Pünktlichkeitswerte jener Bahn „unerträglich“: Wissing fordert Sanierungskonzept
Inmitten anhaltender Kritik an der Deutschen Bahn über unpünktliche Züge und teils chaotische Zustände auf der Schiene will Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das Management an die kurze Leine nehmen. In den kommenden Tagen soll der Vorstand unter der Führung von Bahnchef Richard Lutz ein „Sanierungskonzept“ präsentieren, mit dem er die zahlreichen Probleme in den Griff bekommen wird. Noch in diesem Monat soll sich der Aufsichtsrat damit befassen. „Wir wollen ein Sanierungsprogramm, das bis zum Jahr 2027 läuft und kontinuierlich Verbesserungen bringt“, sagte Wissing. Ein Scheitern sei „keine Option“. „Das ist meine Vorgabe.“
Die Bundesregierung habe vor rund zwei Monaten beschlossen, dass die Deutsche Bahn gegensteuern müsse, wie Wissing am Dienstag in einer Pressekonferenz in Berlin betonte. Gefordert seien Verbesserungen in sieben Handlungsfeldern, darunter Pünktlichkeit und Auslastung der Züge sowie eine bessere Anpassung an den Klimawandel. „Die Bahn muss auch ankommen, wenn die Witterung extrem ist“, sagte Wissing.
Die Bahn schreibt hohe Verluste
Betriebswirtschaftlich muss sich ebenfalls einiges ändern: Sowohl Nah- und Fernverkehr als auch das Netz der Bahn haben zuletzt hohe Verluste geschrieben. Die Frachttochtergesellschaft DB Cargo ist ohnehin in einer jahrelangen Dauerkrise und steht durch ein Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission zusätzlich unter Druck. Deshalb müsse der Staatskonzern „Doppelstrukturen“ abbauen und Personal in der Verwaltung reduzieren, forderte der Politiker. In den vergangenen Wochen hatte die Nachricht für Aufsehen gesorgt, dass der Konzern in den nächsten Jahren 30.000 Stellen abbauen möchte. Damit seien aber keine Stellen im Betrieb gemeint, also etwa bei den Zugbegleitern, stellten die Bahn und Wissing klar.
Die klaren Vorgaben sind Teil eines größeren Umbaus, den Wissing seit seinem Amtsantritt Ende 2021 plant und in Teilen schon durchgesetzt hat. Seit Anfang des Jahres soll eine veränderte Konzernstruktur Fehlanreize verhindern. Seitdem ist der Bahnbetrieb stärker von der Infrastruktur getrennt. Das Schienennetz und die Bahnhöfe sind seitdem in einer gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft organisiert, der DB InfraGo. Kritikern geht diese Trennung von Betrieb und Schiene jedoch nicht weit genug.
Zusätzliche Milliarden für die Bahn
Zu den Änderungen gehört auch, dass die Bahn künftig wesentlich mehr Geld bekommt, um ihr Schienennetz zu finanzieren. Bis zum Jahr 2029 stellt der Bund zusätzlich 27 Milliarden Euro bereit, damit der Konzern in den nächsten sieben Jahren eine überfällige Generalsanierung der wichtigsten Strecken durchführen kann. Mitte Juli hat die Sanierung der ersten Strecke begonnen, dabei geht es um die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Sie wird dafür bis Mitte Dezember komplett gesperrt.
Mit den zusätzlichen Milliarden, einer neuen Finanzarchitektur und dem Konzernumbau sei der Bund in hohem Maße in Vorleistung gegangen, betonte Wissing. Nun müsse das Management weitere strukturelle Verbesserungen angehen. Anders als früher werde der Fortschritt der Maßnahmen intensiv überwacht. Alle drei Monate müsse das Management Bericht erstatten. Außerdem kontrolliert seit rund einem Jahr eine neu gegründete Steuerungsgruppe innerhalb des Ministeriums die Arbeit des Konzerns. Dazu finden jede Woche Treffen mit Konzernvertretern statt.
Pünktlichkeit ist für die Bürger „unerträglich“
Bei den identifizierten Handlungsfeldern machte Wissing keine konkreten Vorgaben, etwa zur Pünktlichkeitsquote der Züge, die der Minister „unerträglich“ nannte. Die Ziele zu formulieren sei Sache des Managements, stellte er klar. Im Juli lag die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr bei lediglich 62 Prozent. Die Werte im ersten Halbjahr waren insgesamt so bescheiden, dass schon jetzt klar ist, dass der Konzern die für dieses Jahr ausgegebene Pünktlichkeitsquote von rund 70 Prozent nicht erreichen wird.
Wissing pocht deshalb auf neue konkrete Vorgaben für die nächsten Jahre, die sein Ministerium überwachen kann. Dafür müsse klar sein, wer für welche Aufgabenfelder verantwortlich ist. Besonders in der Zeit der Fußballeuropameisterschaft zwischen Mitte Juni und Mitte Juli hatte es immer wieder Berichte von verspäteten Zügen gegeben, die auch in der internationalen Presse für Kritik sorgten. Spätestens dann muss in der Bundesregierung die Erkenntnis gereift sein, dass es neben milliardenschweren Investitionen auch einen Strategiewechsel im Management und eine engere Überwachung durch den Bund geben muss.
Einen Wechsel des Managements schloss Wissing derzeit jedoch aus. Sein Eindruck sei, dass er mit dem Bahnvorstand erfolgreich zusammenarbeiten könne, sobald klare Vorgaben gemacht würden. Auch Kritiker bemängeln, dass es an diesen klaren Vorgaben in den vergangenen Jahren gemangelt habe. „Ich hätte es als ungerecht empfunden, die Defizite des Bundes bei der Schieneninfrastruktur beim Bahnmanagement abzuladen“, sagte Wissing. Der Minister stellte klar, dass eine Verbesserung der Betriebswirtschaftlichkeit nicht bedeute, dass das Angebot reduziert werde. „Die Bahn hat auch einen Gemeinwohlauftrag, und niemand möchte, dass die Bahn Strecken streicht.“ Das möchte weder der Bund als Eigentümer noch die Bahn selbst.
Bei den Wettbewerbern der Bahn stieß die Ankündigung des Bundesverkehrsministers auf verhaltene Zustimmung. Wissing nehme den Vorstand zu Recht in die Pflicht. Zugleich stehe er als Teil der Regierung, die nach dem Grundgesetz für Erhalt und Ausbau der gemeinwohlorientierten Schieneninfrastruktur verantwortlich sei, selbst in der Pflicht, ausreichend Mittel dafür zur Verfügung zu stellen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, betonte Ludolf Kerkeling, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Die Güterbahnen. Er pochte darauf, dass die DB InfraGo komplett aus dem Konzern herausgelöst werden müsse, damit die Gemeinwohlorientierung keine leere Ankündigung bleibe.