doch die Italienerin, die in der rechtsextremen „Sozialbewegung Italiens“ (MSI) groß geworden ist, würde nie so weit gehen wie Milei. Der früheren Regierung von Mario Monti, die zwischen 2011 und 2013 Sparmaßnahmen ergriff, um Italien vor einer schweren Staatsschuldenkrise zu bewahren, warf Meloni in ihrer Biographie ein „soziales Gemetzel“ vor. In einem Dokument über ihre Errungenschaften nach zwei Jahren Regierungsarbeit rühmt sie sich einer Sozialpolitik, die „inklusiver“ als die der Vorgänger sei, was die linke Opposition allerdings abstreitet. Doch Milei hat die Staatsausgaben zweistellig gekürzt, in Italien steigen sie dagegen weiterhin.
Italienischer Korporatismus
„In Italien hält die derzeitige Regierung an einer traditionell interventionistischen Vision fest – mit einer starken Präsenz des Staates in strategischen Sektoren“, urteilt Alessandro Bertoldi, Geschäftsführer des Milton Friedman-Instituts in Rom. Zudem würde die Regierung „oft Korporatismus und Wohlfahrt anstatt Deregulierung und den freien Markt favorisieren“. Der Finanzminister Giancarlo Giorgetti könnte in der Regierung noch am ehesten ein offenes Ohr für Milei haben – was der Minister auch betont – „aber sein Einfluss wird durch eine Parlamentsmehrheit begrenzt, die eher konservative und etatistische Ansätze bevorzugt“. Dabei müsste Italien dringend Bürokratie abbauen, Steuern senken und sich für Innovationen öffnen, fordert Bertoldi. Denn Italien drohe, im internationalen Wettbewerb weiter zurückzufallen.
Auch vom Unternehmer und Trump-Berater Elon Musk trennen Meloni in einigen Bereichen Welten. Bei gesellschaftlichen Themen wie Leihmutterschaft oder Drogenliberalisierung geht die katholisch geprägte Meloni nicht mit. Was hat die vermeintliche Achse Meloni-Milei-Musk-Trump somit gemein miteinander? „Alle wenden sich direkt ans Volk, nicht über den Umweg der Institutionen. Dabei setzten sie schon früh auf die sozialen Medien“, hat der Politologe Andrea De Petris, Professor an der römischen Universität Unint, beobachtet. Die Ablehnung einer großzügigen Einwanderungspolitik ist ein weiterer gemeinsamer Nenner.
Außerdem überschneiden sich vielfache Interessen: Milei befürwortet geostrategisch wie Meloni eine Anbindung an den Westen. Ein guter Draht nach Washington ist für beide Gold wert; Trump wiederum könnte in der Italienerin und im Argentinier einen Brückenkopf in Europa und Lateinamerika finden. Dabei den einen oder anderen Auftrag an Musk zu vergeben oder von ihm eine Investition zu erhalten, wäre eine weitere reizvolle Aussicht für alle Beteiligten. Hinter dem verschlungenen Geflecht aus Gemeinsamkeiten und Differenzen dürfte also vor allem ein Zweckbündnis stecken – was für eine höhere Festigkeit sorgen könnte.