„Polizeiruf 110“ München: Das ist Bayern, mia san mia
Der neue Münchner Polizeiruf 110: Funkensommer
(BR-Redaktion: Claudia Simionescu, Tobias Schultze) führt übrigens vor, wie
tief die Frauenverachtung in unserer schönen Kultur steckt. Genauer: in dem traditionsbewussten Schimpfwort Hurensohn. Das beleidigt bekanntlich den Adressaten dadurch, dass
es dessen Mutter abwertet. „Dereinst“ (Thomas Mann) meinte diese
Abwertung auch uneheliche Kinder, die aktuell nicht mehr so schief angeguckt
werden. Heute ist Hure als Begriff negativ besetzt, weil damit der
Sexarbeiterin Integrität abgesprochen wird beziehungsweise einer Frau, die
wechselnde Sexualpartner hat. Wenn Sexarbeit aber anstößig sein soll und nun
mal zwei dazugehören, dann könnte man sich eben fragen, warum niemand als Sohn eines Freiers gescholten wird.
Im Polizeiruf kommt das Schimpfwort aus dem Mund von
Co-Ermittler Dennis Eden (Stephan Zinner) und das markiert die kernige, leicht
machoide Figur gut. Anders gesagt: Dennis Eden kann man sich schwer in
Lesekreisen vorstellen, die sich einen Begriff von kritischer Männlichkeit
machen wollen.
Die Selbstverständlichkeit, dass Eden seine
Geschlechterrolle nicht reflektieren muss, illustriert der Film zu Beginn ganz
hübsch. Da wird Kollegin Cris Blohm (Johanna Wokalek) von einer Kollegin bei
der Tatortbegehung noch abgewimmelt, während Eden einfach durchmarschiert,
weil er nicht auf die Idee kommt zu fragen.
In dem fast leeren Bürogebäude, das der
Autovermietungsdynastie Hechtle gehört, liegt die Leiche der illegal
beschäftigten Putzfrau Valentina Martinez (Veronica Santos Ruiz), die durch
einen Brand ums Leben gekommen ist. Bald steht der Verdacht im Raum, die
Hechtles um Firmenpatriarch Georg (Johann Schuler) hätten durch Brandstiftung die
seit zehn Jahren beantragte Abrissgenehmigung befördern wollen, um durch Abriss
und Neubau gewinnträchtigere Geschäftsmodelle im Immobiliensektor zu
erschließen.
Die reichen Hechtle-Kinder Gioia (Marlene Morreis) und
Sandro (Frederic Linkemann) sind so unsympathisch entworfen, dass man ihnen das
auch zutrauen würde. Der Wachmann Busch (der Biotonnen-Hausmeister aus dem letzten
Münchner Tatort: Gerhard Wittmann), der sich verklemmt eine
Beziehung zu Valentina Martinez wünschte, scheint ebenfalls beteiligt, weil er
offenbar vom Brand wusste. Allerdings liegt Busch irgendwann selbst tot in
seiner Wohnung vorm offenen, angezündeten Gasherd.
Am Ende war es aber der Brandermittler Hanno Senoner, der
gleich zu Beginn am Tatort rumhockt. Senoner wird gespielt von Golo Euler, dem
Gaststar der Folge, und weil Euler abonniert ist auf vermeintlich arglose,
tatsächlich abgründige Figuren, hat sich das mit dem Täterraten hier schnell erledigt.
Spannung ist nicht das Ding von Funkensommer, auch wenn es final
zumindest noch einen Twist gibt. Senoner hat – was man wegen seines
idealistischen Geredes gegen die Reichen, die sich alles erlauben können, hätte
vermuten können – den Brand nicht gelegt, um die Autovermietungsfamilie zu
belasten. Er hat vielmehr seine Skills in den Dienst der Hechtles
gestellt.
