Rechte Arbeiter: Wie können Gewerkschaften den Einfluss jener AfD bremsen?

An einem grauen, bewölkten Oktobertag in Hannover. Hier lebt Jens Keller. Er arbeitet als Lkw-Fahrer beim kommunalen Abfallentsorger Aha. Keller sitzt in Hannover auch im Stadtrat und ist Fraktionsvorsitzender. Für die AfD. In der Partei ist er seit 2015 Mitglied.

Keller ist auch überzeugter Gewerkschafter: „Die Gewerkschaft hat immer für die Rechte ihrer Mitglieder gekämpft“, sagt der gelernte Konstruktionsmechaniker. „Seitdem es Gewerkschaften gibt, haben sie den Lebensstandard verbessert. Weil es Gewerkschaften gibt, haben wir heute den Acht-Stunden-Tag.“

Die Zeiten der erfolgreichen Gewerkschaftskämpfe, in denen der Acht-Stunden-Tag durchgesetzt wurde, sind aktuell vorbei. Heute ist die Arbeitswelt im Umbruch; Beschäftigte sind mit Homeoffice, Digitalisierung und Arbeitsverdichtung konfrontiert. Kurzarbeit, Reallohnverlust und längere Lebensarbeitszeit bedrohen auch industrielle Kernbelegschaften.

Begleitend dazu verschiebt sich das politische Gefüge. Wähler kehren seit Jahrzehnten den traditionellen Arbeiterparteien den Rücken. Statt bei der SPD machen sie ihr Kreuz zu großen Teilen bei der AfD.

Jens Keller kennt seine Kollegen – und sie kennen ihn. Keller ist Personalrat, wurde 2024 mit den meisten Stimmen bei Aha gewählt. Der Bruch mit Verdi hatte sich da schon angekündigt. Die Gewerkschaft wollte Keller nicht länger als Vertrauensmann in ihren Reihen haben. Gerichtlich konnte Verdi das jedoch nicht durchsetzen, trotzdem ist Keller mittlerweile ausgetreten. Nun ist er bei Zentrum aktiv, einer „alternativen Gewerkschaft“, wie er sagt.

Der Klassenkampfgedanke – Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber – wird abgelehnt

Vereins-Website von Zentrum (vormals)

Zentrum ist entgegen der Selbstbezeichnung keine Gewerkschaft, sondern ein Verein. Vom Neonazi Oliver Hilburger 2002 als „Zentrum Automobil“ bei Daimler-Benz im schwäbischen Untertürkheim gegründet, gibt es bisher nur eine Handvoll Betriebsräte, die sich zu Zentrum bekennen. Auch ist unklar, wie viele Mitglieder es gibt. Im Sommer versperrte das Arbeitsgericht Braunschweig den Weg in ein Werk in Isenbüttel. Bei der VW-Tochtergesellschaft hätte Zentrum mindestens ein Mitglied nachweisen müssen. Das gelang nicht ausreichend, so der Richter.

Zurück nach Hannover. Dort ist Jens Keller bei Zentrum für den Aufbau des sogenannten „Büros Nord/West“ zuständig. In der kommenden Zeit steht viel an. Im Frühjahr 2026 werden die Betriebs- und Personalräte gewählt. Zentrum will im öffentlichen Dienst und in der Pflege punkten. Keller hat aber noch weitere Ziele: Er will mit am Tisch sitzen, wenn die Tarifverträge zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber verhandelt werden. Irgendwann werde Zentrum „tariffähig sein und auch Tarifverträge aushandeln können“, ist er überzeugt.

