Rauchverbot im Freien: Wie Linke erziehen wollen

Das ist noch einmal knapp gut gegangen. Das Europaparlament hat gegen
die Empfehlung der EU-Kommission gestimmt, ein weitgehendes Rauchverbot auch im
Freien zu fordern
. Die Resolution hätte zwar keine bindende Wirkung für die
Mitgliedstaaten gehabt, wäre aber als Signal gleichwohl fatal gewesen. Leichter
hätte man es Euroskeptikern nicht machen können, die der EU seit Jahren
Gängelung und Bevormundung der Bürger vorwerfen. 

Erst recht wären Ressentiment
und Rhetorik der rechtsextremen Parteien auf eine Weise bedient worden, dass
diese ihr Glück wohl kaum hätten fassen können. Die AfD-Europaabgeordnete
Christine Anderson hat vor der Abstimmung schon die Falle genau benannt, in die
das Parlament nun glücklicherweise nicht getappt ist: „Der Regulierungswahn der
EU kennt schlicht keine Grenzen mehr. Ihr paternalistischer Ansatz ist eine
Entmündigung der Bürger.“

Und was hätte man Anderson bei einem anderen Abstimmungsergebnis auch
entgegenhalten können? Jedenfalls nichts in der Sache. Einen wirksamen Schutz
vor Passivrauchen sicherzustellen ist gewiss alle Mühen wert, aber auch im
Freien, an der frischen Luft, in öffentlichen Parks? Doch wohl nur, wo Menschen
dicht gedrängt sind, wie an Haltestellen oder auf Spielplätzen, wo solche
Verbote längst gelten. 

Dass es der Kommission nicht um den unmittelbaren
Gesundheitsschutz geht, sondern um langfristige Umerziehung, hat sie in ihrer
Begründung selbst verraten. Die EU-Kommissarin Helena Dalli erklärte: „Wir
wollen eine tabakfreie Generation in Europa. Das ist noch ein langer Weg.“ Aber
bis 2040 solle der Bevölkerungsanteil der Raucher auf unter drei Prozent sinken.

Dalli ist übrigens aktuell noch Kommissarin für Gleichstellung (für die neue Kommission von Ursula von der Leyen wurde sie nicht nominiert). In Dallis
Amtsverständnis heißt Gleichstellung offenbar vor allem, für die Ungleichstellung von
Widerspenstigen zu sorgen. Jedenfalls geht es über die Befugnisse
demokratischer Staaten ganz entschieden hinaus, Bürgern einen Lebensstil zu
diktieren, mag er nun gesund sein oder nicht. Gesundheit, soweit es die eigene
bleibt, ist sogar in gesteigertem Maße Privatsache. Oder will man auch toxische
Partnerschaften verbieten, die für so viele somatische Beschwerden bis zu Herzinfarkten
verantwortlich sind, oder übertriebenen Ehrgeiz in der beruflichen Karriere?

Nehmen wir einmal an, Putin hätte zu den Spaltungs- und
Zersetzungsaktivitäten, die er ohnehin gegen die westliche Öffentlichkeit
unternimmt, noch eine neue Intrige ersonnen – dann könnte es genau diese sein:
Die geheime Illiberalität des wohlfahrtsstaatlichen Westen auffliegen zu lassen
und sämtliche Raucher, aber wahrscheinlich auch alle, die sich nicht in ihr
Privatverhalten hineinregieren lassen wollen, den rechtsextremen Parteien
zuzutreiben. Wen sollten sie dann auch sonst wählen, um gegen ein Europa zu
protestieren, dass sie zu Außenseitern und Halbkriminellen stempeln möchte?

Glücklicherweise haben die konservativen Mitglieder der EVP-Fraktion im
Europaparlament, in Sonderheit die CDU- und CSU-Abgeordneten, die Gefahr
erkannt, die der Legitimität der EU hier droht. Höchstwahrscheinlich hegen sie
noch nicht einmal besondere Sympathien für Raucher, aber sie haben doch
begriffen, dass man nicht Millionen von Menschen, mögen sie auch der
unvernünftigere Teil der Bevölkerung sein, zu schwer erziehbaren Sozialfällen
erklären kann, denen nur mit harten Zwangsmaßnahmen beizukommen ist.

Will die Linke jetzt den autoritären Obrigkeitsstaat verkörpern?

Weniger glücklich ist, dass sich die Verteidiger der altmodischen,
nämlich auch riskanten Freiheiten nur auf dieser Seite des politischen
Spektrums fanden, während die Sozialisten und Sozialdemokraten aller Ländern
fast ausnahmslos die Erziehungspläne begrüßten. Auch wenn Freiheiten für
Raucher gewiss keine Existenzfrage sind, wird es der europäischen Linken nicht
zum Vorteil gereichen, sich ausgerechnet in einem solchen Punkt gegen rechts zu
profilieren. 

Wenn es erlaubt ist, einmal fünfzig Jahre zurückzublättern: Damals
war es die Linke, die für individuelle Entfaltungsräume und gegen autoritäre
Kollektivvorstellungen von Anstand und Sauberkeit kämpfte. Will sie jetzt
ihrerseits den autoritären Obrigkeitsstaat mit seinen Sittenwächtern (am besten patrouillierend in jedem Park) verkörpern?

Natürlich wäre es unbestreitbar gut, wenn die Raucher sich dort
zurückhielten, wo ihr Rauch unwillkommen oder schädlich für andere ist. Das ist
allerdings eine ganz andere und grundsätzliche Frage sozialen Verhaltens, die
ebenso für vieles andere gilt und in einer gegebenen Situation individuell
entschieden werden muss. Mangelnde Bereitschaft zu höflichem und
rücksichtsvollem Betragen lässt sich jedenfalls nicht durch Gesetze und
Verordnungen ausgleichen. Letztlich ist es eine Frage der familiären Erziehung. 

Dem Staat aber diese quasi elterliche Erziehungsgewalt zu geben, die nach
Belieben schimpft oder Hausarrest verhängt, heißt, alle Bürger zu unmündigen
Kindern zu erklären. Will man das? Und wie würde man es begründen? Streng
genommen dürfte der Staat sie dann auch nicht wählen lassen.