Proteste im Iran: Es ist unsere Aufmerksamkeit, die schützt
Im Iran protestieren Menschen für ein Leben in Freiheit. Sie sind darauf angewiesen, dass die Welt hinschaut – und können durch Kontakte doch in Gefahr geraten.
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Proteste im Iran
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Es ist unsere Aufmerksamkeit, die schützt – Seite 1
Noch
nie zuvor wollte ich so regelmäßig und ernsthaft besorgt wissen, wie es meiner
Familie im Iran geht. Was sie denken und fühlen, was sie hoffen und fürchten –
und ob sie noch hoffen (Spoiler: Ja!). Und noch nie zuvor war es so
unmöglich, eine ehrliche Antwort auf all diese Fragen zu bekommen, eine
ehrliche Antwort auf die banalste aller Fragen: „Na, wie geht’s?“. Selbst wenn
das oft heruntergefahrene Internet es zulässt, bleiben die Gespräche an der
Oberfläche.
Denn
die islamische Republik hat nicht nur an jeder Straßenecke ihre Spitzel,
sondern agiert vor allem hinter allen Türen des Netzes. Die Cyber-Armee des
Ajatollah Chomeini betreibt nicht nur Regierungs- oder Militärspionage, sie
überwacht auch die rund 84 Millionen Iranerinnen und Iraner minutiös – und auch
all jene, mit denen diese in Kontakt stehen. Sie will den Menschen das
wertvollste nehmen: die Gedanken, die per Messenger, E-Mail, Telefon geteilt
werden. Und so bewegen sich auch die Gespräche mit meiner Familie stets im
Bereich des Banalen, der sie nicht gefährdet. Man kommuniziert in Chiffren aus
Smileys, vagen Aussagen und Katzenbildern. Zumindest dem Kater meiner Cousine
scheint es blendend zu gehen.
Als Journalistin
mit deutsch-iranischem Hintergrund versuche ich gerade so oft wie nur möglich
über die Freiheitsbewegung im Iran zu schreiben. Nachrichtlich, analytisch,
aber auch in Form von Meinungsstücken. Das ist die große Aufgabe, der sich
viele Exiliranerinnen und -iraner gerade stellen. Je mehr wir hierzulande auf
die Situation im Iran aufmerksam machen, je klarer auch dem Regime wird, dass
die Augen des Westens auf ihre Gräueltaten gerichtet sind und dass Konsequenzen
drohen, desto mehr Schutz ist der Bevölkerung geboten. Zugleich habe ich seit
Wochen Angst, meine Familie im Iran damit zu gefährden. Noch mehr als sowieso
schon: Selbst wenn ich Bäckerin oder Apothekerin wäre, brächte ich meine
Familie mit jeder weiteren Frage, wie sie die Situation im Iran gerade erlebt,
in die Bredouille. Jede ihrer Antworten könnte abgefischt werden, kaum ein
gängiger Messenger ist wirklich sicher.
„Wann
wird es sich gelohnt haben, meine Familie zu gefährden?“, das fragte sich im
Oktober auch die Deutsch-Iranerin und Journalistin Avin Khodakarim in einem Essay, den
sie für die taz geschrieben hat. Beim Lesen dieser Zeilen habe ich
Tränen in den Augen, wie so oft dieser Tage. Denn ich kenne den dort
beschriebenen Zwiespalt eben nur zu gut. Hinzu kommt noch eine weitere
Tatsache, der ich mir genauso bewusst bin wie Avin Khodakarim: Wer sich als
Deutsch-Iraner:in hierzulande öffentlich regimekritisch äußert, riskiert bei
der nächsten Einreise in den Iran selbst verhaftet zu werden.
Ghormeh Sabzi und Sauerkraut
Um zu
erklären, wie viel Angst das iranische Regime auch Menschen in der Diaspora
machen kann, springe ich knapp dreißig Jahre in meiner eigenen Geschichte
zurück: Ich stehe mit meiner Mutter vor der Haustür eines Dreifamilienhauses im
beschaulichen Frankenland. Eine Region, die für ihren Wein bekannt ist, für
grüne Hügel, fruchtbare Böden, für frommen Katholizismus und wiederum nicht
ganz so frommen Fasching. An diesem Tag in den Herbstferien Anfang der Neunzigerjahre bekommt mein Vater Post. Ein Brief, Absender unbekannt. Der Inhalt:
ein Gegenstand – was genau, lässt sich nicht ertasten. Mein Vater befürchtet
das Schlimmste, eine Briefbombe, direkt von den Mullahs nach Franken geschickt.