Aber warum will Zentrum das überhaupt? Wenn der Verein ein Feindbild hat, dann sind es die DGB-Gewerkschaften. Die steckten mit den Chefs und der Regierung unter einer Decke – gegen die Beschäftigten. Zugleich will Zentrum nichts vom Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit wissen. Man geht sogar noch weiter. Lange stand auf der Vereinshomepage: „Der Klassenkampfgedanke – Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber – wird abgelehnt.“

Warum die AfD nicht organisatorisch, aber im Kampf um Köpfe vorankommt

Arbeiter zu sein, also im Gegensatz zu Angestellten vor allem körperlich zu arbeiten, vielleicht sogar Gewerkschaftsmitglied, und für die AfD zu stimmen – das erscheint widersprüchlich. Keine andere im Bundestag vertretene Partei positioniert sich so deutlich gegen gewerkschaftliche Forderungen. Die AfD lehnt ein bundesweites Tariftreuegesetz strikt ab, 2022 votierte sie gegen den Anstieg des Mindestlohns auf zwölf Euro, auch war sie gegen sogenannte Corona-Sonderprämien für systemrelevante Berufe.

Trotzdem unterschieden sich heute „Gewerkschaftsmitglieder nicht signifikant von Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern darin, wie häufig sie AfD wählen“, heißt es in einer 2025 veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Ebenso gibt es keine Differenzen zwischen Befragten mit und ohne Tarifvertrag oder ob man selbst Betriebs- oder Personalrat ist.“ Die Studie verweist zudem darauf, dass es eine besonders hohe Quote an AfD-Wählenden, 35 Prozent, unter denjenigen gibt, „die zwar einen Betriebs- oder Personalrat haben, jedoch sehr unzufrieden mit dessen Arbeit sind“.

Wenn es um das Erstarken der Rechten in der Arbeitswelt geht, müsse man sich „dem Problem von unten nähern“, sagt Sozialwissenschaftler Richard Detje vom Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Aus der Perspektive gebe es eine „beachtliche Dynamik der Rechten“. Diese sei zwar „nicht organisatorisch vorangekommen, aber im Kampf um die Köpfe“. Wenn Richard Detje über die Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter spricht, hört man die Erfahrung aus Jahrzehnten Forschung über die Arbeitswelt.

Sorgen nehmen zu – und der Glaube an den eigenen Aufstieg ab

Der Sozialwissenschaftler beobachtet aktuell, wie eine zentrale Idee, die lange den gesellschaftlichen Zusammenhalt prägte, brüchig wird – die Erzählung, dass Leistung sich auszahlt: „Wer sich anstrengt, kann es zu etwas bringen“ – dieser Satz, sagt Detje, habe für viele seine Glaubwürdigkeit verloren. Dort, wo solche Gewissheiten verblassen, entstünde Raum, den rechte Akteure füllten. Parteien wie die AfD stellten einen Gegensatz her zwischen denen, die hart arbeiten, und jenen, die angeblich nur nehmen. Es sei ein einfaches Muster, erklärt Detje, das auf Abgrenzung basiert: ein „Wir“ gegen die „Anderen“.

Das WSI bestätigt diese Beobachtungen: Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz sind ein „wichtiger Erklärungsfaktor für die Wahlpräferenz einer extrem rechten Partei“. Wer die eigene Arbeitsumgebung als unsicher erlebt, wer wenig Einfluss und wenig Solidarität im Arbeitsalltag spürt, zeigt laut Studie weniger Offenheit gegenüber den großen Transformationsprozessen – Digitalisierung, Klimaschutz, Umbau der Wirtschaft.

Wer sich anstrengt, kann es zu etwas bringen – dieser Satz hat für viele seine Glaubwürdigkeit verloren

Richard Detje, Vorstand Rosa-Luxemburg-Stiftung

Diese Prozesse sind für viele längst spürbar. Kurzarbeit, Inflation und wiederholte Ohnmachtserfahrungen haben die vergangenen Jahre geprägt. Gleichzeitig schreitet die Transformation der Wirtschaft voran, um der Klimakrise zu begegnen. Besonders betroffen ist die Automobilindustrie, jahrzehntelang die Leitbranche in Deutschland und Garant stabiler Beschäftigung. Nun stehen weitere Einschnitte bevor – auch durch den verstärkten Einsatz künstlicher Intelligenz. Solche, oft schwer greifbaren Veränderungen verstärken die Angst vor Abstieg und Statusverlust.

