Putins Wirtschaftsforum: Auftritt zu Händen die Kreml-Kinder

In früheren Jahren war das Sankt Petersburger Internationale Wirtschaftsforum (SPIEF) ein wichtiger Termin, zu dem auch Konzern- und Staatschefs westlicher Länder regelmäßig anreisten. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine vor gut zwei Jahren ist das vorbei, nun soll das Forum einem anderen Zweck dienen: als Beweis für die erfolgreiche Umorientierung Russlands in andere Weltgegenden. Das scheint allerdings nur mäßig zu funktionieren. Im vergangenen Jahr war noch der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate da, doch in diesem Jahr schickte selbst das offizielle Gastland Oman nur seinen Handelsminister. Und Russlands wichtigste Partner, China und Indien, werden bloß von ihren Botschaftern vertreten.

Doch ist das SPIEF kein Ort, um solche Tendenzen oder andere Probleme der russischen Wirtschaft ausführlich zu diskutieren. Viel eher soll der Eindruck erweckt werden, angesichts der florierenden Kriegswirtschaft, die im ersten Quartal trotz Sanktionen und dank massiver staatlicher Investitionen in die Rüstungsindustrie um 5,4 Prozent gewachsen ist, seien Gäste aus dem Westen gar nicht nötig. Auch Präsident Wladimir Putin zeichnete am Freitag in seiner Rede das Bild, die Kooperation mit „schnell wachsenden Wirtschaften“ des globalen Südens sei ohnehin zukunftsfähiger als der an Bedeutung verlierende Westen. Der Moderator der wichtigsten Wirtschaftsdiskussion, der Duma-Abgeordnete Andrej Makarow, stichelte, früher hätten in der Runde Leute wie die IWF-Chefin Christine Lagarde „uns Jahr für Jahr erzählt, was wir tun müssten, damit es bei uns wie bei ihnen wird“. Aber es sei doch prima, dass man sich nun in der immer gleichen Besetzung treffe. Diese besteht aus den wichtigsten Vertretern des Wirtschaftsblocks: Zentralbankchefin Elwira Nabiullina, Finanzminister Anton Siluanow, Wirtschaftsentwicklungsminister Maxim Reschetnikow und dem stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration, Maxim Oreschkin.

Moderator Makarow triumphierte gleich zu Beginn: Eines der großen Ziele, die Putin bis 2030 ausgegeben habe, sei nun auf einmal schon erfüllt, nämlich dass Russlands Wirtschaft nach Kaufkraftparität den weltweit vierten Platz belegen solle. Tatsächlich hatte die Weltbank kurz vor Beginn der Konferenz korrigierte Daten vorgelegt, nach denen Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) schon 2021 nach Kaufkraftparität Japan überrundet habe und damit auch Deutschland und Frankreich hinter sich lasse. Allerdings weisen Ökonomen darauf hin, dass die Kaufkraftparität, bei der es darum geht, wie viel sich Menschen in unterschiedlichen Ländern für eine vergleichbare Summe leisten können, üblicherweise herangezogen werde, um die Lebensqualität zu vergleichen, nicht aber die Größe einer Wirtschaft. Wenn man über die Bedeutung einer Volkswirtschaft im internationalen Vergleich spreche, seien die Preise im Inland nicht bedeutsam, sagt der in Barcelona lehrende, russische Ökonom Ruben Enikolopow der F.A.Z., insofern sei das Ranking auch nicht sehr aussagekräftig.

Chef der größten russischen Bank Sber: „Primitives Wachstumsmodell“

Die Schwierigkeiten, die Russlands Wachstum bald bremsen könnten, streifte das Hauptwirtschaftspanel nur am Rande – darunter der akute Arbeitskräftemangel wegen des Krieges, die bei mehr als 8 Prozent liegende Inflation und der damit zusammenhängende hohe Leitzins, den die Zentralbank am Freitag bei 16 Prozent beließ; sogar die jüngst bekannt gegebene Steuerreform, die von 2025 an die Gewinnsteuer für Unternehmen und die Einkommensteuer für Mittelklasse und Reiche anheben soll, wurde kaum kommentiert – vermutlich, weil zumindest drei der vier Vertreter auf dem Podium vor einem Jahr noch vor einem solchen Schritt gewarnt hatten und als Gegner der fortschreitenden staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft bekannt sind.

Dass auch der Wirtschaftsblock davon ausgeht, dass der Krieg der wichtigste Wachstumsgrund bleiben wird, wurde aus einem Zitat Oreschkins klar: Ohne eine erfolgreiche Armee gebe es auch keine erfolgreiche Wirtschaft. Am kritischsten äußerte sich der Chef der größten russischen Bank, Sber, German Gref, der von einem „primitiven Wachstumsmodell“ sprach, das vor allem auf staatlichen Investitionen und Verbraucherkrediten beruhe. Es führe nicht dazu, dass die Arbeitsproduktivität steige, was aber dringend nötig sei, da das Wachstum wegen der überlasteten Indus­trie an seinen Grenzen angekommen sei.

Während die Zahl der Ausländer auf dem SPIEF geringer wird, nimmt zugleich, worauf die Nachrichtenagentur Bloomberg als Erstes hinwies, die Dichte an Verwandten von Putin und dessen Vertrauten in offiziellen Rollen zu. Dieses Jahr traten in Sankt Petersburg beide Töchter Putins auf – die der Präsident nach wie vor nie öffentlich als seine Kinder bezeichnet hat. Katerina Tichonowa, die das Entwicklungsinstitut Innopraktika leitet, sprach auf einem Rüstungsforum über Russlands Weg zu technologischer Unabhängigkeit, die Endokrinologin Marija Woronzowa über Bioökonomie. Anna Tsiwilewa, die laut „The Bell“ eine Nichte Putins ist, trat als Vorsitzende eines Staatsfonds für Veteranen aus dem Krieg gegen die Ukraine auf. Xenia Schojgu, die Tochter von Sergej Schojgu, bis vor Kurzem Verteidigungsminister, moderierte eine Diskussion zum Thema Sport, Roman Rotenberg, Sohn von Putins Jugend-Judofreund Boris Rotenberg, trat als Vizepräsident der russischen Eishockey-Vereinigung auf. Der Sohn des Chefs der Präsidialverwaltung Anton Wajno, Alexandr, nahm an einer Diskussion über Personalrekrutierung teil.

Kurz vor dem SPIEF waren zwei weitere Kinder von Putin-Wegbegleitern in wichtige Positionen gelangt: Dmitrij Patruschew, dessen Vater Nikolaj Patruschew bis vor kurzem Sekretär des Sicherheitsrates war, ist nun stellvertretender Ministerpräsident. Und Boris Kowaltschuk, dessen Vater Jurij Hauptaktionär der Kreml-Hausbank ist, steht nun dem Rechnungshof vor. Für die Art und Weise, wie Russland künftig geführt werde, sei das keine gute Nachricht, sagt Ökonom Enikolopow. Wenn es etwas gebe, auf das der Kreml stolz sein könne, dann auf das, was die „professionellen Technokraten“ aus dem Wirtschaftsblock erreicht hätten, indem sie einen Absturz der Wirtschaft in Folge der Sanktionen verhindert hätten – und zwar ohne jegliche Verwandtschaftsbeziehungen zu Putin und seinen Freunden.