Meine Mutter und ich werden also vor die Tür bugsiert und mein Vater verschanzt
sich mit dem Brief und der vermeintlichen Bombe im Badezimmer. 15 Minuten
später steht er winkend in der Tür. Im Brief steckte der Ersatzschlüssel zum
Mazda, den er wenige Wochen zuvor gebraucht gekauft hatte.
Wehmut und Liebe in der Diaspora
Mein
Vater ist bereits in den Sechzigerjahren zum Studium nach Deutschland gekommen und
wollte danach eigentlich wieder zurück in den Iran. Als dort dann aber die Revolution
in vollem Gange war und diese kurze Zeit später von Ajatollah Chomeini
gestohlen wurde, stand das nicht mehr zur Debatte. Ich bin Mitte der Achtzigerjahre
geboren und bin irgendwo schwimmend – aber wohl mehr deutsch als iranisch –
zwischen diesen beiden Kulturen aufgewachsen, zwischen duftendem Ghormeh Sabzi
und fränkischem Sauerkraut mit sehr, sehr viel Kümmel. Beides mag ich sehr.
Fürs erzkatholische, bayrische Dorf war ich nie deutsch genug, zugleich war ich
so wenig iranisch, dass ich, bis auf einzelne Wörter und Floskeln, nie Farsi
gelernt habe. Das lag weniger an meinem Vater denn an meiner
kindlich-pubertären Sturheit. Was ich jedoch von Anfang an mitbekommen habe:
mit wie viel Liebe und vor allem Wehmut mein Vater über seine Heimat sprach.
Aber auch, wie viel Angst vor dem Regime in diesen Worten mitschwang.
Erst
viele Jahre später habe ich mit meinem Vater über die vermeintliche Briefbombe
gesprochen. Das Mykonos-Attentat Anfang der Neunziger steckte damals, als der
Mazda gekauft wurde, noch tief in den Gemütern der iranischen Diaspora. Im
September 1992, vor ziemlich genau 30 Jahren, ermordete der iranische
Geheimdienst im griechischen Restaurant Mykonos in Berlin vier Exilpolitiker.
Wenige Jahre zuvor, 1988, wurden im Iran auf Weisung des Ajatollah Chamenei
mehrere Tausend politische Gefangene hingerichtet. Die genaue Zahl ist bis
heute unbekannt. In diesen Jahren wurden Regimegegner und Flüchtige in der
Diaspora bedroht, darunter auch Bekannte meines Vaters. Wer wäre da nicht
skeptisch, wenn plötzlich aus heiterem Himmel ein Brief mit unbekanntem
Absender ankäme?
Wenn
man nun liest, wie aktuell wieder (oder immer noch – denn aufgehört haben die
Drohungen nie, nur wurde es eine Zeit lang still ums Thema Iran)
iranischstämmige Regimekritikerinnen und -kritiker im Ausland bedroht und
angegriffen werden – Salman Rushdie, da klingelt noch was, oder? –, beginnt man schnell, die eigene Sicherheit und die der
Familie zu hinterfragen. Das ist die Krux für viele Menschen wie mich: Indem
wir versuchen, den Menschen im Iran eine Stimme zu geben und sie so zu
schützen, können wir die Kontakte, die wir vor Ort im Iran haben, in Gefahr
bringen.
Doch
man kann es nicht oft genug sagen: Was die Menschen im Iran schützt, ist vor
allem auch unsere Aufmerksamkeit. Solange der Westen seine Augen auf die
Gräueltaten des Regimes richtet, können die Proteste nicht im noch größeren
Stil niedergemetzelt werden, als sie es sowieso schon werden. Erste verhaltene
Reaktionen der Politik sind schön und gut. Aber auf Tweets und Kanzler-Videos, in denen Bestürzung geäußert wird, müssen mehr und weitere Taten folgen. So könnte zum Beispiel auch die EU die Revolutionsgarden als Terrororganisation einstufen. Geschehen ist das aber noch nicht.
„Was
glaubst du: Wird sich dieses Mal etwas ändern?“, frage ich eine Verwandte. Man
hoffe es, kommt zögerlich als Antwort. Wenn sich nichts ändere, sagt sie, werde
alles nur noch viel schlimmer. Sie sei stolz auf die Texte, die ich
veröffentliche, sagt sie weiter. Sie habe sie mithilfe eines Onlineübersetzers
gelesen. Ich habe Tränen in den Augen. Darauf folgt: ein Katzenbild. Der Kater
schaut etwas bedröppelt, aber wie immer eigentlich recht zufrieden drein. Was
bleibt, ist die Hoffnung, dass wir eines Tages die Möglichkeit haben werden,
frei zu sprechen – den Kater streicheln und uns in den Armen liegen können.