Und sie verändern, wie Beschäftigte Gewerkschaften wahrnehmen, sagt Detje. Organisationen, die lange als Schutz und Stimme der Beschäftigten galten, würden nun zuweilen als Teil des Problems gesehen. Diese Verschiebung öffne ebenso den Raum für rechte Akteure, die sich wie Zentrum als Alternative präsentieren.

In den Gewerkschaften ist vielen klar, dass die Rechte in den eigenen Reihen erstarkt – und dass man ihr etwas entgegensetzen muss. Doch über die richtige Strategie wird gestritten. Einige Mitglieder setzen auf zivilgesellschaftlichen Protest und blockieren AfD-Parteitage bei den „Widersetzen“-Aktionen. Die meisten Gewerkschaften konzentrieren sich stärker auf Aufklärung, informieren mit Flyern und auf Veranstaltungen, dass die Politik der AfD am Ende den Beschäftigten schadet.

Besonders aufmerksam beobachtet die IG Metall die Entwicklung. In der Autoindustrie, in der derzeit Tausende Jobs wackeln und die Transformation zur E-Mobilität ohnehin für Verunsicherung sorgt, versucht Zentrum, den Wandel zu instrumentalisieren. Die IG Metall hat deshalb schon 2019 den Verein zur Bewahrung der Demokratie (VBD) mit initiiert. Ziel des VBD ist es unter anderem, die Betriebsräte und Vertrauensleute zu stärken, rechte Listen zu erkennen und im Alltag gegen Hetze aufzustehen.

Antifaschistische Strategie: kämpferische Betriebsarbeit, Transparenz und nah am Alltag

Fanny Staudinger arbeitet für den VBD in Baden-Württemberg, dort wo die Autoindustrie tief im Alltag und der Arbeitswelt verankert ist. Die Gewerkschafterin kommt selbst aus der Region und ist regelmäßig in den Betrieben vor Ort. Sie denkt nicht, dass Demonstrationen allein etwas bewirken: „Die sind oft nur ein Strohfeuer.“

Gemeinsam mit ihrem Team habe sie drei Strategien herausgearbeitet, die wirklich wirkten: Erstens brauche es eine konfliktorientierte und kämpferische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, die nicht nur klar die Interessen der Beschäftigten vertritt, sondern sie an den Konflikten selbst beteiligt. Das schadet organisierten Rechten im Betrieb, weil sie den Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital ablehnen.

Zweitens müssten Gewerkschaften offen und transparent auch über eigene Fehler sprechen, das stärke Vertrauen.

Und drittens gelte es, jene Bereiche ernst zu nehmen, in denen Rechte stark werden: Dort, wo Menschen sich nicht gehört fühlen, wo Beschäftigte vielleicht auch von Betriebsräten und Gewerkschaften allein gelassen wurden. Für die Gewerkschaften bedeutet das, ihre Rolle stärker politisch zu verstehen und gleichzeitig nah an den Problemen im Betrieb zu bleiben. „Unsere Arbeit lebt davon, dass wir direkt vor Ort anpacken und nicht nur theoretisch darüber reden“, unterstreicht Staudinger.

Unsere Arbeit lebt davon, dass wir direkt vor Ort anpacken

Fanny Staudinger, VBD Baden-Württemberg

Dem würde bestimmt auch Betriebsrat Thomas Hartmann zustimmen, der in Wirklichkeit anders heißt und anonym bleiben möchte. Bei ihm begann „das direkt vor Ort anpacken“ vor ein paar Jahren, als ein neuer Verdi-Gewerkschaftssekretär in seinen Betrieb in Ostdeutschland kam. Der brachte „frischen Wind“, so Hartmann, und habe sich sogar für Versäumnisse der Gewerkschaft nach der Wende entschuldigt. Das habe viele berührt, erzählt der freundliche Mittfünfziger in seinem Betriebsratsbüro in einer mittelgroßen, ostdeutschen Stadt. In seinem Betrieb gebe es einerseits klassische Arbeiterjobs, fast alle, die dort arbeiten, seien Männer, fast alle deutsch – und andererseits Verwaltungsjobs mit einem hohen Frauenanteil.

