Proteststreik in Frankreich: Wachsende Frustration übrig die anhaltende Regierungskrise
Die Devise lautet: „Bloquons tout plus“ – „Lasst uns alles mehr blockieren“. Hunderttausende folgen dem Aufruf der Gewerkschaften, das öffentliche Leben außer Kraft zu setzen. Der neue Premier Sébastien Lecornu weiß nun, woran er ist
Beim Generalstreik in Frankreich ging es heiß her
Foto: Kiran Ridley/Getty Images
Bahnhöfe, Universitäten, Schulen, Straßen und Autobahnen – es ist wieder einmal soweit in Frankreich, wo seit Monaten politisches Chaos herrscht, und Emmanuel Macron eine Regierung nach der anderen ins Feld schickt, um der Lage Herr zu werden. Bislang ohne Erfolg. Ein Haushalt soll her, um Schulden zu senken.
Mehrheiten im Parlament werden verzweifelt gesucht, während die Bevölkerung frustriert und wütend diesem Trauerspiel zusieht. Mit einem ersten großen Protesttag unter dem Motto „Bloquons tout“ (deutsch: Lasst uns alles blockieren) wurde vor einer Woche der vorhersehbare Abgang des nunmehr Ex-Premierministers François Bayrou begleitet. Ein Protest mit vielen kleinen Störaktionen, der als „ultralinks“ gebrandmarkt wurde und von gewalttätigen Ausschreitungen flankiert war.
An diesem 18. September nun ziehen die großen Gewerkschaften auf breiter Front nach und haben branchenübergreifend zu einem nationalen Streiktag aufgerufen. Doch wie viel zählt sie noch, die Straße in Frankreich?
Der Vorwurf: Frankreichs Regierung missachtet die Demokratie
Der letzte große Kampf gegen die Rentenreform dauerte 2023 zwei Wochen, in denen das öffentliche Leben teilweise stillstand, als fast drei Millionen Menschen an einem Tag im ganzen Land demonstrierten. Am Ende wurde die Reform durch den mittlerweile berüchtigten Artikel 49.3 der französischen Verfassung (in Anspielung auf ein deutsches Geschütz aus dem Ersten Weltkrieg „Dicke Bertha“ genannt) am Parlament vorbei beschlossen.
Zuletzt konnten die kurzlebigen Regierungen unsoziale Maßnahmen nur noch auf diese undemokratische Art durchsetzen. Viele, die 2023 dabei waren und durch ihr Streiken finanzielle Einbuße in Kauf nahmen, die Zeit und Energie investiert hatten, empfanden die Niederlage bei der Rentenreform nicht nur als Affront, sondern eklatante Missachtung der Demokratie. Die daraus resultierenden Konflikte, die sich aus dem Mehrheitswahlrecht und dem Präsidialsystem ergeben, haben mittlerweile dazu geführt, dass sich traditionelle politische Kräfte abwenden und zurückziehen. Nicht umsonst ist der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen seit Jahren die stärkste politische Partei.
Der ganz große Stillstand auf der Schiene ist an diesem Streikdonnerstag ausgeblieben. Im Fernverkehr war die Mobilisierung geringer als erwartet. In der Hauptstadt jedoch, dem wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Herzen des Landes, war es ein „jeudi noir“, ein schwarzer Donnerstag, mit vielen Ausfällen von Regionalzügen und Metros, ein Tag, an dem sich nicht viel bewegt hat.
Schon am Vormittag wuchs die Spannung zwischen Demonstranten und Polizei. Aus Nantes wurden erste Zusammenstöße gemeldet, landesweit sollen über hundert Menschen festgenommen worden sein. Innenminister Bruno Retailleau – eher als Scharfmacher denn als Schlichter bekannt – warnte „vor mehreren tausend gewaltbereiten Individuen“, die das öffentliche Leben gezielt stören wollten. „Bloquons tout plus“ (Lasst uns alles mehr blockieren), so die Devise. Feststeht, auch traditioneller Protest kann Kraft entwickeln, auch wenn sich bislang kein Revival von 2023 ankündigt.
Emmanuel Macrons angekündigter „Bruch“
Noch sind keine Details zu den Haushaltsplänen des neuen Premierministers Sébastian Lecornu bekannt. Zunächst hat er darauf verzichtet, zwei Feiertage zu streichen, wie das sein Vorgänger Bayrou anstrebte. Es wird jetzt darauf ankommen, ob er die Sozialpartner für andere Vorschläge begeistern kann, was freilich anzuzweifeln ist. Es wird darauf ankommen, ob Lecornu und Präsident Macron den angekündigten „Bruch“ vollziehen, in dem sie etwas Neues präsentieren, was vereint und nicht trennt.
In Betracht käme eine gerechtere Lastenverteilung. Einen Kahlschlag im Sozialsystem jedenfalls wird es mit Frankreichs sich regender neuer Protestfront nicht geben können. Ebensowenig eine Rückkehr zur Methode, mit Artikel 49.3 zu exekutieren, wofür es keine parlamentarische Mehrheit gibt. Sonst winkt der nächste „schwarze Tag“ – c’est sûr!