„Putin testet aus, wie unterschiedlicher Meinung und zögerlich die Nato ist“, sagt Karl-Theodor zu Guttenberg
Gregor Gysi setzt auf Trump als Friedensvermittler zwischen Russland und der Ukraine, während Karl-Theodor zu Guttenberg vor Putins „Nadelstichen“ gegen die Nato warnt. Bei „Maischberger“ geraten beide über Putins Strategie aneinander.
Der jüngste Drohnenvorfall über Polen hat die Sorge um Russlands Vorgehen und die Standhaftigkeit der Nato erneut in den Mittelpunkt gerückt. In der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger diskutierten der Linken-Politiker Gregor Gysi und der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) über die möglichen Absichten von Wladimir Putin. Während Guttenberg vor wachsenden Gefahren warnte, vermutete Gysi, Donald Trump könne bereits wissen, wann Putin zu einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg bereit sei.
Neben den beiden Hauptgästen kommentierten die Journalistin Iris Sayram (ARD-Hauptstadtstudio), Ansgar Graw („The European“) sowie Spitzenkoch und Moderator Christian Rach das aktuelle Geschehen. Im Einzelgespräch stellte sich Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, den Fragen zu den Folgen der NRW-Kommunalwahl für die SPD und zur umstrittenen Sozialleistung Bürgergeld.
Ausgangspunkt der Diskussion war ein Vorfall in der vergangenen Woche: Während eines russischen Luftangriffs auf die Westukraine registrierte Polen mindestens 19 Drohnen in seinem Luftraum. Mehrere wurden abgeschossen, Verletzte gab es nach bisherigem Stand nicht. Warschau und seine Partner werteten das als bewusste Provokation Moskaus. Gysi sagte dazu: „Wenn es wirklich so ist, dass Russland oder für Russland Belarus die Drohnen geschickt hat, dann brauchen wir dringend komischerweise Trump. Er ist der Einzige, der Putin anrufen kann und sagen kann: Hier ist eine Grenze überschritten, das kann auch ich nicht so hinnehmen, jetzt legst du dich auch mit den USA an.“
„Der dritte Weltkrieg wird auch Russland fast vollständig vernichten“
Guttenberg widersprach der Deutung, der Vorfall sei ein ganz neues Signal. „Faktisch haben wir die Bedrohungslage seit Jahren. Wir verschließen nur munter die Augen davor“, sagte er. Er verwies auf frühere Mordanschläge auf deutschem Boden, Verletzungen des Nato-Luftraums und Cyberattacken. Putins Vorgehen beschrieb er als „immer wieder kleine Nadelstiche“, um die Geschlossenheit des Bündnisses zu testen.
Gysi bezweifelte, dass Putin einen Nato-Angriff plane. „Putin will nicht ernsthaft die Nato angreifen, denn er weiß, das führt zum dritten Weltkrieg. Der dritte Weltkrieg wird auch Russland fast vollständig vernichten.“ Stattdessen verfolge er das Ziel, die ehemaligen Sowjetrepubliken im eigenen Einflussbereich zu halten. Daran erinnerte Gysi auch mit Blick auf Estland, Lettland und Litauen: 2004 habe Putin ihrem Nato-Beitritt noch zugestimmt. „Was Putin uns beweisen will: Alle anderen Sowjetrepubliken, bis Kirgisistan und alles, das ist seine Zuständigkeit und nicht unsere.“ Darin liege die eigentliche Auseinandersetzung, so der Linken-Politiker.
Guttenberg widersprach umgehend. „Ich glaube, die Auseinandersetzung ist eine andere. Putin will keine wehrhafte Nato angreifen. Aber er wird für sich sehr genau seine taktischen Schritte überlegen, wie man diese Wehrhaftigkeit austesten kann“, sagte der frühere Verteidigungsminister. „Und momentan stellt sich die Nato nicht zwingend so dar, als ob sie ein vollkommen monolithischer Block ist. Und das liegt insbesondere an den USA.“
Besonderes Aufsehen erregte Mitte August das Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Putin in Alaska. Nach Handschlag und vertraulichen Gesprächen blieb vieles im Dunkeln. „Mich interessiert wirklich: Was haben die beiden da miteinander gesprochen?“, fragte Gysi. „Die haben bestimmt Dinge vereinbart, von denen wir nichts wissen. Und das ist mir ganz unheimlich.“ Der Linken-Politiker vermutete, Trump kenne bereits Putins Bedingungen für einen Waffenstillstand: „Ich kann mir vorstellen, dass Putin zu Trump gesagt hat, er will das Donbass-Gebiet insgesamt haben. Und dass er so lange weitermacht, bis er das erobert hat und dann ist er auch für einen Waffenstillstand.“
„Ich glaube, dass beim Bürgergeld ein bisschen ein schlechtes Timing da war“
Zum Schluss richtete Maischberger den Blick auf die deutsche Innenpolitik. Guttenberg zeigte sich enttäuscht von der schwarz-roten Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz. „Mein Vertrauen hat in den letzten Monaten gelitten“, sagte er und verwies auf das Risiko, dass die neue Mittekoalition in innere Konflikte verfalle. Zugleich hoffte er, der angekündigte „Herbst der Reformen“ könne Vertrauen zurückbringen.
Im Gespräch mit Alexander Schweitzer rückten die Folgen der NRW-Kommunalwahl für die SPD in den Mittelpunkt. Während Parteikollegin und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas den Ausgang noch mit den Worten beschönigt hatte, es sei nicht das „prognostizierte Desaster“, sprach Schweitzer Klartext: „Tatsächlich ist das Ergebnis für die SPD ein richtig schlechtes Ergebnis.“ Die AfD konnte ihre Stimmen im Vergleich zur vorigen Wahl fast verdreifachen, auch die Linke legte stark zu. „Überall, wo die AfD ihre Stimmen, wie jetzt in NRW, verdreifacht, kann man als Demokrat nicht happy sein“, sagte Schweitzer.
Auch zum Bürgergeld nahm der SPD-Politiker Stellung. Die 2023 eingeführte Reform des Arbeitslosengeldes II („Hartz IV“) sei unter schwierigen Bedingungen gestartet. „Ich glaube, dass beim Bürgergeld ein bisschen ein schlechtes Timing da war“, sagte er. Ursprünglich sei es für eine Zeit entwickelt worden, in der Arbeitsplätze ausreichend vorhanden gewesen seien. Heute dagegen herrsche Fachkräfte- und Arbeitsmangel. „Das Bürgergeld hatte sehr stark zum Inhalt, dass erst die Qualifikation läuft und dann die Vermittlung. Und diese Trendwende haben wir nicht mehr gut erreicht. Für viele war die Botschaft: Wir laufen eigentlich in so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das will ich nicht, und das muss korrigiert werden.“ Ziel müsse es sein, so Schweitzer, Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Source: welt.de