Dann kam die Tarifrunde. Es war keine gewöhnliche, alle im Betrieb wurden mit einbezogen – mit Fragebögen, gemeinsamen Treffen, Grillabenden und Mitsprache. Das habe es vorher so nicht gegeben. Drei Jahrzehnte nach der Wende haben sie alle zusammen zum ersten Mal gestreikt. Hartmann erinnert sich gut daran. Auch an einen Kollegen mit der roten Verdi-Fahne, die er stolz vor der Kamera eines TV-Senders schwenkte. „Vielleicht ist der auch ein AfD-Wähler“, sagt Hartmann. „Aber an dem Tag konnte er zeigen: Wir machen was.“ Am wichtigsten sei aber gewesen, dass Hartmann und seine Kollegen am Ende mit rund zehn Prozent mehr Lohn aus dem Streik herausgekommen seien. „Fakten schaffen, darum geht’s“, sagt Hartmann.

Dieses Gefühl, etwas bewegen zu können, erlebt man bei den Gewerkschaften mittlerweile öfter in Ostdeutschland. Verdi sprach 2023 sogar vom erfolgreichsten Jahr seit der Gründung 2001, auch weil es einen besonders starken Mitgliederzuwachs in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gab. Gewerkschaften wie die NGG berichteten von ähnlichen Erfolgen.

Dazu passt eine Beobachtung von Richard Detje. Er trifft bei seiner Forschung in Thüringen immer wieder auf eine neue Generation Gewerkschafter und Beschäftigter. Sie erzählen ihm bei seiner Forschung: Die Demütigungen der 90er, das war die Welt unserer Eltern. Unsere Erfahrung ist: Einsatz lohnt sich. Betriebsrat Hartmann hofft, dass die Erfolge seine Kollegen vielleicht sogar vom rechten Rand wegbringen: „Sie müssen sehen, was wir gemeinsam erreichen können.“

Erst Streik und dann links? So einfach ist es nicht

Ganz so einfach sei es nicht, warnt die Soziologin Josephine Garitz. Erfolgreiche Tarifkämpfe schaffen zwar Zusammenhalt und sie können durch Mitbestimmung und Selbstwirksamkeit Demokratie überhaupt erst erfahrbar machen, aber sie lösen nicht automatisch das Problem der rechten Einstellungen. Zumal in Tarifrunden, die oft hitzig und dynamisch ablaufen, Kraft, Raum und Zeit für Debatten über Rassismus fehlten.

Garitz ist Mitglied des Forschungsprojekts SONAR, das steht für „Solidarität organisieren in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz“. Drei Jahre lang haben Garitz und ihre Kollegen in Nachbarschaften und Betrieben dazu geforscht, ob der Zusammenhalt auch gegen rechts wirken kann. Insgesamt fällt ihr Forschungsergebnis gemischt aus: Wo Menschen merkten, dass sie gemeinsam etwas erreichen, öffneten sich eher Räume für Gespräche – auch mit Kollegen, die als anders wahrgenommen werden oder eine gegensätzliche Einstellung haben.

Dort, wo überhaupt mal wieder demokratische Aushandlungen passieren, sei erfahrbar, was es heißt, Widersprüche auszuhalten. Das könne durchaus ein Anfang sein, um aus den Ohnmachtserfahrungen auszubrechen, sagt Garitz. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob aus diesem Anfang eine Gegenkraft zum aktuellen Rechtsruck erwächst.