»Polizeiruf« aus Magdeburg: »Ronny« mit Claudia Michelsen

Kommissarin Brasch (Claudia Michelsen) mit den Kollegen Lemp (Felix Vörtler, l.) und Màrquez (Pablo Grant): Krimi-Gemälde in Sumpfbraun, Wolkengrau, und Nachtschwarz


Foto: Stefan Erhard / MDR

Man muss nur lang genug traurig in die Landschaft starren, dann starrt die Landschaft traurig zurück. In einer Szene am Anfang steht Kommissarin Brasch (Claudia Michelsen) im Dezernat vor einem unauffälligen Gemälde, das eine düstere Flusslandschaft zeigt. Erst schauen wir auf die kahlen Bäume und das feuchte Ufer auf dem Gemälde, dann fährt die Kamera zurück, und wir schauen auf das Gesicht der Ermittlerin, in der sich all die Verlorenheit der Flusslandschaft zu spiegeln scheint. Dieses kalte Nass wird uns in den nächsten 80 Minuten nicht loslassen.

Dies ist ein »Polizeiruf«, in dem die Figuren nicht in langen Dialogen erklärt werden. Stattdessen werden sie einer Naturkulisse ausgesetzt, die sie mit ihrem satten Sumpfbraun, Wolkengrau, und Nachtschwarz zu verschlingen scheint.

Gordon, Ronny und die Elbe

Handlungsort ist ein Kinderheim nahe der Elblandschaft, im Verlauf des Plots fahren wir immer wieder Elbe-Seitenarmen entlang, die aussehen wie das Gewässer auf dem Gemälde. Irgendwo hier muss Ronny sein, der zehnjährigen Heimjunge, der kurz nach seinem Geburtstag verschwunden ist mit einem eisgrünen Mountainbike, das er gerade erst geschenkt bekommen hat. Das eisgrüne Fahrrad wird bald aus dem moosgrünen Wasser gezogen, der Junge bleibt unauffindbar.



Szene mit Maja Schöne und Valentin Kleinschmidt: Stille Wut


Foto:

Felix Abraham / MDR


Die Verdächtigen sind schnell ausgemacht, und sie scheinen auf den ersten Blick in ihrer erzählerischen Funktion sehr eindeutig: Da ist der Betreuer (Thomas Schubert aus »King of Stonks« ), der schon mal dem Gesetz aneinander geraten ist und der nun des sexuellen Übergriffs an dem Heimjungen beschuldigt wird. Und da ist der neue Freund von der Mutter des Jungen, der in dem Kind nur eine Störung seiner neuen Beziehung sieht und von der »harten Hand« schwadroniert, die der Junge angeblich braucht.

Und da ist die Heimleiterin (Maja Schöne), deren etwas älterer Sohn in Verdacht gerät und die deshalb nun die Kommissarin immer mehr in Richtung der anderen Männer lenken will. Die wehren sich wiederum mit Mutmaßungen über den Heimleitersohn: »Gordon überschüttet kleine Katzen mit Benzin und zündet sie dann an.«

Am Sadismus-Abgrund

Gordon wird gespielt von dem jungen Schauspieler Valentin Oppermann, der in der Psychologie-Serie »Safe«  in einer ähnlichen Rolle brillierte: der unartikulierte Halbwüchsige, hinter dessen glatten, fast reglosen Gesichtszügen offenbar die stille Wut waltet. Nur beim Computerspielen kommt er aus sich raus, da zählt er begeistert mit seinem Spielpartner die Leichen. Auch Kommissarin Brasch beißt sich an seiner juvenilen, objektlosen Verachtung die Zähne aus. Da kann sie der Heimleiterin nicht helfen. Wie auch, bereits in der ersten »Polizeiruf«-Folge aus Magdeburg sah man, wie sich die Ermittlerin von ihrem Nazi-Sohn entfremdete. Überall nur verlorene Söhne.



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Foto: SWR/Daniel Dornhöfer

Die Wortgefechte funkeln nicht, und das sollen sie wohl auch nicht. Die Stärke dieses »Polizeirufs« (Regie: Barbara Ott) liegt darin, wie er die Menschen in ein Verhältnis zueinander setzt und wie er dieses Verhältnis im Setting spiegelt. Das ist der perfekte Rahmen für Michelsens Kommissarin Brasch, die sich nach den krawalligen Abgängen etlicher männlicher Sidekicks nun allein durchschlagen muss und am besten ist, wenn sie komplett in ihrer Umgebung und den in dieser Umgebung liegenden Risiken aufgeht. Einsamkeits-Exzess ist wohl das Wort dafür.

Jan Braren, Drehbuchautor des neuen »Polizeirufs«, hatte so einen Einsamkeits-Exzess schon sehr gut für die Weihnachten 2021 ausgestrahlte Folge »Der Verurteilte« erdacht, in dem die Kommissarin nach dem Wodka-Absturz in einen Sadismus-Abgrund rutschte. Dieser Sadismus-Abgrund klafft diesmal sogar noch tiefer, er lässt uns am Ende schaudern.

Wer Dialogpower und Lautstärke für ein befriedigendes Krimierlebnis braucht, wird hier nicht bedient. Der Film ist verbal und volumetechnisch runtergefahren. Und vielleicht ist das ganz gut so. Als am Ende im Vernehmungsraum das laute, schräge, gemeine Lachen der schuldigen Person erklingt, wünscht man sich sofort zurück ins stille kalte Nass der Flusslandschaft.

Bewertung: 7 von 10 Punkten

»Polizeiruf 110: Ronny«, Sonntag, 20.15 Uhr, das Erste