Die Grundidee mit dem Brandermittler, der Brände legt, hat
etwas. Aber dass daraus ein bemerkenswerter Polizeiruf geworden ist,
lässt sich nicht behaupten. Obwohl Drehbuchautor und Regisseur Alexander Adolph
schon mehrfach große Folgen für den ARD-Sonntagabendkrimi gemacht hat – den
Jubiläums-Tatort Taxi
nach Leipzig (2016) als intelligentes Spiel mit Aspekten der
gleichnamigen ersten Folge oder den legendären
Münchner Gisbert-Tatort mit Fabian Hinrichs (2012).
Wo Spannung fehlt, müsste etwas anderes das
Publikumsinteresse beschäftigen. Die Liebesgeschichte zwischen Cris Blohm und
Senoner ist es nicht, dafür ist das alles zu freudlos, zu wenig betörend. Was auch
mit den unterschiedlichen schauspielerischen Registern des Paars zu tun hat. Wo
Euler den Ton seines scheinbar freundlich-zurückhaltenden, aber erahnbar
manipulativen Charakters trifft durch dezentes Absetzen oder Rumrudern im
Dialog, verkleidet Wokalek noch ein Startkommando wie „Und los“ mit dem
koketten Staunen, wie es einem auf der deutschen Theaterbühne häufig begegnet,
weil das irgendwie als Innerlichkeitsperformance oder kunstvoll, wenn nicht
beides, gilt. Die Distanz zur Welt, die dieses Ausstellen von neckischer
Versonnenheit produziert, stört dann aber leider auch die Nähe zwischen zweien,
die sich „Ich liebe dich“ sagen sollen.
Die darstellerische Gestaltung der Hauptfigur macht noch an
anderen Stellen Probleme. Im Finale stürzt Blohm den Brandermittler im Kampf
von einem Berg, weil sie erkannt hat, dass sich Senoner an sie nur rangemacht hatte,
um über ihre Arbeit auf dem Laufenden zu sein. Der mittelaufmerksamen
Zuschauerin dürfte das sofort aufgefallen sein, im entrückten Spiel Wokaleks ist
der Zweifel dagegen nie bedeutet worden durch eine mimische Irritation, ein
kleines Zeichen von Skepsis, die Blohm doch qua Beruf zu besitzen behauptet.
So fällt der zweite Münchner Polizeiruf mit neuer
Besetzung zwar besser aus als
das missratene Debüt Little Boxes (vom damaligen Co-Ermittler Otto
Ikwuakwu ist in dieser Folge mit keinem Wort die Rede), gibt aber weiter Rätsel
auf, was es mit der Hauptfigur auf sich hat. Das lässt sich schon am Kostüm (Martina
Müller) sehen, in dem Cris Blohm durch die Folge „schlumpst“ (Franziska Giffey): die
hochgetragenen Jeans mit dem dicken Gürtel, die blassen Hemden unter der
parkafarbenen Jacke und die braune Outdoorhandtasche, die unterm Bauch getragen
wird. Was soll diese trostlos-unvorteilhafte Kleidung über eine Figur sagen,
die doch gar nicht als trostlos-unvorteilhaft entworfen ist? Man weiß es nicht.
Der neue Münchner Polizeiruf 110: Funkensommer
(BR-Redaktion: Claudia Simionescu, Tobias Schultze) führt übrigens vor, wie
tief die Frauenverachtung in unserer schönen Kultur steckt. Genauer: in dem traditionsbewussten Schimpfwort Hurensohn. Das beleidigt bekanntlich den Adressaten dadurch, dass
es dessen Mutter abwertet. „Dereinst“ (Thomas Mann) meinte diese
Abwertung auch uneheliche Kinder, die aktuell nicht mehr so schief angeguckt
werden. Heute ist Hure als Begriff negativ besetzt, weil damit der
Sexarbeiterin Integrität abgesprochen wird beziehungsweise einer Frau, die
wechselnde Sexualpartner hat. Wenn Sexarbeit aber anstößig sein soll und nun
mal zwei dazugehören, dann könnte man sich eben fragen, warum niemand als Sohn eines Freiers gescholten wird.